ESG report #8: Daten-Check | Grüne Indexpolice | Floskel-Schwund
Liebe Leserinnen und Leser,
blind zu vertrauen ist selten eine gute Idee. Vor allem, wenn es um nachhaltiges Investieren geht, hat sich das Prinzip „beide Augen zudrücken und ein Label auf ein Produkt kleben“, zuletzt gerächt. Vieles, das früher geschluckt wurde, wird heute hinterfragt. Sei es der als Bio-Siegel getarnte Aufkleber auf dem Eierkarton, der sich bei näherem Betrachten als Werbegag entpuppt. Oder eben vermeintliche Versprechen wie „ESG-integriert“, welche diejenigen nun verstohlen verschwinden lassen, die sie ohnehin nur als Floskel nutzten.
Glaubwürdigkeit ist ein hohes Gut, Lippenbekenntnisse ziehen nicht mehr. Während innerhalb der EU der Druck steigt, mehr und mehr ESG-relevante Daten offenzulegen, herrscht international in ESG-Belangen teils noch mehr Verwirrung. Welchen Analysen und Datengrundlagen kann man wo trauen? Damit beschäftigt sich Kroum Sourov, Souvereign Analyst beim Vermögensverwalter Candriam in London. Wir haben ihm ein paar Fragen gestellt.
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Kürzlich ist Candriams ESG-Länderanalyse in dritter Auflage und mit verstärktem Klimaschutz-Fokus erschienen. Darin untersucht und beurteilt der europäische Assetmanager insgesamt 128 Länder und klopft mehr als 400 einzelne Aspekte und Datenpunkte für deren Gesamtbewertung ab.
Gründlich sein und beide Augen offenhalten ist Plicht – und das gilt für alle, die mit ESG-Investitionen zu tun haben, findet der leitende ESG-Analyst Sourov: "Am Ende müssen Asset Manager und Vertriebler nämlich sicherstellen, dass das, was sie anbieten, fundiert und glaubwürdig ist." Die Lektion: genauer hinschauen – und auf Big Data setzen, statt auf Einzelquellen.
Im Gespräch mit ...
... Kroum Sourov, Lead Souvereign Analyst bei Candriam

Herr Sourov, Sie haben den Fokus Ihrer Länderanalyse in diesem Jahr erstmals auf Nachhaltigkeitsthemen gelegt. Welche Risiken werden Asset Manager künftig besonders beschäftigen?
Kroum Sourov: Die Risiken reichen von Umweltzerstörung über die Unbewohnbarkeit mancher Gegenden bis hin zur Erosion der Demokratie in einigen Teilen der Welt. Gleichzeitig gibt es aber auch erfreuliche Entwicklungen – etwa in manchen Schwellenländern. Costa Rica und Uruguay zum Beispiel verzeichnen große Fortschritte bei der Vermeidung von Plastik und treiben den Ausbau erneuerbarer Energien voran, ein vielversprechender Trend. Andererseits gibt es selbst innerhalb der Europäischen Union Staaten wie Bulgarien und Rumänien, die weniger gut dastehen, da das Vertrauen in die demokratischen Institutionen dort beschädigt ist. Und auch steigende Energiepreise wie aktuell im Vereinigten Königreich, werfen Fragen in puncto Energiewende und -unabhängigkeit auf.
Immer mehr Menschen möchten explizit in ESG-Produkte investieren. Gleichzeitig herrscht Unsicherheit, ob sie den Labels und Selbstbeschreibungen vertrauen können, Stichwort Greenwashing. Die Datenlage ist oft brüchtig. Worauf sollten Praktiker achten?
Entscheidend ist, die Methodik hinter der ESG-Analyse zu verstehen und sicherzustellen, dass sie glaubwürdig ist. Es gibt eine Reihe von Anbietern, die für ihre Finanzprodukte Rahmenwerke "von der Stange" verwenden, bei denen der Datenanbieter beispielsweise gleichzeitig auch Länderratings anbietet. Fondsmanager und Vermittler müssen hier dir richtigen Fragen stellen. Stützen sich die Angaben auf eine einzige Datenquelle oder auf mehrere? Vermögensverwalter sollten versuchen, so viele unabhängige Datenquellen wie möglich zu nutzen und ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen. Vor allem, wenn eine der Quellen der jeweiligen Regierung nahesteht.
Ist das vor allem ein Problem in den Emerging Markets?
Nein, das Problem gibt es auch in westlichen Ländern. Nehmen wir Kanada: Unabhängige Nichtregierungsorganisationen verzeichnen allein in der Provinz Ontario ein Vielfaches der Abholzung von Wäldern als der kanadische Staat für das ganze Land reportet.
Was ist in solchen Fällen zu tun, um mehr Klarheit zu schaffen?
Alternative Datenlieferanten sind ein wichtiger Schlüssel. Mit dem technologischen Fortschritt wird es glücklicherweise immer einfacher, verlässliche Quellen zu bekommen. Zum Beispiel lässt sich über Satellitenbilder auswerten, ob sich Wald- oder Wasserflächen verkleinern. All das gilt es zu prüfen.

