ESG report #66: Wieder mal Greenwashing I FNG-Siegel I ESG-Bürokratie

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn Ihnen jemand berichten würde, dass viele ESG-Fonds gar nicht so richtig grün sind, würde Sie das wahrscheinlich kaum überraschen. Woche für Woche berichten wir hier schließlich über die Unzulänglichkeiten des Marktes, weiche Definitionen und fehlende Standards. Nun hat das Handelsblatt gemeinsam mit anderen europäischen Redaktionen Portfolios europäischer Artikel-9-Fonds überprüft. Das Ergebnis ist so traurig wie erwartbar: Viele Vermögensverwalter missbrauchen die EU-Taxonomie, um Fonds ein glaubwürdiges grünes Label zu verpassen. Das ist Greenwashing, wie es im Lehrbuch steht.

Die stolzen frisch gekürten Träger des FNG-Siegels sind womöglich nicht betroffen. Auch darüber berichten wir heute. Und es geht um ominöse agile Transformationsteams für mehr Nachhaltigkeit, die die Regierung derzeit ins Rennen schickt.

Wir wünschen viel Spaß bei der Lektüre! Wie immer freuen wir uns über Ihr Feedback an redaktion@esg-report.de – und natürlich über Ihre Weiterempfehlung.

Ihre ESG-Redaktion

Thema der Woche

Greenwashing par excellence

Man nehme acht große europäische Medienhäuser, darunter das Handelsblatt, und zwei investigative Online-Plattformen (Follow the Money und Investico). Dann lade man bei Bloomberg die Portfolio-Daten von über 800 vermeintlich dunkelgrünen Artikel-9-Fonds herunter. Im nächsten Schritt vergleiche man diese Portfolios mit Datenbanken, die Investitionen in Kohle und Öl dokumentieren (Urgewald und Global Bonds Initiative).

Heraus kommt – Sie ahnen es – nichts Gutes.

Das Ergebnis heißt Global Green Investment Investigation (GGII) und ist ein Lehrstück zum Thema Greenwashing: Fast die Hälfte der per EU-Verordnung als dunkelgrün gelabelten Fonds investiert demnach in klimaschädigende Wirtschaftszweige wie Öl, Kohle und Luftfahrt. Laut GGII betrifft das europaweit ein Anlagevolumen von 8,5 Milliarden Euro, die zwar grün gelabelt sind, aber grau-schwarz investiert.

Fossile Profiteure

Auch jeder zweite der 547 Fonds aus dem Datenpool, die in Deutschland erhältlichen sind, investiert in klimaschädliche Geschäftsfelder. Das betrifft allein bei uns ein Anlagevolumen von rund fünf Milliarden Euro. Einer der fossilen Profiteure der vermeintlich grünen Anlagestrategie ist das deutsche Unternehmen RWE. Der Essener DAX-Konzern räumt im rheinischen Braunkohlerevier ganze Dörfer, Wälder und zuletzt auch Windräder aus dem Weg, um Braunkohle zu fördern.

Klima-Schlusslicht RWE knüpfte jüngst an den nun vorgezogenen Kohleausstieg zum Jahr 2030 sogar weiterer Abbaurechte. Ein Schelm, wer unterstellt, dass dem Management die eigenen Boni wichtiger sind als das Weltklima. Vermeintlich grüne Investoren greifen trotzdem zu: Fünf selbsternannte dunkelgrüne Fonds halten RWE-Anteile im Wert von insgesamt 530 Millionen Euro.

Dünnes Eis

Für die Fondsmanager lohnt sich das: Nachhaltige Anlagen sind beliebt, seit dem Jahr 2019 hat sich das grüne Anlagevolumen laut Umweltbundesamt mehr als verdoppelt. Nun sollte das Regelwerk aus Brüssel eigentlich Greenwashing verhindern, indem es Kriterien für nachhaltige Investitionen definiert. Ob die eingehalten werden, müssten die Aufsichtsbehörden der EU-Länder kontrollieren.

Zu den Ergebnissen der GGII erklärt die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (Bafin) gegenüber dem Handelsblatt schriftlich:

Da die Verordnung neben Umweltzielen auch soziale Ziele umfasst, könnte dies im Ergebnis bedeuten, dass die Investitionen nicht zwingend klimafreundlich sein müssen.

Nach Logik der Bafin könnten Portfoliomanager also ein Minus bei Klimafragen durch ein Plus für eine gute Mitarbeitenden-Policy ausgleichen. Leider wird ein Kohle-Investment auch dann nicht klimafreundlicher, wenn der Vorstands weiblich dominiert würde und Mitarbeitende regelmäßig Fortbildungen absolvierten.

Das Eis, auf dem die Bafin mit den sozialen Zielen argumentiert, ist dünn. Die NGO Südwind kritisiert die sozialen Aspekte der EU-Verordnung als zu schwach. So schaffe die Taxonomie beispielsweise keine verbindlichen Menschenrechts-Standards für Kapitalströme.

