ESG report #61: ESG-Fintechs | 100 Billionen USD | CO2-Kampf um die Krim
Liebe Leserinnen und Leser,
heute beschäftigen wir uns mit der Frage, welche digitalen Assistenten Ihnen womöglich bald das Leben erleichtern könnten. Die Rede ist von den sogenannten ESG-Fintechs. Bei der nachhaltigen Transformation spielen die eine zentrale Rolle: Das Investitionsvolumen in grüne Finanz-Startups hat nach Verkündung des European Green Deals stark zugenommen. Und die Chancen stehen gut, dass der Sektor in den kommenden Jahren sein Wachstum entgegen dem makroökonomischen Trend fortsetzen kann. Das sind die wichtigsten Erkenntnisse einer neuen EY-Studie zur Entwicklung der ESG-Fintech-Landschaft in Europa. Wir haben uns mit einem der Studienautoren über die Chancen und Risiken unterhalten, die daraus für Berater entstehen.
Wer zur Jahrhundertaufgabe des Abschieds von fossilen Energieträgern eine satte Zahl sucht, kann es ja mal mit 100 Billionen US-Dollar versuchen. Das ist etwa 200 Mal so viel wie der deutsche Bundeshaushalt und nach einer anderen Studie das Investitionsvolumen, das nötig ist, um den CO2-Ausstoß weltweit auf Null zu senken. Zum Abschluss gibt es heute noch einen trüben Ausblick auf die Weltklimakonferenz.
Wir wünschen viel Spaß bei der Lektüre! Wie immer freuen wir uns über Ihr Feedback an redaktion@esg-report.de – und natürlich über Ihre Weiterempfehlung.
Ihre ESG-Redaktion


Interview mit Andreas Wittkop, EY-Parthenon
Herr Wittkop, Sie haben für eine neue Studie die ESG-Fintech-Landschaft in Europa untersucht. Gibt es unter den FinTechs Unternehmen, deren Angebote für die Arbeit von Vermittlern besonders interessant sein könnten?
Makler und Vermittlerinnen stehen bei der ESG-Anlageberatung insbesondere vor zwei großen Herausforderungen: der unübersichtlichen Vielzahl an ESG-Produkten und den regulatorischen Vorschriften zum Einbezug von ESG-Kriterien im Beratungsprozess. Für Vermittler interessant sind daher etwa solche Lösungen, die Transparenz zu ESG-Daten schaffen und dabei ihre angewandte Bewertungsmethodik offenlegen. Dazu zählen beispielsweise die FinTechs daato, ESG-book und Fincite. Es gibt auch eine wachsende Zahl an ESG-Advisory-Anbietern, etwa das österreichische B2C-Unternehmen CleanVest, die auf Basis von Kundenpräferenzen passende ESG-Produkte ermitteln. Aber auch klassische Robo-Advisor bieten mehr und mehr ESG-konforme Portfolios an.
Das klingt ganz schön vielversprechend. Sind die FinTechs mit ihren ESG-Innovationen sogar schon so weit, dass Berater fürchten müssen, ersetzt zu werden?
Für die ESG-Anlageberatung gilt Ähnliches wie für die generelle Anlageberatung: Der Margendruck in der Branche nimmt zu. Und zwar sowohl aufgrund zunehmender Fintech-Konkurrenz als auch zusätzlicher regulatorischer Anforderungen. Die gute Nachricht: Berater können sich weiterhin durch eine personalisierte Beratung differenzieren. Die Nachhaltigkeitsregulierung für Anlageprodukte ist noch relativ uneinheitlich und wird sich in den kommenden Jahren schärfen. Hier durch eine zuverlässige individuelle Beratung eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, sollte Kunden auch in Zukunft ansprechen.
Mein Tipp: Berater sollten sich einen guten Überblick über vorhandene B2B-Offerings von FinTechs verschaffen und FinTech-Angebote nutzen, um ihren Kunden eine in ESG-Themen kompetente Beratung anbieten zu können.
Was sind die nützlichsten ESG-Innovationen, die der Berater-Branche noch bevorstehen?
Die nützlichste Innovation, die aktuell abzusehen ist, wird im Bereich komplexer Datenmodelle geschehen. Sie werden eine höhere Zuverlässigkeit und Transparenz für ESG-Ratings und Portfolioauswertungen sicherstellen. Zudem werden sogenannte RegTechs relevanter. Dieser Teilbereich der FinTech-Industrie arbeitet an Lösungen, die eine bessere Transparenz der sich dynamisch entwickelnden regulatorischen Vorgaben bieten. Solche Dienstleistungen unterstützen Berater immens. Darüber hinaus könnte eine nützliche Entwicklung in der weiteren Professionalisierung von ESG-Crowdfunding-Plattformen liegen. Derartige Anlagemöglichkeiten können in Zukunft möglicherweise auch über Vermittler vertrieben werden.

100.000.000.000.000 US-Dollar
Um die 100 Billionen US-Dollar wird es die Weltwirtschaft kosten, das Net-Zero-Ziel bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Diese schier unglaubliche Zahl steht im neuen "Net-Zero-by-2050"-Report von BNY Mellon Investment Management und Fathom Consulting. Das entspricht etwa einem Fünftel der erwarteten Gesamtinvestitionen für die kommenden 30 Jahre und drei Prozent des Welt-BIP bis zum Jahr 2050. Allein 20 Billionen US-Dollar entfallen auf umweltschädliche Anlagen, die als Stranded Assets verschrottet oder mit zusätzlichem Kapital nachgerüstet werden müssen.
Wenig überraschend sind die Ergebnisse der regionalen und der Sektor-Analyse: Demnach entfällt ein Viertel der nötigen Investitionen auf China. Und Energie- und Versorgungsunternehmen sowie Fluggesellschaften haben den größten Verschrottungsbedarf. Die Hälfte aller Investitionen, die für eine emissionsfrei Wirtschaftswelt im Jahr 2050 erforderlich sind, entfallen auf den Energie- und Versorgungssektor. Zur Einordnung: Die Unternehmen vereinen gerade mal sechs Prozent der weltweiten Börsenwerte.
Hauptprofiteure des Umbaus sind demnach die Hersteller von Batteriespeichern, Netzinfrastruktur, Leitungen zur CO2-Speicherung, Wasserstoff und Erdgas. Ein Anlageuniversum mit und für die Zukunft.

