ESG report #70: Grüne Kredite | Sterbende Gletscher | Panische Entscheider

Liebe Leserinnen und Leser,

das alte Jahr ist vorbei, das neue hat die Startbox gerade erst verlassen. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen ein frohes neues Jahr 2023!

Achtung, Exkurs: Haben Sie schon einmal von den Raunächten gehört? Das sind die zwölf Nächte zwischen den Weihnachtsfeiertagen und dem 6. Januar. In dieser Mythologie mit keltisch-germanischen Wurzeln ist die Göttin Perchta eine zentrale Figur, auch als Märchengestalt Frau Holle bekannt. Perchta-Holle verlangt, dass Menschen während der Raunächte jede Arbeit ruhen lassen. Sie sollen achtsam mit sich und der Umwelt umgehen. Ansonsten ziehen sie im neuen Jahr den Zorn von Dämonen auf sich. In diesem Sinne hoffen wir, dass Sie sich in der Zeit gut erholt haben. Dämonen braucht schließlich kein Mensch.

Jahreswechsel sind Zeit für Aus- und Rückblicke. Letzteres wollen wir heute noch mal tun - und stellen fest: Das Jahr 2022 war zumindest für grüne Finanzierungen kein schlechtes. Anders als für die CO2-Bilanz, wie wir im letzten Schluck zeigen.

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Thema der Woche

Grüner wird's doch noch

Das Lieferkettengesetz ist da. Der Markt für grüne Finanzierungen und Anlageprodukte wächst. Unternehmen müssen ihre grüne Performance weiter verbessern. Nur so bleiben sie handlungsfähig und bewahren das Vertrauen der Investorinnen. Die Greenwashing-Skandale der jüngeren Vergangenheit betrafen zwar in erster Linie Fondsverwalter, die Fonds zu Unrecht als nachhaltig oder grün labelten. Die Kritik richtete sich aber auch gegen jene Unternehmen, die in den Portfolios der vermeintlich grünen Fonds auftauchten: Deren Produkte oder Geschäftspraktiken verstießen schließlich gegen Klima- und Umweltschutzabkommen, Menschenrechte oder Prinzipien der guten Unternehmensführung.

In dieser Gemengelage profitieren Unternehmen gleich doppelt von einer ESG-gebundenen Fremdfinanzierung. Solche Finanzierungen koppeln die Zinsen an Nachhaltigkeitsziele und ökologische Projekte. Anders gesagt: Wer nachhaltiger wirtschaftet, erarbeitet sich eine bessere Ausgangsposition am Markt, bekommt billigere Kredite.

Die Zinsersparnis orientiert sich in der Regel am CO2-Einsparpotenzial. Unternehmen qualifizieren sich, indem sie beispielsweise energieautarke Produktions- und Logistikstandort planen, die CO2-Emissionen im Gütertransport oder in ihrer Lieferkette reduzieren. Auch andere Nachhaltigkeitsziele können Konzerne mit ESG-gebundenen Krediten oder Anleihen finanzieren, etwa mehr Recycling, weniger Abfall oder den Ausbau erneuerbarer Energie.

Das Volumen aller nachhaltigen Finanzierungsinstrumente wächst in Deutschland kontinuierlich. Noch im Jahr 2017 lag es bei nur 11 Milliarden Euro. ESG-gebundene Kredite spielten damit keine bedeutende Rolle. Im Jahr 2021 sah das schon ganz anders aus: Das gesamte grüne Finanzierungsvolumen lag nun bei 94 Milliarden Euro. ESG-gebundene Finanzierungen belegen mittlerweile den nach Volumen zweiten Platz aller nachhaltigen Finanzierungen in Deutschland.

Bei den Konsortialkrediten (das sind Darlehen, die eine Gruppe von Banken gemeinsam gewährt) ist der Marktanteil der ESG-Kredite hoch. So stieg ihr Anteil von 2 Prozent im Jahr 2018 auf 20 Prozent im Jahr 2022.

