ESG report #65: Lernen vom ESG-Youtuber I Ex-Greenpeace Vorständin bei JLL I Greenwashing bei Adidas
Liebe Leserinnen und Leser,
wie schließt man eine Spülmaschine an? Wie gelingt das cremigste Rührei? Viele von uns haben bei Alltagsfragen schon mal Rat bei Youtube gesucht. Beim Thema Finanzen sind vor allem jüngere Zielgruppen an Videoanleitungen selbsternannter "Finfluencer" interessiert. Einer von ihnen ist der 28-jährige Johann. Er hat sich mit seinem Kanal explizit auf nachhaltiges Investieren spezialisiert. Wir haben ihm ein paar Fragen gestellt und um Tipps für die Beratung gebeten.
Außerdem geht es diese Woche um einen überraschenden Wechsel zu JLL und um die fadenscheinige Moral der Sportartikelhersteller.
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Ihre ESG-Redaktion

Lehrstunde vom ESG-Youtuber

„Hi! Ich bin Johann und mit diesem Youtube-Kanal versuche ich die Welt des nachhaltigen Investierens zu erklären und auch zu hinterfragen.“ So beginnen die zwischen 5 und 17 Minuten langen Videos eines jungen Hamburgers. Johann, der online nur mit seinem Vornamen auftritt, ist kein Finanzberater, sondern Psychologe. Er arbeitet hauptberuflich bei einem Marktforschungs-Startup.
Privat interessiert sich der 28-Jährige für nachhaltiges Investieren. Da das nicht-kommerzielle Angebot zu diesem Thema bei Youtube begrenzt ist, hat er sich im langen Corona-Winter 2020/21 dazu entschieden, andere an seinen Recherchen dazu teilhaben zu lassen. Sein Kanal "Nachhaltig investieren" hat inzwischen 2750 Abonnenten. "In der Influencer-Welt ist das jetzt keine besonders beeindruckende Zahl", sagt er. Aber da er einer der wenigen ist, die sich dem Thema explizit widmen, wird er schnell gefunden. Andere selbsternannte Finfluencer produzieren nämlich nur ab und zu ESG-Inhalte.
Wir haben Johann ein paar Fragen zu seinem Kanal gestellt.
Hallo Johann, mit welcher Motivation hast du dich auf dieses Thema gestürzt?
Johann: Als ich mein eigenes Portfolio nachhaltig gestalten wollte, hat meine damalige Finanzberaterin mir nicht auf alle meine Fragen zufriedenstellende Auskünfte geben können. Deshalb habe ich mich selbst eingelesen und mit Freunden darüber ausgetauscht. In meinem Bekanntenkreis gibt es viele Menschen, denen Nachhaltigkeit auch bei ihren Finanzen wichtig ist.
Wie identifiziert du für deine Zielgruppe relevante Themen?
Ich überlege mir, welche Fragen mich selbst am Anfang umgetrieben haben. Dann mache ich regelmäßig Keyword-Analysen: Was sind die häufigsten Suchanfragen zu nachhaltigen Finanzen bei Google und Youtube? Gibt es dazu ausreichend Content im Netz? Schließlich werte ich Kommentare meiner Community aus. Hier gibt es auch immer mal wieder Wünsche, was ich als nächstes behandeln soll.
Welche Inhalte laufen besonders gut?
Am Anfang bin ich thematisch sehr in die Breite gegangen, habe zum Beispiel Videos dazu gemacht, welche nachhaltigen Einzelaktien oder Crowdinvesting-Möglichkeiten es gibt. Aber die meisten Abonnenten wünschen sich Produktanalysen von ESG-Fonds oder ETFs. Und Basisinformationen zur Herangehensweise, beispielsweise: Wie finde ich richtig gute ESG-Produkte? Auch Reviews von Tools, beispielsweise Robodavisor-Vergleiche, werden immer wieder nachgefragt – wobei ich da manchmal im Verdacht habe, dass womöglich Marketingleute der Anbieter dahinter stecken...
Ist dein Kanal komplett unabhängig? Oder gehst du Kooperationen ein?
Ich bin unabhängig gestartet, nach einem Dreivierteljahr bin ich dann Partnerschaften eingegangen, mit Trade Rebublic, Scalable Capital und Tomorrow – drei Anbieter, die ich selbst tatsächlich nutze. Inzwischen fragen Banken und Fintechs regelmäßig an, ob ich mit ihnen zusammenarbeiten will. Ich habe bislang aber nur einmal ein gesponsertes Video gemacht. Mir ist es wichtig, nicht komplett abhängig zu sein. Ich habe auch schon Anfragen abgelehnt.
Es wird immer mehr berichtet über ESG-Anlagemöglichkeiten, auch in der Finanzberatung müssen seit Sommer Nachhaltigkeitspräferenzen abgefragt werden. Warum hat Youtube dan noch eine eigene Relevanz als Informationsquelle?
Ich sehe einen starken Trend, dass gerade junge Leute sich eigenständig informieren wollen. Meinen Kanal schauen vor allem Leute im Alter zwischen 25 und 35. Diese Generation ist besonders interessiert an Nachhaltigkeit. Und sie informiert sich in der Regel erstmal selbst auf Youtube statt sich gleich an einen Berater zu wenden. Außerdem sind sie besonders kritisch in Zeiten, in denen viel Negatives über nachhaltige Anlagen berichtet wird – Stichwort Greenwashing. Aber, und das sage ich auch häufig in meinen Videos: Mein Ziel ist es nicht, andere von irgendwelchen Produkten zu überzeugen. Ich will Menschen befähigen, erst einmal zu verstehen, wie nachhaltiges Anlegen funktioniert, welche Fragen man sich stellen sollte. Ich rate auch häufig: "Verschafft euch einen Überblick und lasst euch im Zweifelsfall vom Profi beraten." Nicht jeder fühlt sich wohl dabei, seine Finanzen komplett allein zu managen.
Wenn du selbst Berater wärest, worauf würdest du im Kundengespräch besonders achten?
Der Nachhaltigkeitsbegriff ist sehr subjektiv geprägt. Daher finde ich es immer eine gute Idee, in einem Beratungsgespräch als erstes zu ergründen, was sich sein Gegenüber genau darunter vorstellt. Was hält die Person von Atomkraft, wie wichtig sind ihr soziale Aspekte? So lässt sich ein individuelles Profil entwickeln, auf dessen Grundlage man erkennen kann, welche Anlageprodukte damit möglichst kongruent sind. Berater sollten aber auch keine Illusionen schüren, es gebe das perfekte Produkt für jeden. Gerade in ETFs stecken trotz diverser Ausschlusskriterien immer auch Titel, die Anlegern unter Umständen Bauchschmerzen bereiten. Hier hilft Transparenz, um gut abwägen zu können.