Volkswohl Bund lanciert grüne Indexpolice
Die Lebensversicherung Volkswohl Bund bietet ihre Indexrente "Klassik modern" seit Kurzem auch in einer nachhaltigen Variante an. Bei „Klassik modern Next“ handelt es sich um eine private Rentenversicherung, bei der Policen-Inhaber einmal im Jahr wählen können, ob sie die Überschüsse in Form einer Gutschrift erhalten oder diese gegen eine Partizipation an einem Index eintauschen möchten.
Was macht die Police nachhaltig?
Volkswohl Bund wirbt damit, das Versicherte ein bedingungsloses Recht auf Nachhaltigkeit haben sollen, und das sowohl in der Ansparzeit als auch in der Rentenphase. Praktisch investieren Policen-Inhaber ihre jährliche Überschussbeteiligung in den MSCI World SRI. Dieser bildet nachhaltig agierende Unternehmen aus aller Welt ab. Laut Anbieter soll aber nicht nur die Fondsanlage nachhaltig sein, auch das Guthaben im Sicherungsvermögen verspricht der Versicherer nach ESG-Kriterien anzulegen.
Was muss man sonst wissen?
Anders als bei Riester- oder Rürup-Verträgen gibt es bei Privat-Renten wie "Klassik modern Next" während der Ansparphase keine steuerlichen Vorteile. Versicherte zahlen die Beiträge also von ihrem bereits versteuerten Einkommen. Dafür müssen sie in der Auszahlphase weniger Steuern zahlen. Damit lohnt sich die Police nur für Menschen, die im Ruhestand einen hohen Steuersatz erwarten. Volkswohl Bund kündigte aber bereits an, seine Indexrente künftig auch als betriebliche Altersvorsorge oder Basis-Rente anbieten zu wollen.

Was uns diese Woche noch auffiel

ESG-Fonds kaum besser als „Vanilla“-Produkte
Anbieter von Nachhaltigkeitsfonds treten gern mit dem Versprechen an, mit dem Geld der Anleger die Welt zu einem besseren Ort zu machen. In der Praxis wirken sich ESG-Fonds aber kaum besser aus als "Vanillafonds", kritisiert das Londoner Fintech Util in einem jüngst veröffentlichten Bericht. Der Grund laut Unternehmen: Anbieter nachhaltiger Finanzprodukte stützen ihre Investmentauswahl oftmals auf Daten, die die Unternehmen selbst bereitstellen. Die tatsächlichen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf soziale oder ökologische Ziele fließen selten ein.

Mehr Kooperation beim ESG-Research
Steve Lydenberg gilt als einer der Urväter des nachhaltigen Investierens. Der Mitgründer von KLD Research & Analytics gehörte zu den ersten Analysten, die US-Konzerne nach Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien untersuchten. Nun hat er sich für umfassende Reformen beim ESG-Research stark gemacht. Im Interview mit Bloomberg plädierte Lydenberg für mehr Zusammenarbeit zwischen ESG-Anbietern. Grund: Gerade bei komplexen, globalen Themen sei Kooperation schlicht unerlässlich.

Das S gewinnt an Bedeutung
Institutionelle Investoren richten ihren Blick stärker auf das S in ESG. Das ergab eine Studie der Unternehmensberatung Mercer mit 850 Teilnehmern aus elf Ländern Europas, die zusammen mehr als eine Billionen Euro repräsentieren. 27 Prozent der Befragten planen demnach, den Schwerpunkt im nächsten Jahr auf soziale Faktoren wie Humankapital oder Arbeitsrechte auszuweiten. Umweltfaktoren wie die Biodiversität wollen 24 Prozent stärker in den Auswahlprozess einbeziehen.

Tappen Sie nicht in die Floskel-Falle!
Große Worte, nichts dahinter? Als Reaktion auf die Greenwashing-Affäre der DWS haben einige große Vermögensverwalter das Etikett "ESG-integriert" aus ihren öffentlichen Dokumenten gestrichen. Auch spielen sie die Relevanz dieses Begriffs in der Interaktion mit Anlegern zunehmend herunter. Das berichtet das Finanzportal Fonds Professionell unter Berufung auf eine "Bloomberg"-Analyse.
Die Nachricht dürfte so manchem Investor sauer aufstoßen. Schließlich scheint sie einmal mehr zu bestätigen, dass ESG für Anbieter zuweilen vor allem ein Marketing-Gag ist. Dabei sind die Hintergründe weitaus komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Die Branche erkennt zunehmend, dass sie ihre Stakeholder mit Floskeln wie "ESG-integriert" nicht mehr überzeugen kann. Das gilt übrigens nicht nur für Anleger und Journalisten, sondern auch für die Finanzaufsicht. Denn die neuen europäischen Offenlegungsregeln zwingen Produktanbieter zunehmend, ESG-Behauptungen mit Fakten zu belegen.
Und so dient das Aufräumen vor allem dem Ziel, Vorgehensweisen unmissverständlich offenzulegen. Für Vermittler nachhaltiger Finanzprodukte und ihre Kunden ist das eine durchaus erfreuliche Entwicklung. Denn je klarer die Kommunikation, desto weniger besteht die Gefahr, dass sich ESG-Versprechen im Nachhinein als Luftnummer herausstellen.
Autorinnen dieser Ausgabe:

Anne Hünninghaus + Alexandra Jegers
Wir sind Redakteurinnen in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.