ESG report - Ausgabe #32 Dürftige Fondsauswahl? I Habeckisierung der ESG-Welt

Liebe Leserinnen und Leser,

es gibt Idealisten und Ignorante. Dazwischen nicht viel. Dieser Eindruck drängt sich bei der Debatte über Nachhaltigkeit auf. Doch Schwarzweißdenken kann lähmen. Das wiederum führt die aktuell finstere Weltlage vor Augen, die unseren Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck dazu bringt, in Katar über Energielieferungen zu verhandeln. Macht ihn das nun zum Öko-Verräter und grünen Nestbeschmutzer? Oder ist er mehr Opfer als Täter? Und grundsätzlicher betrachtet: Ist beim Thema ESG neben ideologischer Standfestigkeit vielleicht auch mal Pragmatismus gefragt, um voranzukommen? Darum geht es heute hier im "Letzten Schluck".

Wir beschäftigen uns außerdem mit der Frage, welche und wie viele grüne Produkte der ESG-Vertrieb seiner Kundschaft überhaupt anbieten kann. Denn viele Fonds, so tönt es aktuell, taugen schlicht wenig und sind selbst den härtesten Nachhaltigkeitsfans kaum zuzumuten. Wir erklären, woran es hakt.

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Thema der Woche

Wieder nichts Passendes dabei?

„Nur jeder zweite ESG-Fonds überzeugt", ließ sich Sparkassen-Vorstand Christian Bonnen vor wenigen Tagen bei den Kollegen von Fonds Professionell zitieren. Bonnen, bei der Kreissparkasse Köln fürs Privatkundengeschäft zuständig, berichtete im Interview, das eigene Haus sei schon seit Jahren eifrig dabei, zu nachhaltigen Produkten zu beraten. Mehr als ein Viertel der Kundschaft würde sich inzwischen für grüne Fonds interessieren. Der Wermutstropfen aus Bonnens Sicht:

Nachhaltigkeit ist ein wachsendes Thema in der Vermögensanlage und das Angebot an ESG-Produkten steigt stetig. Jedoch konnten uns bislang nur etwa die Hälfte der von uns geprüften Fonds soweit überzeugen, dass wir diese auch in der Kundenberatung anbieten.

Moment mal – nur die Hälfte der Fonds überzeugt? Wenn der Rest der ESG-Fonds nach Meinung der Sparkasse – nicht eben als radikale Öko-Hardliner bekannt – für die Tonne ist, wäre das ein maues Ergebnis. Christoph Klein, Gründer und Managing Partner vom auf Nachhaltigkeit spezialisierten Asset Manager ESG Portfolio Management, sieht das Problem anderswo. Er sagt: Die großen Häuser wie die Sparkasse setzen leider zu oft nur auf die großen Fondsanbieter, kleinere, nachweislich nachhaltige Produkte fallen durch das Raster.“ Dabei gäbe es ausreichend gute Fonds für verschiedene Kundenvorlieben, ist sich Klein sicher.

Vermittlerinnen rät er, sich nach per Präferenzabfrage auf der FNG-Website zu informieren. Der Fachverband für Nachhaltige Geldanlagen ist Gründungsmitglied des Eurosif und arbeitet mit der Universität Hamburg als unabhängigem Auditor zusammen. „Darüber kann man Fonds sehr gut miteinander vergleichen“, sagt Klein, der stolz auf die hauseigenen Produkte ist, die die Bestwertung von drei FNG-Sternen bekamen. Auf der Seite können sich Berater einen Überblick verschaffen, nach E, S und G sowie einzelnen Ausschlusskriterien filtern und sich anschauen, auf welche Nachhaltigkeitsziele ein Fonds konkret einzahlt.

Wir probieren es aus und suchen einen ESG-Aktienfonds mit Impact-Investing-Ansatz, der Kernenergie und Rüstungsgüter ausschließt ... 47 Treffer, immerhin. Und auch ein paar große Namen sind dabei.

