ESG report #67: Grüne Hindernisse | Hummerfang | CO2 auf der Baustelle

Liebe Leserinnen und Leser,

es ist an der Zeit, dass wir den Worten Taten folgen lassen. Die Bundesregierung bleibt uns das jedoch in Sachen Klimaschutz und Ausbau erneuerbarer Energien schuldig, sagt Markus Voigt, CEO des grünen Asset Managers aream Group:

"Es ist eine Bundesregierung mit grüner Beteiligung, die sich als die größte Bremse für den Ausbau erneuerbarer Energien erweist", lautet sein vernichtendes Urteil. "Angekündigt wurde viel, konkretisiert fast nichts."

Insbesondere das Osterpaket hätte hier richtungsweisend sein können. Doch der erhoffte Schub für erneuerbare blieb aus. Wir sprechen mit Herrn Voigt über den Stand der Dinge und was er sich von der Ampel-Regierung wünschen würde.

Weiter unten geht's mal wieder ums Greenwashing, um einen überaus US-amerikanischen Kulturkampf und um die Klimabilanz der Bauwirtschaft.

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Ihre ESG-Redaktion

Im Gespräch
Markus W. Voigt (c) Thomas Hopp

Interview mit Markus W. Voigt, CEO der aream Group

Herr Voigt, Stichwort Osterpaket: Welche Fortschritte gab es seither und welche Versprechen blieben unerfüllt?

Die einzige Maßnahme, die sofort umgesetzt wurde, ist die Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher durch eine Finanzierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) über den Bundeshaushalt. Dieses wird zum 1. Januar 2023 inkrafttreten. Die Genehmigungszeiten wurden hingegen noch kaum spürbar verändert.

Wie läuft die Diskussion rund um das Thema Über- und Zufallsgewinne?

Manches läuft gut, allerdings gibt es auch Widerstand. Die zunächst angedachte rückwirkende Abschöpfung von Übergewinnen hat die Regierung mittlerweile abgemildert. So soll das Modell ab 1. Dezember 2022 greifen und zunächst bis 30. Juni 2023 befristet sein. Eine Verlängerung ist allerdings nicht ausgeschlossen.

Die abzuschöpfenden Überschusserlöse sollen grundsätzlich anhand der Preise am Spotmarkt ermittelt werden. Im Fall von Windkraft und Photovoltaik erfolgt das auf Basis der spezifischen Monatsmarktwerte. Mit den Einnahmen aus der Übergewinn-Abschöpfung will die Regierung Entlastungspakete für Stromverbraucher refinanzieren. Das ähnelt dem Mechanismus, der in der Vergangenheit schon für die Erhebung der EEG-Umlage angewandt wurde. Einnahmen und Ausgaben fließen somit bei den Übertragungsnetzbetreibern zusammen.

Wie lauten Ihre Forderungen an die Ampel-Koalition?

Wir plädieren dafür, dass die Bundesregierung schnell Klarheit schafft, egal mit welchen Details. Sie sollte die im Osterpaket entschiedenen Punkte auch wirklich umsetzen und dafür sorgen, dass die Maßnahmen bei den lokalen Kommunen und Behörden ankommen. Nur so können wir Investitionshemmnisse abbauen und den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland beschleunigen.

Mein Tipp für Vertriebler und Beraterinnen:

Wer als Berater im Kundengespräch kritisch auf das Thema angesprochen wird, kann folgendermaßen argumentieren: Erneuerbare Energien sind ein unumkehrbarer Megatrend. Die Klimapolitik baut auf den Ausbau der erneuerbaren Energien, genauso wie die Politik zur Energieunabhängigkeit in Europa. Darüber hinaus führt ein steigender Strombedarf durch E-Mobilität, Sektorkopplung und Digitalisierung zu einer größeren Nachfrage nach grüner Energie in den kommenden Jahrzehnten.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

DWS-Whistleblowerin Desiree Fixler plaudert übers Greenwashing

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Die einstige Nachhaltigkeitschefin der DWS Desiree Fixler ist inzwischen als Whistleblowerin bekannt, nachdem sie bei Ermittlungsbehörden in den USA und in Europa Missstände beim DWS-Nachhaltigkeitsmanagement anprangerte. Nun hat sie der deutschen NGO Bürgerbewegung Finanzwende ein langes Interview gegeben, in dem sie unter anderem beschreibt, worauf Verbraucherinnen und Verbraucher achten können, um nicht auf vollmundige Versprechen hereinzufallen. Sehenswerte 75 Minuten.