Was uns diese Woche noch auffiel...

HSBC hat ein Werbeproblem
Die britische britische Werbeaufsichtsbehörde Advertising Standards Authority (ASA) wirft der Großbank HSBC Greenwashing in der Werbung vor. Mehrere Anzeigen wurden jetzt verboten und für irreführend erklärt, berichtet der Guardian. Bei künftigen Kampagnen müsse die Bank den Beitrag offenlegen, den ihre Investments zur Klimakrise beitragen. Konkret geht es um Plakate, die HSBC im Vorfeld der letztjährigen UN-Klimakonferenz in Glasgow aufhängen ließ und auf denen die Bank hervorhob, eine Milliarde US-Dollar in klimafreundliche Initiativen zu investieren. Dem gegenüber stehen erhebliche klimaschädliche Kunden und Projekte, denen die Bank Kredite und Dienstleistungen gewährt, rügte die ASA. Die müsse die Bank künftig bei solchen Werbeanzeigen auch benennen.

Nachhaltige Anlagen: Schweizer ziehen bei der Regulierung nach
Weltweit versuchen die Länder, die Transparenz bei nachhaltigen Anlagen zu erhöhen. Es geht um die Berichterstattung über Klimarisiken und den Kampf gegen Greenwashing. Die Schweiz hinkt gemessen an Zahl und Umfang der Maßnahmen hinterher. Das soll sich nun ändern, berichtet die Neue Zürcher Zeitung mit Hinweis auf eine neue Studie über neue Regulierungsmaßnahmen in diesem Jahr.

Sustainable Finance: Beirat ohne Wirkung?
Anfang 2019 wollte die damalige Bundesregierung Deutschland zum führenden Standort für Sustainable Finance machen und berief einen Beirat ein, der zwei Jahre später auch Empfehlungen für ein nachhaltiges Finanzsystem lieferte. Doch dieses Papier blieb ohne nennenswerte Konsequenzen, berichtet nun die Börsen-Zeitung. Ernüchterndes Fazit: "Andernorts hat die Politik mehr Engagement gezeigt, um nachhaltige Finanzierungen zu stärken."

Der unwürdige Kampf um die Krim-Emissionen
Vom 6. bis 18. November trifft sich die Weltgemeinschaft im ägyptischen Scharm el-Scheich zur 27. UN-Klimakonferenz, kurz COP27. „Together for Implementation" heißt das vollmundige Motto der Veranstaltung, bei der es laut Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie darum geht, "das 1,5 Grad Celsius-Ziel aus der Intensivstation holen" - um die Welt gerade noch mal so vor der Klimakatastrophe zu bewahren. Die hat sich in diesem Jahr bereits ankündigt, mit einer nie dagewesenen Häufung von Überschwemmungen, Stürmen und Dürren in Pakistan, Afrika, China und Europa.
Es gibt also in der Tat massig zu implementieren. Womöglich aber kommt es nicht zu der Togetherness, die sich die Veranstalter erhoffen. Denn das Schlachtfeld, das die Russen in der Ukraine angerichtet haben, wird mutmaßlich auch COP27 dominieren. Nicht nur wegen der Energiefragen, die einen unmittelbaren Einfluss aufs Klima haben. Sondern auch, weil beide Kriegsparteien die Weltöffentlichkeit nutzen werden, um die Klimafrage zu einer Machtfrage umzudeuten.
Beobachter gehen nämlich davon aus, dass beide Staaten die CO2-Emissionen der Krim in ihren Report einrechnen werden. Das Kalkül dahinter ist perfide - und ein rein territoriales: Unterschreiben UN-Mitglieder ein Dokument, in dem die Krim-Emissionen Russland zugerechnet werden, dann wäre das eine implizite Anerkennung der Annexion. Der Konflikt schwelt schon seit 2014. In den vergangenen Jahren hatte in den Dokumenten stets eine Fußnote dafür gesorgt, dass die Krim-Verschmutzung keine zweifelsfrei russische Verschmutzung sei.
Die Ukraine rechnet zudem ihren eigenen CO2-Fußabdruck groß und ebenfalls das Kohlendioxid von der Krim hinein, inklusive der Umweltverschmutzung von Fabriken und Kraftwerken, die Russland auf der Krim errichtet hat und betreibt. Selbst den Diesel und das Kerosin, den russische Panzer und Kampfflugzeuge verbrennen, um sie anzugreifen, bilanziert die Ukraine tapfer als ihren eigenen Dreck. Darüber berichtet unter anderem die Washington Post.
Ein Kompromiss ist nicht in Sicht, die Doppelerfassung bleibt wohl erhalten. Zugleich droht die wichtigste Klimakonferenz des Jahres zum unwürdigen Machtschauspiel zu verkommen. Da ist nix mit Together.
Diese Ausgabe stammt von:

Udo Trichtl + Olaf Wittrock
Wir sind Redakteure der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.