ESG report #68: Fonds-Umbenennungen | Nachhaltige Weihnacht | Krieg als Energiewender
Liebe Leserin, lieber Leser,
In der ESG-Welt ist gerade einiges in Bewegung: In den vergangenen Wochen haben etliche Anbieter ihre Fonds auf der Nachhaltigkeitsskala zurückgestuft und das Ende der Fahnenstange ist wahrscheinlich noch nicht erreicht.
Hintergrund sind verschärfte Vorgaben, die der Branche bald ins Haus stehen. Hier schürt vor allem ein Gedanke der EU-Wertpapieraufsicht ESMA die Unsicherheit, der darauf abzielt, für Artikel 9-Fonds künftig eine 100-Prozent-Quote an nachhaltigen Investments verbindlich zu machen. Im Zuge dessen könnten auch zahlreiche Umbenennungen bei Fonds anstehen: Nachhaltigkeit im Produktnamen darf nämlich nur dann erwähnt werden, wenn tatsächlich Nachhaltigkeit drin ist.
Im Letzten Schluck geht es um eine vorweihnachtliche frohe Botschaft zur Energiewende.
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Ihre ESG-Redaktion

Name-Wechsele-Dich: ESG-Fonds
Wie schnell man Nachhaltigkeits-Versprechen relativieren kann, zeigt der Blick auf die Fondsbranche. Hier haben in den vergangenen Wochen zahlreiche Anbieter ihre vermeintlich dunkelgrünen Artikel 9-Fonds auf die hellgrünere Artikel 8-Variante der Offenlegungsverordnung (SFDR) heruntergestuft, wie Morningstar ermittelt hat: Das betrifft BlackRock, genauso wie die DWS, die Allianz-Tochter Pimco, Deka Investments oder Amundi.
Damit kommen sie schärferen regulatorischen Vorgaben zuvor, die der Branche zeitnah von verschiedenen Seiten ins Haus stehen – und die Sorge vor höheren Haftungsrisiken schüren. So tritt am 1. Januar 2023 die nächste Stufe der EU-Taxonomieverordnung in Kraft. Im Zuge dessen rücken vier neue Umweltziele auf die Agenda, welche die Branche berücksichtigen soll. Dabei handelt es sich um
- die Vermeidung und Kontrolle der Umweltverschmutzung,
- den Schutz der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme,
- den Schutz der Wasser- und Meeresressourcen
- und den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft.
Die geforderten Auflagen werden für die Branche also strikter – während gleichzeitig noch immer keine verbindlichen Standards dafür existieren, was als nachhaltig bezeichnet werden darf. An diesem Punkt will die europäische Marktaufsichtsbehörde ESMA künftig gezielt ansetzen. Sie arbeitet an klaren und messbaren Kriterien, anhand derer sich überprüfen lässt, ob Fondsmanager wirklich so nachhaltig investieren, wie ihre Produkte es – gemäß ihrer Einordnung – versprechen. Damit soll die Möglichkeit zum Greenwashing ausgebremst und die Aussagekraft des ESG-Kürzels gestärkt werden.
Namen werden verbindlicher
Dabei wird auch ein besonderes Augenmerk auf die Selbstbezeichnungen der Fonds gelegt. Künftig sollen sich nur noch jene mit Zusätzen wie ESG oder nachhaltig im Namen schmücken dürfen, die dieses Versprechen auch tatsächlich einlösen können. Hier soll die Messlatte relativ hoch angesetzt werden. So steht bei Artikel 9-Fonds sogar eine mögliche 100 Prozent-Quote im Raum. Heißt: nur solche Fonds könnten sich dann noch als Artikel 9-Vehikel bezeichnen, die komplett und belegbar nachhaltig investiert sind. Das würde das entsprechende Produktuniversum rapide verkleinern, denn aktuell würden weniger als fünf Prozent diese Auflagen erfüllen, wie eine Auswertung von Morningstar ergeben hat.
Die Pläne der ESMA reichen aber noch weiter. So sollen sich künftig nur noch jene Fonds in ihrem Produktnamen als nachhaltig bezeichnen dürfen, die mindestens 80 Prozent ihrer Investitionen auch tatsächlich in den Bereichen halten. Gleiches gilt auch für Fonds, die in ihrer Namensbezeichnung Varianten, Synonyme oder Kombinationen verwenden, die auf das Wort Nachhaltigkeit hindeuten. Die Crux daran: die Investments müssen nicht nur der eigenen Definition von Nachhaltigkeit entsprechen – die mangels fehlender verbindlicher Standards bisher noch relativ lax ausgelegt werden kann – sondern auch denen der EU-Definition. Im Fall einer Diskrepanz und Nichteinhalten der verlangten Quote müssten die Fondsmanager entweder ihr Portfolio umschichten oder den Fondsnamen ändern.
Etwas weniger hoch aber trotzdem noch streng wird die Messlatte bei Fonds angelegt, die in ihrem Namen das Kürzel ESG nutzen. Hier müssen mindestens 80 Prozent der Investitionen der beschriebenen, hauseigenen Anlage-Strategie entsprechen. Marktbeobachter gehen davon aus, dass es als Folge dieser strengeren Auflagen in der nächsten Zeit zu zahlreichen Umbenennungen kommen wird. Dabei dürfte auch ein weiterer – mit der anziehenden Regulierung zusammenhängender – Umstand eine Rolle spielen: Denn ab dem nächsten Jahr müssen sich Fondsanbieter für das abgelaufene Geschäftsjahr strikter und erstmals auch mit verschriftlichen Daten über ihre ESG-Politik äußern. Dadurch steigt das Risiko, dass Prüfer immer sensibler für Abweichungen zwischen Anspruch und Wirklichkeit werden.
Was gibt es für Berater zu tun?
Berater sollten diese Entwicklungen auf dem Schirm haben und vorausschauend handeln. So kann es sich als Vorteil erweisen, das Produktuniversum schon mal in eigener Sache mit Blick auf verschärfte Auflagen zu untersuchen und potenzielle Namens-Wechsel-Kandidaten zu identifizieren. Damit man dem Kunden im Gespräch schnell und umfassend die geeigneten Anlagekandidaten präsentieren kann – denn die Pflicht zur Nachhaltigkeitspräferenz-Abfrage bleibt.