Der fehlende Zugang zu wirkungsorientierten, nachhaltigen Anlagen sei Grund für die Gründung von Grünfin gewesen, sagt CEO Karin Nemec. Die neue deutsch-estnische Investment-Plattform hat sich auf nachhaltige Produkte spezialisiert. „Wir sehen, dass mehr impact-orientierte Instrumente auf den Markt kommen, also verbessert sich das Bild. Die SFDR-Regulierung spielt dabei sicherlich eine Rolle. Aber die Welt des nachhaltigen Investierens ist für Privatanlegerinnen und -anleger immer noch unnötig komplex“, sagt Nemec. Wie geht das Start-up bei der Auswahl vor? Nemec erklärt:

mehr als 20 Datenpunkte
unabhängige Quellen

Eine Antwort gab es auch dazu, wie Grünfin sicherstellen möchte, dass Investment und individuelles Nachhaltigkeitsverständnis am Ende auch zusammenpassen: "Die Portfolios sind auf die persönlichen Werte und Wirkungsziele, sowie das individuelle Risikoprofil und den Zeithorizont der Kapitalanlage zugeschnitten. Das heißt, wir haben 21 verschiedene Portfolioprofile, die wir digital verwalten, je nach den Zielen des jeweiligen Profils." Kundinnen und Kunden könnten nicht nur die finanzielle Leistung ihrer Portfolios sehen, sondern auch deren konkrete Auswirkungen. Das kann ein verringerter CO2- Fußabdruck sein oder eine höhere Anzahl von Frauen in den Vorständen von Unternehmen – "je nachdem, was die Person für wichtig hält".

Fazit: Wer es ernst meint mit der Nachhaltigkeit, muss damit rechnen, dass nicht alle Fonds, die in den ESG-Filter reingekippt werden, nach dem Qualitätscheck und dem Abgleich mit individuellen Bedürfnissen unten wieder heraussickern. Die gute Nachricht: Sind die Kundenwünsche nicht völlig exotisch ("Investiere nur in Unternehmen, die ausschließlich Vegetarier*innen beschäftigen"), wird es Angebote geben – Tendenz steigend. Manchmal lohnt es sich, dafür auch kleinere Fonds und Anbieter in den Blick zu nehmen.

Zahl der Woche

25 Prozent...

... der Befragten einer neuen Studie der Versicherungsgesellschaft Pangaea Life und dem Marktforschungsinstitut YouGov vertrauen, wenn es um Informationen über eine nachhaltige Altersvorsorge geht, auf ihren Anlageberater oder ihre Anlageberaterin. Damit rangiert in Zeiten von Finanzblogs und Smartbrokern das persönliche Beratungsgespräch immer noch vor Informationsquellen aus dem Internet oder aus Fachzeitschriften. Ähnlich viel Vertrauen setzen Anleger und Anlegerinnen allerdings auch in ihre Freunde, Familie und Bekannten. Ebenfalls ein Viertel holt sich Informationen und Ratschläge aus dem engeren Kreis.

Geht es darum, in welchen Bereich die Befragten im Rahmen ihrer nachhaltigen Geldanlage und Altersvorsorge am ehesten investieren würden, entscheiden sich 26 Prozent für Immobilien, 24 Prozent für Energie und 19 Prozent für den Technologiesektor.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

Mogelpackung ESG-Index?

Mogelpackung ESG-Index?

Wie grün sind ESG-Indizes wirklich? Um das zu prüfen, hat der Vermögensverwalter Andreas Enke zwei bekannte, grüne ETFs gegenübergestellt – den iShares MSCI Europe ESG Screened und den MSCI Europe SRI Select Index. Das Ergebnis: ESG-Indizes unterscheiden sich deutlich in ihren Ansprüchen an eine nachhaltige Ausrichtung. Eher mangelhaft seien Indizes, die nur wenige Ausschlusskriterien und keinen Best-in-Class-Ansatz anwenden.

In Deutschland lahmt der Öko-Absatz

In Deutschland lahmt der Öko-Absatz

Acht Prozent der Deutschen geben an, innerhalb der vergangenen drei Monate eine nachhaltige Anlage getätigt zu haben. Damit befinden sie sich weiterhin unter dem weltweiten Durchschnitt. Vor allem asiatische Märkte sind in Sachen ESG weitaus progressiver: In Indonesien bestätigten etwa 18 Prozent zuletzt ESG-konform investiert zu haben. In Indien 16 Prozent und in China waren es immer noch 16 und 14 Prozent.