Hummer aus Maine: Gourmets als Wal-Sterbehelfer?

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Wer Wale retten will, sollte keinen Hummer essen. Das sagen inzwischen viele US-Amerikaner. Andere lieben die Spezialität, und so tobt ein Kulturkampf. Gegner sagen: Immer wieder verfangen sich bedrohte Meeressäuger in Reusen, Fallen und Leinen der Lobster-Fischer. Die entgegnen: Nachweise, dass Wale in den Netzen sterben, fehlen. Deshalb sei Walschutz keine besondere Aufgabe für die Hummerfischer: "Wir könnten genauso gut Kängurus retten."

Biodiversität: So lässt sich die Natur noch retten

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Auf der 15. Weltnaturkonferenz in Kanada ringen die Teilnehmerstaaten noch bis zum 19. Dezember um Lösungen für die Krise der biologischen Vielfalt. Experten fordern, mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresfläche dauerhaft unter Schutz zu stellen. In einer großen Reportage geht der Spiegel der Frage nach: Wie kann das gelingen?

Ein letzter Schluck

Das Leben ist eine dreckige Baustelle

Was schimpfen wir nicht immer über die ESG-Maßstäbe der Ratingagenturen: Jede macht sich ihre eigenen Kriterien, die Bewertungsmaßstäbe sind unscharf, die Siegel und Noten mehr Marketing als Ausweis nachhaltiger Güte. Doch ganz ehrlich: Was wären wir ohne die Agenturen? Mit Sicherheit um viele Marktdaten ärmer. Zumal die Fitchs und Moodys dieser Welt ja nicht nur einzelne Adressen bewerten, sondern auch ganze Branchen und Sektoren durchleuchten.

Ein Ausweis besonderer Leuchtkraft gibt der jüngste Report von Scope Ratings zum Thema ESG in der Bauwirtschaft. Das Papier ist Teil einer Reihe empfehlenswerter kompakter Erklärstücke zu den Kreditrating-Maßstäben in großen Industrien: Luftfahrt, Pharma, Versorger, Minen - sie alle waren schon dran. Nun also die europäische construction and construction materials industry, kurz CCM - oder auf Deutsch: die Bauwirtschaft und die Hersteller von Baumaterialien. Und ohne zu viel zu verraten, denn die Lektüre lohnt tatsächlich: Die Bauwirtschaft hat in Sachen ESG noch eine ganze Menge Probleme Potenzial. Denn, und dieses Ausmaß hat uns zugegebenermaßen dann doch überrascht:

  • Die Bauindustrie war im Jahr 2021 für 39 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.
  • Sie stand für 32 Prozent des Verbrauchs an natürlichen Ressourcen.
  • Abrissschrott und Bauabfälle machen etwa ein Drittel des kompletten Abfalls in Europa aus.

Damit liegen die Emissionen vom Bau noch höher als die Emissionen in China, von denen indes wiederum auch ein großer Anteil vom Bau stammt. Anders gesagt: Der weltweite Bauwahn schlägt sogar Chinas Umweltsünden. Scopes Schlussfolgerung: Solange wir uns nur darauf konzentrieren, auf erneuerbare Quellen zur Energieversorgung umzustellen, lassen wir fast die Hälfte der CO2-Emissionen unangetastet - nämlich den Verbrauch, der draufgeht bei der Gewinnung von Baumaterialien wie Zement und Beton, Stein, Stahl, Holz, Glas, Kunststoff, Aluminium und Verbundwerkstoffe. Vieles davon stammt aus endlichen Rohstoffen, der Abbau schädigt die Umwelt genauso wie die späteren Abfälle.

Kreislaufwirtschaft, Recycling, Abfallmanagement und Upcycling lauten die Schlagworte, um in der Bauwirtschaft gegen die Klimakrise zu bestehen. Packen wir es an!

Diese Ausgabe stammt von:

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Wir sind Redakteure der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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