ESG report #63: Was bedeutet ESG in China? I US-Midterms I Klimakonferenz
Liebe Leserinnen und Leser,
ESG-Kriterien sind nicht einheitlich definiert – schon gar nicht weltweit. Solange Standards fehlen, gilt eben: Es ist nicht alles grün, was ESG heißt. Das ist auch der Fall bei chinesischen ESG-Fonds und ESG-Anleihen, zumindest gemessen am EU-Verständnis von Environmental, Social and Good Governance.
Wir blicken heute auf den wichtigsten chinesischen ESG-Index und den sprunghaften Anstieg grüner Investments an chinesischen Börsen. Bezeichnend: China, inzwischen weltweit größter CO2-Emittent, schickte zur Weltklimakonferenz statt der Staatsführung bloß einen Diplomaten aus der dritten Reihe.
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ESG in China: Eine Frage der Politik
Chinesische ESG-Fonds und grüne Anleihen boomen: Zwischen Oktober 2020 und August 2022 wurden laut Bloomberg 112 als nachhaltig oder grün beworbene ESG-Fonds in China neu aufgelegt – dreimal so viele wie in den vier Jahren zuvor. Allerdings ist laut Bloomberg jeder siebte der insgesamt mehr als 170 chinesischen ESG-Fonds auch in Kohleunternehmen investiert.
Bei Green Bonds gehört der chinesische Markt jetzt schon zu den größten weltweit. Auch in diesem Markt offenbart sich bei näherem Hinsehen eine klassische ESG-Problematik: Allgemeingültige Standards fehlen. „Die Leute sagen ESG, als ob wir uns darauf geeinigt hätten, was es ist – das haben wir aber nicht”, sagt Bradford Cornell, emeritierter Professor für Finanzwirtschaft an der University of California. Er hat sich mit ESG-Investments in China beschäftigt und kommt zu dem Schluss, dass diese – gelinde gesagt – ganz eigenen Spielregeln folgen: „In China werden die Regeln für Umwelt- und Sozialfragen von der Kommunistischen Partei Chinas festgelegt.”
Keine Ausschlusskriterien für ESG-Fonds
Basis für viele chinesische ESG-Produkte ist der CSI 300 ESG Leaders Index, der die 100 in Schanghai und Shenzhen notierten Unternehmen mit den höchsten ESG-Ratings abbildet. Ein Blick in den Index zeigt: Ein großer Teil der Unternehmen ist kaum dazu geeignet, nachhaltige Ziele zu verfolgen. So lässt der CSI 300 ESG Leaders beispielsweise Chemiekonzerne zu, formuliert auch keine Ausschlusskriterien für Zwangsarbeit oder für Kohleunternehmen. Der Konzern China Shenhua Energy, der 78 Prozent seines Umsatzes aus dem Kohlebergbau erzielt, ist zum Beispiel einer der Top-Titel des Index.
Auch bei den Green Bonds offenbart ein Abgleich von Axa Investments aus dem Jahr 2021 immense Unterschiede zwischen Schein und Sein. Die chinesischen Kriterien dürften jedenfalls erheblich von den in Europa gängigen Green Bond Principles abweichen. Ein Beispiel: In China können Green-Bond-Emittenten 30 bis 100 Prozent des Kapitals in Projekte investieren, die gar nicht grün sind.
China demonstriert Macht
Chinesische Portfoliomanager orientieren sich auch beim Thema ESG an den Vorgaben der chinesischen Regierung unter Präsident Xi Jinping. Dazu zählen das Netto-Null-Ziel für das Jahr 2060, Energiesicherheit, Beschäftigung auf dem Land und Armutsbekämpfung. Keine schlechten Vorhaben. Daraus ableiten kann man allerdings wiederum Unterschiedliches: „Ein einheimischer Analyst würde Staatsunternehmen für eine gute Sache halten, während sein Kollege in Europa das als Ausschlusskriterium sehen könnte”, sagt Liu Xiangfeng, Inhaber eines auf ESG-Analysen spezialisieren Unternehmens. Was unter ESG fällt, sagt er, sei eben auch eine Frage der Kultur und der Politik.
Kommt es zum Kulturwandel und die Kriterien zum Schutz des Klimas und der Menschenrechte werden strenger, dann hat der chinesische Markt aufgrund seines Volumens das Zeug zum veritablen grünen Gamechanger. Peking priorisiert derzeit aber eher Machtdemonstrationen als die grüne Revolution.