Die Lage ist klar: Wo grün draufsteht, müssen Kohle, Öl, Waffen und Menschenrechtsverletzungen draußen bleiben. Einige Vermögensverwalter rudern nun zurück und reduzieren die Zahl ihrer Artikel-9-Fonds. Letztlich führt das Verhalten der Branche zu Punktabzug bei der Glaubwürdigkeit von ESG. Damit schaden die Fondsanbieter dem Klima genauso viel wie sich selbst.

Zahl der Woche

291

Finanzprodukte, die sich einer wissenschaftlichen Prüfung unterzogen haben, wurden vergangene Woche mit dem unabhängigen FNG-Gütesiegel ausgezeichnet. Insgesamt verwalten sie ein Vermögen von 110 Milliarden Euro. 112 Häuser hatten sich mit ihren Produkten beworben, 310 Fonds, ETFs und erstmals auch Vermögensverwaltungen ließen sich von der Sustainable Finance Research Group der Universität Hamburg prüfen. Welche Produkte die Mindeststandards für das Siegel erfüllen (0 Sterne) und welche darüber hinaus mit zwischen einem und drei Sternen ausgezeichnet wurden, können Sie der Fondsliste hier entnehmen.

Auf einen Blick
Nachhaltiges Investieren: „Ernüchterung eingekehrt“

Nachhaltiges Investieren: „Ernüchterung eingekehrt“

Rolle rückwärts? Immer mehr Anbieter stufen ihre Öko-Fonds zurück, die ESG-Euphorie wird gedämpft. Einen Grund macht das Handelsblatt in der Angst aus, beim Greenwashing ertappt zu werden. So müssen Fonds ab 2023 für das abgelaufene Geschäftsjahr mit standardisierten Daten zu ihrer ESG-Politik berichten.

Versicherer in der Findungsphase

Versicherer in der Findungsphase

In Diskussionen mit Vertretern aus der Versicherungswirtschaft zum Thema ESG begegnen Assekurata-Geschäftsführer Reiner Will "des Öfteren Verunsicherungen und Fehlinterpretationen". Wo hakt es noch?

"Vermittler müssen sich auf Aussagen der Anbieter verlassen können"

"Vermittler müssen sich auf Aussagen der Anbieter verlassen können"

Wer trägt die Last der ESG-Verantwortung? Der Vermittlerverband Votum fordert anlässlich der Konsultation zur Änderung der FinVermV vom Bundeswirtschaftsministerium Rechtssicherheit für Berater.

Ein letzter Schluck

Deutsche Transformers

Pünktlich zum Monatswechsel hat unser Bundeskabinett hinterm ersten Adventskalendertürchen einen Grundsatzbeschluss zur Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie versteckt. Das 30-Seiten-Papier wurde gestern hier veröffentlicht, Vorwort des Kanzlers inklusive. Wir lernen: Sieben Transformationsteams widmen sich seit Kurzem ressortübergreifend den folgenden Bereichen:

Screenshot: Grundsatzbeschluss, S. 8

Die sieben Teams zu den sechs Themen wiederum orientieren sich an den 17 Zielen der UN, also der Agenda 2030, zu der sich auch Deutschland bekannt hat. Alles in allem wird ein zweistufiger Prozess angestrebt, der sich fünf Hebel der Transformation zunutze macht (Governance, Gesellschaftliche Mobilisierung und Teilhabe, Finanzen, Forschung, Innovation und Digitalisierung sowie Internationale Verantwortung und Zusammenarbeit). Ähh, wie bitte? Ist Ihnen alles zu kompliziert? Na, das ist laut unserer Regierung aber schon die abgespeckte Bürokratie-Light-Variante:

Im Koalitionsvertrag wurde mit Blick auf die Verwaltungsmodernisierung die Einführung fester ressort- und behördenübergreifender agiler Projektteams und Innovationseinheiten mit konkreten Kompetenzen vorgesehen. Alle sieben Transformationsteams (TT) nehmen ihre Arbeit bis Ende 2022 auf.

Die Nachhaltigkeitsstrategie für Deutschland (Abkürzung: DNS) illustriert eher weiter farbenfroh, dass agiles Projektmanagement nicht unbedingt in der DNA des deutschen Regierungsapparats liegt. Immerhin: 2023 soll es konkret werden, angefangen beim Klimaschutz, endend mit der schadstofffreien Umwelt und nachhaltigen Agrarsystemen. Und die, die sich mit den Themen befassen, stehen auch schon fest. Mit Blüte der ersten Krokusse dürfen wir laut Plan auf neue Beschlüsse für eine nachhaltige Zukunft hoffen. Wie die Entwicklung voranschreitet, das wird dann anhand von 75 Schlüsselindikatoren in 39 Bereichen gemessen.

Scheint, als hätten wir ein neues Nachhaltigkeitsmonster erschaffen.

Diese Ausgabe stammt von:

Anne Hünninghaus + Christina Keppel

Anne Hünninghaus + Christina Keppel

Wir sind Redakteurinnen der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

_______________________________________________

Subscribe to ESG report

Don’t miss out on the latest issues. Sign up now to get access to the library of members-only issues.
jamie@example.com
Subscribe