ESG report #64: Tierische Anlageziele | FinVermV | Markus Lanz

Liebe Leserinnen und Leser,

die aktuelle Krise ist ein Lackmustest für die Frage, ob Menschen auch dann noch nachhaltig denken und handeln, wenn es schwerfällt. Aktuell zeigt sich in diesem Sinne bei den Verbrauchern immer häufiger: Der Wille ist da, allein es fehlt der Mammon. Überraschend und relevant für die Anlageberatung ist zu wissen, für welche nachhaltige Tat die Menschen in prekärer Lage noch am ehesten bereit wären, mehr zu zahlen oder auf Rendite zu verzichten. Kommen Sie drauf? Wenn nicht, finden Sie unten die überraschende Antwort. Spoiler: Der Klimaschutz ist es nicht.

Außerdem geht es heute um alte weiße Männer und Wissenschaftsfeindlichkeit bei Markus Lanz. Wir wünschen viel Spaß und anregende Ideen bei der Lektüre!

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Ihre ESG-Redaktion

Thema der Woche

Wie Tiere zum ESG-Verkaufshit werden

Wir lesen es so oft, das wir es kaum mehr hören mögen: Der nachhaltigen Geldanlage mangelt es für einen endgültigen Durchbruch an Standards. Auch die jüngste "Future Focus Survey" der Fondsgesellschaft J.P. Morgan legte diese Schwäche wieder schonungslos offen: 1.000 Anlageberaterinnen nahmen an der europaweiten Befragung über nachhaltige Investmenttrends in ihren Ländern teil. Denn auch wenn die Nachfrage nach ESG-konformen Produkten weiter steigt und mittlerweile für ein Drittel der Privatanleger zum Standardkriterium bei Allokationsentscheidungen gehört, könnte die gute Sache noch mehr fliegen, wenn denn Kennzahlen und andere Informationen besser verfüg- und vergleichbar wären. Solange aber gilt:

Mangelnde Standardisierung der ESG-Kriterien verhindert bei einem Drittel der Befragten die Berücksichtigung von ESG-Kriterien in ihren Anlageentscheidungen.

Soweit also ist die vielleicht größte Beraterhürde dieser Tage bekannt - und doch kaum zu überwinden. Denn die Standards machen nun mal andere. Wenn sie sich denn einigen können.

Umso bemerkenswerter ist eine ganz andere Vertriebshürde für ESG-konforme Produkte, die neuerdings in Konsumentenbefragungen so hell aufscheint wie nie. Schließlich funktioniert die angespannte Kassenlage in vielen Haushalten wie eine Lackmustest fürs Geldanlegen mit gutem Gewissen. Die Frage lautet: Bleiben die Menschen auch in der Krise ihren Umwelt- und Sozialprinzipien treu? Oder ist die Moral das erste Opfer der steigenden Preise und sinkenden Wirtschaftskraft? Hier klären zwei neue Analysen auf - und offenbaren eine gemeinsame Überraschung.

Im Supermarkt erzielt das Tierwohl Höchstpreise

Da ist zum einen eine Konsumentenbefragung der Unternehmensberatung Deloitte, die sich nachhaltigen Kaufentscheidungen in Zeiten von Energiekrise und hoher Inflation in Deutschland widmete:

Ergebnis 1: Fast zwei Dritteln der Deutschen (63 Prozent) war Nachhaltigkeit zum Zeitpunkt der Befragung im August ziemlich oder sogar sehr wichtig bei Kaufentscheidungen. Trotz der aufkommenden Krise waren sogar mehr als im Vorjahr nachhaltig eingestellt.

Ergebnis 2: Bei der Frage, ob sie auch mehr bezahlen würden für nachhaltige Waren im Einkaufskorb, gab es dagegen einen massiven Einbruch. Nur noch 30 Prozent der Deutschen gaben sich offen für Preisaufschläge. Im Vorjahr waren noch 67 Prozent bereit (oder in der Lage), mehr für Bio- oder Ökowaren zu bezahlen. Hier schlägt die Krise offenkundig durch. (Die GfK kam zuletzt übrigens zu ganz ähnlichen Ergebnissen.)

Ergebnis 3: Wenn sie schon mehr zahlen, dann in erster Linie fürs Tierwohl. Das steht tatsächlich wie schon im Vorjahr an erster Stelle der Nachhaltigkeitskriterien, für die man in Deutschland bereit ist, tiefer in die Tasche zu greifen. Weit vor regionaler Produktion, fairem Handel, Ressourcenschonung, umweltfreundlicher Verpackung oder sozialem Engagement.

Auch bei der Geldanlage gilt die Reihenfolge: Tier, Mensch, Natur

Zu einem bemerkenswert ähnlichen Befund kommt auch eine neue Anlegerbefragung, diesmal im Auftrag des Preisvergleichsportals Verivox. hier ließ man Ende Juni erfragen, was den Menschen bei der nachhaltigen Geldanlage besonders wichtig ist.

Ergebnis 1: Vier von fünf Deutschen (79 Prozent) interessieren sich für nachhaltige Finanzprodukte. aber erst ein Viertel (24 Prozent) hat auch schon darin investiert.