40 Prozent
der europäischen Anlageberaterinnen und Vermögensverwalter wollen in den kommenden fünf Jahren auf ESG-Investments in Schwellenländern einschließlich China setzen. Laut einer aktuellen Umfrage von J. P. Morgan Asset Management haben 26 Prozent bereits für das nächste Jahr eine Allokation in der Region avisiert. Für ESG-Investments in Europa (ohne Großbritannien) erwarten sie mittelfristig weniger Chancen, heißt es in der Studie zu den ESG-Präferenzen von Beratern.


US-Midterms: Es kann (nur) schlimmer werden
Die "rote Welle" blieb zwar aus, dennoch betrachteten Teilnehmer der Weltklimakonferenz die ersten Zahlen zu den Zwischenwahlen in den USA mit Skepsis. Denn fällt eine der Kongress-Kammern den Republikanern zu – ein Sammelbecken der Klimaleugner und -verharmloser –, dann werden die zuletzt eh schon zaghaften Klimaschutz-Bemühungen von Präsident Joe Biden vielleicht schnell zunichte gemacht, schreibt Politico.

Klimawandel gefährdet ganze Branchen
Mehr als 800 Millionen Arbeitsplätze sind der Unternehmensberatung Deloitte zufolge weltweit vom Klimawandel und von der Energiewende betroffen, vor allem im asiatisch-pazifischen Raum und in Afrika. Ein schnellerer Übergang zu einer Netto-Null-Wirtschaft könnte für weltweit gerechtere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen sorgen.

Fondspolicen: So sind die Anbieter in Sachen ESG aufgestellt
Welche Policenanbieter haben die meisten ESG-Fonds im Sortiment? Und wo sind auch ETFs zu haben? Mit der Präferenzabfrage gewinnt das Thema ESG für Versicherer weiter an Bedeutung. Fonds Professionell hat sich umgehört, wie weit sie sind und was sie für ihre fondsgebundenen Policen planen.

"Highway to Climate Hell"
Auf ebenjenem befinden wir uns. Und zwar noch immer mit dem Fuß auf dem Gaspedal. Diese Worte wählte UN-Generalsekretär António Guterres auf der zurzeit laufenden Weltklimakonferenz in Ägypten. Sein Schluss:
Entweder gibt es einen solidarischen Klimavertrag – oder einen Vertrag zum kollektiven Selbstmord.
Drastischer hätten es wohl selbst die Aktivisten der "Letzten Generation" nicht ausdrücken können. Schon im Vorjahr in Glasgow hatte Gueterres eindringlich gewarnt: "Wir schaufeln uns unser eigenes Grab." Seitdem ist die Misere wieder zwölf Monate fortgeschritten. In diesem Jahr sprach er explizit auch das Thema Greenwashing an. Falsche Versprechen von Netto-Null-Emissionen zu geben, das sei verwerflich, toxisch und ein ekelhafter Betrug, sagte der UN-Chef.
Zu viele dieser Netto-Null-Zusagen sind kaum mehr als leere Slogans und Hype. Die Verbraucher sind zu Recht skeptisch.
Das ergänzte Catherine McKenna, Vorsitzende einer UN-Expertengruppe. Man könne nicht in fossile Brennstoffe investieren und sich zugleich klimaneutral nennen. Sie forderte Regierungen dazu auf, vor allem Finanzinstitute und große Unternehmen dahingehend stärker zu regulieren.
Am Ende der COP27 dürften aber wieder weniger Forderungen stehen als Empfehlungen, nebst freiwilliger Selbstkontrolle. China, zurzeit weltweit größter CO2-Emittent, schickte zudem lediglich einen Klimadiplomaten zur Veranstaltung. Bislang der einzig nennenswerte Beschluss: Es beteiligen sich mehr Staaten (darunter Schottland, Dänemark, Belgien und Deutschland, Österreich und Neuseeland) an Schadensersatz-Fonds für Schwellen- und Entwicklungsländer, die besonders unter Dürren und Überschwemmungen leiden. Mit "Loss and Damage" sind diese Fonds betitelt. Sie sind Resultat einer Welt, die ohne Speed-Limits und Stoppschilder auskommt. So wie ACDC das in "Highway to Hell" besingen.
Diese Ausgabe stammt von:

Anne Hünninghaus + Christina Keppel
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