Mein Freund, der Baum

Mein Freund, der Baum

Anleger, die nachhaltig investieren und dabei auch Rendite erwirtschaften wollen, sollten die Forst- und Holzindustrie ins Auge fassen. Wälder speichern enorme Kohlendioxid-Mengen. Zudem steigt der Preis für Holz. Da der Klimawandel besonders das Waldwachstum in Nordamerika und Nordeuropa begünstigt, sind Forstunternehmen in Kanada oder Skandinavien interessant.

Ein letzter Schluck

Die Habeckisierung der ESG-Welt

Droht der Männerwelt eine Habeckisierung? So witzelte Satirikerin Simone Solga im vergangenen Jahr bei einem ihrer Auftritte. Der designierte Kanzlerkandidat Armin Laschet befürchtete im Jahr 2019 gar eine Habeckisierung der gesamten Politik. Dem bayerischen Ministerpräsident Markus Söder (CSU), dem SPD-Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil und dem Finanzminister der FDP Christian Lindner wurde gleichermaßen Habeckisierung bescheinigt, als sie sich nahbar, mit Schwarz-Weiß-Foto auf Twitter oder umweltorientiert zeigten.

Habeckisierung – das steht für die Tendenz, sich an Wirtschaftsminister Robert Habeck anzugleichen – weniger an seine Überzeugungen als an seinen Politikstil. Also mehr ans Reden als ans Handeln.

Habeck ist eigentlich Idealist. Er will die Energiewende schaffen – und zwar so schnell wie möglich. Er will mehr Windräder bauen lassen. Doch der Krieg fordert jetzt anderes von ihm: Pragmatismus. Plötzlich muss er die Laufzeit von Kohlekraftwerken verlängern, Flüssiggasterminals in Deutschland bauen lassen, Erdgas einkaufen von einem Scheich, der Menschenrechte mit Füßen tritt. Er hat auch zugestimmt, Waffen in die Ukraine liefern zu lassen.

All das dürfte in seinem moralischen Selbstverständnis eines Grünen-Politikers tiefe Kratzer hinterlassen. Doch in Stilfragen bleibt Habeck, nun ja, Habeck. Bei Markus Lanz war der Wirtschaftsminister vergangenen Donnerstag ganz bei sich, als er erklärte, warum er handelt, wie er handelt:

"Wir sind keine Engel, aber wir können versuchen Schritt für Schritt die Konsequenzen ein bisschen weniger schlimm zu machen. Und da ist aus meiner Sicht der Besuch in Katar ein bisschen weniger schlimm, weil er uns befreit von dem Gas von Putin."

Auch wenn sich manchem Umweltfreund und Menschenrechtsverfechter bei diesen Worten die Nackenhaare aufstellen: In diesem Moment ist die Versorgungssicherheit wichtiger als der Umweltschutz.

Was bedeutet das für die ESG-Welt? Soll sie sich in Notlagen wie diesen von Werten wie „Gut“ und „Schlecht“ lösen? Und nach mehr „Weniger Schlimm“ streben? Braucht es in bestimmten Situationen hier mehr Pragmatismus?

Im Zweifelsfall lautet die Antwort wohl: Ja. Tatsächlich mehren sich etwa schon Stimmen, Rüstung und Erdgas zumindest vorübergehend als nachhaltig einzuschätzen. Zuletzt forderte etwa der Vermögensverwalter Alliance Bernstein ESG-Anlegerinnen auf, "nach verantwortungsbewussten Unternehmen zu schauen, die zu Energiesicherheit und militärischer Abschreckung im Westen beitragen.". Man schauen, wie lang das so bleibt.

Diese Ausgabe stammt von:

Anne Hünninghaus + Marilena Piesker

Anne Hünninghaus + Marilena Piesker

Wir sind Redakteurinnen der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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