ESG report #62: ESG-Ratings vs. Impact Investing I Keine Angst vor der Apokalypse

Liebe Leserinnen und Leser,

ESG-Ratings sollen eine Orientierungshilfe für nachhaltiges Investieren bieten und es voranbringen. Doch in der Realität erfüllen sie diese Ansprüche kaum, meint Dr. Tillmann Lang, Gründer der Online-Plattform Inyova, die sich Impact Investing auf die Fahne schreibt.

In unserem Hauptstück zeigen wir heute die offensichtlichen Schwachstellen von ESG-Ratings auf, ebenso wie Schnittstellen und Unterschiede zum Impact Investing. Zudem gehen wir zusammen mit Inyova-Chef Lang der Frage nach, wo ESG-Ratings noch Optimierungsbedarf haben und über welche Stellschrauben sich eine nachhaltige Erfolgsbilanz bei Investments möglichst gezielt erreichen lässt.

Im Letzten Schluck geht es derweil um Weltuntergangsszenarien – und was es in diesen Tagen bedeutet, optimistisch zu bleiben.

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Ihre ESG-Redaktion

Thema der Woche

ESG-Ratings: Angebot mit Achillesferse

Wer nachhaltig investieren möchte, braucht entsprechende Orientierungshilfen, denn nach wie vor fehlt es an einer allgemein verbindlichen Definition. Eine Möglichkeit bieten ESG-Ratings. Allerdings versprechen sie Investoren möglicherweise mehr, als sie halten können, denn in der realen Welt geben sie nachhaltigen Investments nur augenscheinlich Rückenwind und führen bei Unternehmen nicht wirklich zum Umdenken. Das meint zumindest Tillmann Lang, Gründer der digitalen Investing Plattform Inyova und verweist darauf, dass diesbezügliche wissenschaftlich fundierte Ergebnisse bisher noch ausstehen: „Aus Sicht der Forschung verbessern reine ESG-Investments die Welt nicht. Die Forscher können in all ihren Studien einfach keine Veränderungen in der Art und Weise, wie Firmen wirtschaften, wahrnehmen.“ Hier hat für ihn ganz klar Impact Investing die Nase vorn, da dieses den Fokus gezielt auf eine messbare Wirkung legt, statt nur auf reine Werte, wie das bei ESG-Ratings der Fall ist.

ESG-Ratings brauchen Verbindlichkeit

Das ändert aber nichts daran, dass ESG-Ratings – gerade auch mit Blick auf die angestrebte Nachhaltigkeitswende – trotzdem extrem wichtig sind, um grüne Investments populärer zu machen und die Nachfrage anzukurbeln, so Lang: „ESG-Analysen und -Ratings können und sollen dabei helfen, Nachhaltigkeitsperformance sichtbar und transparent zu machen.“ Das Problem sei aber, „dass sie häufig nicht gut aufgesetzt sind, das heißt, die Daten sind unzureichend, die Methoden falsch, etc.“, so Lang. Um diese Aussage zu veranschaulichen, führt er in einem eigenen Artikel den ESG-Rating-Anbieter MSCI als Beispiel für potenzielle Schwachstellen bei ESG-Kriterien an.

Greenwashing Paroli bieten

Nach wie vor ist die fehlende verbindliche Definition von Nachhaltigkeit eine Achillesferse, welche die Wirksamkeit von ESG-Ratings schmälert und in der Konsequenz Greenwashing erleichtert: „Wenn ESG-Ratings schlecht, unzureichend oder intransparent sind, kann Täuschung stattfinden, wobei Irreleitung durch ESG-Ratings sogar systematisch sein kann“, sagt Lang. Daraus folgt: Die Qualität von ESG-Ratings ist eine Stellschraube, an der gezielt gedreht werden muss – und zwar in der Breite wie auch in der Tiefe. Und auch bei der Regulierung lassen sich noch Dinge optimieren, um nachhaltigen Anlagen mehr Rückenwind zu verschaffen, so Lang (siehe Interview).