Was uns diese Woche noch auffiel

Immer wieder intransparente ESG-Kriterien: Jetzt soll es die KI richten
Es ist bekannt: Bei den Produkten der Finanzindustrie mangelt es Informationstransparenz. Nun soll künstliche Intelligenz helfen, unlautere Klimaversprechen zu entlarven.

Energie aus Nuklearfusion: Was dran ist am Hype
Die Schlagzeilen zu einen wissenschaftlichen Etappensieg bei der Kernfusion bestimmten in den vergangenen Tagen die Schlagzeilen. Forbes erklärt nun in einem Special, was genau dahintersteckt - und wie sauber die Zukunftsenergie sein könnte.

Nachhaltige Weihnacht: Tipps vom Domradio
Bäume mit Biosiegel, Lichterketten ohne Batterie, Kalenderseiten als Geschenkpapier. Diese und weitere kreative Ideen für ein umweltfreundliches Weihnachtsfest gibt es hier.

Beyond Petroleum: Wie ausgerechnet der Krieg die Energiewende bringen könnte
Zu den Ärgernissen der dieser Tage populären Jahresrückblicke gehört aus Sicht von Nachhaltigkeitsfreunden sicherlich der Blick in die Branchen-League-Tables von 2022. Denn das Jahr dominierten zwei tiefbraune Industrien: Waffenhersteller und Produzenten fossiler Energie. Demgegenüber gerieten Solar- und Windkraftbetreiber ins Hintertreffen. Der Grund: In der akuten Energiekrise priorisieren Regierungen weltweit Energiesicherheit und Erschwinglichkeit, und sei es auch auf Kosten der Nachhaltigkeit. Die neuen LNG-Terminals an der deutschen Küste sind das beste Beispiel für diese Entwicklung.
Paul LaCoursiere und Bhaskar Sastry, ESG-Chef und ESG-Manager beim Fondsanbieter Janus Henderson Investors, verkünden nun in einer klugen Analyse zum Jahreswechsel eine frohe Botschaft. Sie lautet: Wenn erst der Winter geschafft ist und volle Gasspeicher in Aussicht, dann werden die Regierungen sich endlich auf die Förderung erneuerbarer Energien konzentrieren. Das Kalkül dahinter: Es wird immer gefährlicher, auf eine Versorgung mit Strom und Wärme aus Kohle und Gas zu setzen:
Angesichts der Aussicht auf anhaltend hohe Energiepreise und mögliche Stromausfälle werden die Argumente für netzgebundene und netzunabhängige erneuerbare Energien, die saubere, dezentrale Energie liefern, immer attraktiver.
Zugleich sind die Kosten für den Bau neuer Solar- und Windparks zuletzt massiv gesunken. Die laufenden Kosten für die Energiegewinnung gehen ohnehin gegen Null. Die Anlagen sind damit in der Lage, selbst in einem stagflationären Umfeld stabile Ergebnisse zu liefern, erklären die beiden: "Ist die Infrastruktur erst einmal geschaffen, können die Preise für erneuerbare Energien weiter sinken. Investoren erkennen allmählich, dass dieser Kostenvorteil die Dynamik zugunsten der erneuerbaren Energien verschiebt."
Das Jahr 2023 könnte also das erste werden, in dem auf breiter Front Subventionen von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umgelenkt werden. Gas bliebe dann das, was die hiesige Regierung schon länger verspricht: eine Brückentechnologie. Na dann: Frohes Fest!
Diese Ausgabe stammt von:

Imke Reiher + Olaf Wittrock
Wir sind Redakteurin und Partner der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.