Ergebnis 2: 68 Prozent würden für eine rein nachhaltige Geldanlage auch einen Renditeverzicht in Kauf nehmen.

Ergebnis 3: Fragt man die Menschen nach den drei Kriterien, die ihnen bei der Nachhaltigkeit besonders wichtig sind, rangiert auf Platz Eins der Verzicht auf Tierversuche (39 Prozent) - also das Tierwohl. Gleich dahinter kommen übrigens menschenwürdige Arbeitsbedingungen ohne Ausbeutung (genannt von 38 Prozent). Das Klima interessiert offenbar weitaus weniger Anleger: Ressourcenschonung (33 Prozent), Ausbau erneuerbarer Energien (32 Prozent) und Müllvermeidung (21 Prozent) folgen erst mit deutlichem Abstand - und den Verzicht auf Kohle, Öl und Gas haben sogar bloß 11 Prozent der Befragten in ihren Top-3.

Fazit: Mehr Tierschutz wagen

Womöglich setzen wir mit dem üblichen ESG-Fokus auf Net Zero oder Klimaschutz vertrieblich auf das falsche Pferd. Wenn es stimmt, dass Menschen sich mehr um die Tiere sorgen als um die sonstige Umwelt, dann wäre es jedenfalls eine gute Idee, mal etwas mehr darauf zu schauen, wie Nahrungsmittelmultis, Agrarkonzerne und Lebensmittelhändler mit der Ware aus der Fleischtheke umgehen, und wie es in der Medizin und Kosmetikindustrie mit Tierversuchen aussieht.

Nicht zuletzt ist das auch deshalb den Gedanken wert, weil Tierschutz immer auch Menschenschutz darstellt, wie beispielsweise die World Organisation for Animal Health lehrt.

Personalien

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Nisha Long (Bild: Citywire)

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Auf einen Blick
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Ein letzter Schluck

Viel Meinung, kaum Fakten und nichts zu verlieren

Folgende Situation: auf der einen Seite ein 53-jähriger Talkshowmoderator, auf der anderen eine 20-jährige Klimaaktivistin. Sie spricht über die verzweifelten Protestformen, die in den vergangenen Wochen für viele hitzige Debatten gesorgt haben: Junge Menschen, die Straßen blockieren, sich auf den Asphalt kleben, Suppe auf das Sicherheitsglas von berühmten Gemälden verschütten. Das sei nötig, weil Straßenproteste mit bunten Schildern einfach ignoriert werden, erklärt sie.

„Sie erpressen das Land. Das ist Ihnen klar?“, wirft ihr der Moderator vor. Die Rede ist natürlich von Markus Lanz. Lanz ist berühmt für seine fragwürdigen Thesen und provokanten Fragen, für seinen pseudoinvestigativen Gestus. In der Sendung vom 9. November hatte er die Klimaaktivistin Carla Rochel zu Gast.

Lanz zeigt sich über die Protestaktionen empört: „Van Gogh ist ja nicht irgendwas. Ich liebe dieses Gemälde.“ Rochel erwidert, dass seine geliebte Kunst nichts mehr Wert sein wird, wenn sie in einigen Jahrzehnten unter den Fluten verschwindet. „Meine Kinder werden keine Chancen haben, sich in einem Museum Kunst anzugucken, wenn sie sich um Essen prügeln müssen“, sagt sie.

Gregor Aisch/Nature (Raftery et al)

Eine eloquente junge Frau wie sie solle doch nicht die Apokalypse an die Wand malen, so Lanz in der gewohnt paternalistischen Manier. Rochel verweist ihrerseits auf wissenschaftliche Studien, wonach wir uns nicht so schnell an ein veränderndes Klima anpassen können.

„Woher wissen die Wissenschaftler das?“, fragt der ZDF-Moderator. Es ist die Aussage eines Wissenschafts-Skeptikers, der sein eigenes Weltbild bestätigt sehen will. Lanz könne der Aktivistin Orte in den Dolomiten zeigen. Dort komme nie irgendein Wasser hin. Das kulturelle Erbe sei geschützt.

Lanz schafft es nicht, über den eigenen Tellerrand zu blicken. Was ist mit den Menschen außerhalb Europas? In Pakistan, Bangladesch, den Philippinen. Was tun, wenn Südseeinseln vollständig im Wasser versinken? Haben die keine schützenswerte Kultur? Scheint den steinreichen Europäer nicht wirklich zu interessieren.

Völlig unabhängig davon, was man von konkreten Protestformen halten mag: Die arroganten Belehrungen zeugen vom Fehlen jeglichen Bewusstseins für die bitter notwendige Dringlichkeit. Und genau das ist der Kern dieses gesamtgesellschaftlichen Problems.

Diese Ausgabe stammt von:

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Ständig neue Richtlinien, Produkte und To-Dos – um das Thema Nachhaltigkeit kommen Sie im Finanzvertrieb nicht mehr herum. Die Abkürzung ESG (steht für: Environment, Social, Governance) berschreibt keinen flüchtigen Trend, sondern eine tiefgreifende Transformation. Und dieser Wandel rüttelt auch Ihren beruflichen Alltag durch.

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