Unternehmen nutzen zunehmend ESG-gebundene Finanzierungen und das auch für hohe Volumina. Nachvollziehbar, denn je höher die Finanzierungssumme, desto mehr macht sich der Zinsrabatt bezahlt. Die Nachhaltigkeitsziele rentieren sich ebenfalls: Entweder direkt durch Energieeinsparungen und effizientere Prozesse oder lang- bis mittelfristig durch eine verbesserte Marktposition und Compliance mit aktuellen und künftigen Nachhaltigkeitsgesetzen. Wenn das mal nicht eine echte Win-Win-Situation ist.

Köpfe der Woche

Die spannendsten Wechsel aus der Branche

  • Die GLS Bank holt zwei neue Vorstände: Zum einen rückt der bisherige Controlling-Abteilungsleiter Michael Ahlers ins oberste Führungsgremium auf und verantwortet dort ab Januar Gesamtbanksteuerung und Kreditsicherung, die frühere Commerzbankerin Sonja Peter kommt als Chefin fürs Retailbanking.
  • Wiwin, eine Plattform für ESG-Investments, hat René Theis zum zweiten Geschäftsführer ernannt. Seit dem 1. Januar leitet der 38-Jährige gemeinsam mit Wiwin-Gründer und -Geschäftsführer Matthias Willenbacher das Mainzer Unternehmen, das sich auf nachhaltige Investments spezialisiert hat. Bald solle das Führungsgremium durch ein weiteres Mitglied verstärkt werden, während sich Willenbacher aus dem operativen Geschäft zurückziehen wird.
  • Die frühere DWS-Managerin Desiree Fixler, die als Whistle-Blowerin die „Greenwashing-Affäre“ bei der Deutsche-Bank-Tochter losgetreten hatte, wird nun Beirätin bei der britischen Finanzmarktaufsichtsbehörde – passenderweise als Teil des „ESG Committee“.


Auf einen Blick
Nachhaltigkeit belebt das Fusionsgeschäft

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Die Optimierung der Geschäftsmodelle unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten dürfte das M&A-Geschäft in Zukunft ankurbeln.

ESG-Schuldscheine sind im Kommen

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Immer mehr Unternehmen setzen auf Schuldscheine mit Nachhaltigkeitsbezug. Das war 2022 zu beobachten. 2023 könnte der Anteil auf mehr als die Hälfte aller Emissionen ansteigen.

Studie: Fast jeder zweite Gletscher bei 1,5 Grad Erwärmung verloren

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Bis spätestens 2050 werden alle Gletscher in Deutschland geschmolzen sein – bei 1,5 Grad Erderwärmung.

Ein letzter Schluck

Zeit für Panik

Grüne Skipisten, 16 Grad im Dezember, und die Klimaziele für 2022 hat Deutschland auch nicht erreicht. So richtig schockiert sind die Wenigsten, obwohl es eigentlich Grund genug zur Sorge gäbe: Der Klimawandel schreitet voran. Laut der Denkfabrik Agora Energiewende stagnieren die Emissionen in Deutschland auf einem viel zu hohen Niveau. Wir sind zu langsam.

Doch eine richtige Dynamik im Kampf um unsere Erde will nicht so recht aufkommen – zumindest nicht in Wirtschaft und Politik. Zwar ist der Energieverbrauch laut Agora im vergangenen Jahr um 4,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken, unter anderem wegen massiver Preissteigerungen bei Erdgas und Strom sowie einer milden Witterung. Der stärkere Einsatz von Kohle und Öl hat die Emissionsminderungen durch Energieeinsparungen jedoch zunichtegemacht. Das Ergebnis: Deutschland hat seine Reduktionsziele für 2022 verfehlt. Die Emissionen stagnierten bei 761 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten.

"2022 sind die Klimaziele aufgrund kurzfristiger Maßnahmen für die Energiesicherheit ins Hintertreffen geraten”, kritisiert Agora-Direktor Simon Müller. Anders gesagt: Der Krieg hat die Moral verzehrt. 2023 müsse die Regierung die Trendwende schaffen. Bisher gibt es zwar viele Vorhaben, Maßnahmen werden diskutiert, Verantwortung hin und her geschoben. Doch passiert ist wenig. Bleibt zu hoffen, dass die Entscheider im neuen Jahr zumindest ein bisschen in Panik verfallen.

Diese Ausgabe stammt von:

Lilian Fiala + Christina Keppel

Lilian Fiala + Christina Keppel

Wir sind Redakteurinnen der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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