Von Greenpeace zu JLL
Ein überraschender Wechsel: Zuvor war sie als Vorstandsmitglied bei Greenpeace Deutschland tätig, jetzt leitet Sweelin Heuss das Team Sustainability & ESG Consulting bei Jones Lang Lasalle (JLL) und ist künftig für Nachhaltigkeit und ESG verantwortlich. Heuss war vor ihrem Wechsel zu JLL und nach ihrer Zeit bei Greenpeace beim Burda Verlag tätig. Dort hat sie in den vergangenen Jahren das Programm „For Our Planet“ mit diversen Geschäftsfeldern aufgebaut.


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Das Geschäft mit der Moral
Ein grünes Gewissen lässt sich hervorragend vermarkten. Das haben nicht nur Finanzinstitute erkannt. Bloß erfüllen Produkte, die vermeintlich nachhaltig sind, nur selten ihr Versprechen. Greenwashing ist mittlerweile zu einem echten Problem geworden, und ganz vorne mit dabei ist die Sportartikelindustrie. Die Fußball-WM in Katar bereitet da selbst hartgesottenen Fußball-Fans Bauchschmerzen.
So behauptet Adidas, dass die Trikots der deutschen Fußballnationalmannschaft sowie der offizielle Ball der WM zu 20 Prozent aus recyceltem PET hergestellt sind. Auf dem Ball prangt ein Aufkleber, der zur Adidas-Website "End Plastic Waste" führt. Das Problem: Recherchen des ZDF haben inzwischen gezeigt, dass diese Angabe nur für den offiziellen Spielball gilt, der im Adidas-Shop für 150 Euro zu kaufen ist. Die sogenannten Replica-Bälle, also verschiedene Versionen des WM-Balls fürs Fußvolk und für deutlich weniger Geld sind dagegen komplett aus neuem Plastik gefertigt. Trotzdem befindet sich der Link zur Nachhaltigkeitsseite auch auf diesen Bällen.
Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe findet gegenüber dem Sender dazu klar Worte:
Das halte ich für unanständig und sogar verbrauchertäuschend.
Den Verbraucher täuschen, darin sind große Marken und Vereine echte Profis. Umso wichtiger ist es, dass Verbraucher auf Berater und vertrauensvolle Quellen zurück greifen können, um die Sache mit der grünen Moral zu überprüfen.
Diese Ausgabe stammt von:

Anne Hünninghaus + Lilian Fiala
Wir sind Redakteurinnen der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.