Ob und in welcher Form eine verbindliche Definition von Nachhaltigkeit von offizieller Stelle erfolgen wird, bleibt abzuwarten. Was aber klar ist: ESG-Ratings und Impact Investing gehen Hand in Hand und je besser sie aufeinander abgestimmt sind, umso größer ist auch ihre jeweils nachhaltige Wirkung.

Im Gespräch mit...

Wir haben Dr. Tillmann Lang, CEO von Inyova, ein paar Fragen gestellt.:

Herr Dr. Lang, was sind die größten Schwachstellen von ESG-Kriterien und wie und wo müsste man Ihrer Meinung nach konkret nachbessern?

Dr. Tillmann Lang: ESG-Ratings sollen vor allem für Transparenz sorgen und eine Faktenbasis schaffen. Leider gibt es hier aktuell noch einige Schwachstellen. Eine davon ist sicherlich eine fehlende Standardisierung. Auch die Regulierung ist oft unpragmatisch, komplex und mitunter nicht auf der Höhe der Zeit. Hinzu kommen oftmals eine unzureichende Breite und Tiefe in der Analyse. Dazu zwei Beispiele: Der Fokus liegt zum einen auf einer vergangenen Nachhaltigkeitsperformance anstatt auf einer zukünftigen Wirkung, also zum Beispiel auf dem 1,5-Grad-Pfad. Zum anderen fließen auch die Wirkung der Produkte und Dienstleistungen, Scope3 bzw. Handabdruck, so gut wie nicht in die Analyse ein, sondern der Fokus liegt nach wie vor auf der Performance der Firma (Scope 1 und 2).

Wer profitiert von ESG-Ratings, wer zieht womöglich den Kürzeren?

Großunternehmen schneiden bei ESG-Ratings oft viel besser ab als kleine Unternehmen, die schlicht weniger Ressourcen für ESG-Berichterstattung aufbringen können. Dabei sehen wir real keine bessere Nachhaltigkeitsperformance bei Großunternehmen. Die EU-Regulierung mit SFDR und Taxonomie zementiert solche systemischen Tendenzen übrigens leider, da sie ihre Anforderungen an ESG-Berichterstattung mitunter so gestaltet, dass nur Großunternehmen diesen gerecht werden können.

Worin liegen die größten Unterschiede zwischen ESG-Kriterien und Impact Investing?

ESG-Investments haben in der realen Welt keine Wirkung und streben diese auch nicht an, sondern nur Werte-Alignments. Das heißt, die Anlegerin will keine Rendite mit Treibhausgas-Ausstoß und Menschenrechtsverletzungen verdienen. Impact Investing dagegen ist eine Geldanlage, die messbare Wirkung erzielen will.

Was für eine Schnittmenge haben ESG und Impact Investing?

Gute Nachhaltigkeitsanalysen dienen als Grundlage für Entscheidungen in der Finanzwirtschaft, wovon jeder profitiert – wenn die Ratings vernünftig gemacht sind. Auch Impact Investing braucht gute ESG-Analysen, denn ohne Faktenbasis kann ich keine zielgerichtete Wirkung erzielen und damit auch nichts verbessern. ESG-Kriterien spielen daher auch in unserem Ansatz eine wichtige Rolle. Aber sie sind nur ein Teil des Gesamtansatzes.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel...

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Ein letzter Schluck

Optimistisch in den Weltuntergang

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Denn auch wenn die vergangenen Jahre mit einer Katastrophe nach der nächsten aufgewartet haben, so bleibt eins immer gleich: Die Welt dreht sich weiter. Wie, das können wir heute noch mitgestalten – insbesondere im Bereich ESG. Denn dass es mit der Menschheit weiter geht, ist klar. Die Frage ist nur, ob wir dazu bereit sind, unser Verhalten heute mit Blick auf morgen zu verändern. Oder ob wir den Kopf in den Sand stecken. Und auch wenn es viele Gründe für Pessimismus geben mag, produktiv macht er nicht. Viel sinnvoller ist es doch, das Beste aus den Gegebenheiten heraus zu holen und sich aktiv dafür einzusetzen, dass das Leben auch in Zukunft noch lebenswert bleibt.

Diese Ausgabe stammt von:

Lilian Fiala + Imke Reiher

Lilian Fiala + Imke Reiher

Wir sind Redakteurinnen der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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