ESG report #60: Anlagepolitik der Versicherer I E-Auto-Bashing bei Arte

Liebe Leserinnen und Leser,

wir erinnern uns: Unter bestimmten Bedingungen können fossiles Gas und Atomkraft der EU-Taxonomie nach als nachhaltig klassifiziert werden. Diese Meldung sorgte zu Beginn des Jahres für Trubel. Seither hat sie sich infolge des Kriegs in der Ukraine und der Debatte über Energieunabhängigkeit noch verschärft. Sind fossile Energieträger und Kernenergie vertretbar? Auch in ESG-Portfolios? Oder gehören sie konsequent ausgeschlossen? Diese Frage müssen sich auch Versicherungsunternehmen in ihrer Anlagepolitik stellen. Das Analysehaus Assekurata hat sich genauer angeschaut, wie sie ihre Ausschlusskriterien wählen. Wir haben beim Experten Oliver Bentz nachgefragt.

Außerdem geht es in dieser Ausgabe unter anderem darum, dass Baden-Württemberg nur noch Grün investieren will. Die US-Staaten Missouri und Louisiana empfinden dagegen schon Blackrocks Anlagestrategie als zu Öko. Und das E-Auto-Bashing von Arte wird auch in der Wiederholung nicht besser.

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Ihre ESG-Redaktion

Thema der Woche

Wonach wählen Versicherer ihre Ausschlüsse?

Keine Frage, Versicherungsunternehmen sind bedeutende institutionelle Investoren. Der Kapitalanlagebestand der deutschen Versicherungswirtschaft beläuft sich auf mehr als 1,8 Billionen Euro. Kein Wunder also, dass Versicherungen immer mehr ins Visier von Klimaschützern geraten. Und auch Versicherte selbst sind heute immer häufiger daran interessiert, dass ihr Geld möglichst nachhaltig angelegt wird.

Das Ratinghaus Assekurata hat nun für seinen Marktausblick 20 deutsche Versicherer genauer dazu befragt, welche Kriterien sie einer nachhaltigen Kapitalanlage zugrunde legen. Ausschluss- und Screening-Kriterien sind innerhalb der nachhaltigen Kapitalanlagepolitik der Versicherer meistens der erste Filter. Das Ergebnis:

(z. B. Streubomben, atomare, biologische und chemische Waffen, etc.)

Beim dritthäufigsten Ausschluss, der Förderung von bzw. der Energieerzeugung aus Kohle, gehen die Versicherer der Befragung zufolge weniger radikal vor, hier gibt es Umsatzschwellen von 0 bis 30 Prozent. Assekurata fasst zusammen:

Der unterschiedliche Umgang mit Kohle lässt darauf schließen, dass das Meinungsbild der Versicherungsunternehmen hinsichtlich der Wichtigkeit dieses Energieträgers für die derzeitige Energieversorgung sowie der Dringlichkeit des Ausstieges sehr heterogen ist. Dazu muss erwähnt werden, dass Versicherer mit hohen Umsatzschwellen diesen Ausschluss häufig mit einer aktiven Begleitung des Transformationsprozesses bei den Energiekonzernen und mit Exit-Plänen flankieren.

Dieser "heterogene Umgang" passt ganz gut zur momentanen Debatte über fossile Energieträger. Auch gesellschaftspolitisch wird in Deutschland zurzeit intensiv darüber diskutiert, inwiefern Investitionen hier vertretbar sind angesichts des Bestrebens, in puncto Energie unabhängiger von anderen (problematischen) Staaten zu werden. Trägt diese Stimmung womöglich dazu bei, dass auch Versicherer zögerlich agieren?

Wir haben bei Oliver Bentz, Senior-Analyst bei Assekurata, nachgefragt:

Herr Bentz, aktuell wird in Deutschland viel über Energiesicherheit und -unabhängigkeit gesprochen. Schätzen Sie, dass diese gesellschaftspolitische Debatte Einfluss auf die Kapitalanlagepolitik der Versicherer hat?

Oliver Bentz: Aus ökologischer Sicht ist die Antwort recht eindeutig: Je schneller wir uns von fossilen Energieträgern verabschieden, desto besser, und das aktuelle Tempo reicht nicht zur Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens. Einige Versicherer planen, sofern sie keinen akuten strengen Ausschluss für die Kohleenergie verfolgen, die Toleranzgrenzen dafür zukünftig sukzessive zu verschärfen. Ich kann mir vorstellen, dass die aktuelle Debatte dazu beiträgt, dass solche Exit-Pläne verlangsamt werden. Am Ende wägen die Versicherer mit ihrer Entscheidung ab – ob bewusst oder unbewusst – wie stark sie die kurzfristige Energiesicherheit und den geringeren Import von Energie aus potenziell problematischen Staaten gegenüber den langfristigen Klimaschäden für kommende Generationen gewichten.

Sie schreiben, auch Atomkraft spiele bei den Ausschlusskriterien – trotz der Einstufung innerhalb der EU-Taxonomie als potenziell nachhaltige Wirtschaftsaktivität – weiterhin eine größere Rolle. Welche Entwicklung beobachten Sie hier?

Atomkraft ist trotz der Entscheidung der EU-Kommission in Deutschland nach wie vor ein kritisches Thema. Das sieht man auch daran, dass es ähnlich oft ausgeschlossen wird wie Waffen, Glücksspiel oder Öl. Wir beobachten nicht, dass die Versicherer, die Atomkraft ausgeschlossen hatten, diesen Ausschluss im großen Stil zurücknehmen und wieder verstärkt dort investieren. Gleichzeitig wird die Entscheidung aber dazu geführt haben, dass Versicherer, die das Thema derzeit nicht ausschließen, mit ihren Überlegungen bezüglich eines möglichen Ausschlusses zögern.

Zurzeit dominiert im Bereich ESG auch bei den Versicherern der ökologische Bereich, also das „E“, für soziale Aspekte fehlt es weiterhin an klaren Kriterien. Wie nähern sich die untersuchten Versicherer dem „S“-Faktor?

Die meisten Versicherer nähern sich sozialen Themen über normbasierte Ausschlüsse. Das bedeutet, dass Unternehmen, die gegen bestimmte Prinzipien verstoßen – beispielsweise die Prinzipien des UN Global Compact oder die UN Guiding Principles on Business and Human Rights –, ausgeschlossen werden. Zu diesen Prinzipien gehören soziale Themen wie Menschen- oder Arbeitsrechtsverletzungen. Innerhalb der Dimension „S“ werden somit in erster Linie negative Dinge ausgeschlossen.

Es werden also nur die Sünder herausgefischt?

Im Bereich der ökologischen Themen sehen wir verstärkt auch Investments in Kapitalanalagen mit einer positiven ökologischen Performance, basierend beispielsweise auf den zugrundeliegenden Produkten wie erneuerbare Energien, Lösungen für nachhaltige Mobilität, et cetera, oder Kennzahlen wie einem niedrigen CO2-Fußabdruck im Vergleich zur Peer Group. Solche Positiv-Screenings sehen wir bisher nur selten für soziale Themen. Dies könnte sich jedoch mit der sozialen Taxonomie ändern, die eine Erweiterung der EU-Taxonomie darstellt und festlegen wird, welche Investitionen aus sozialer Sicht nachhaltig sind.

Zahl der Woche

17 Milliarden Euro

Diese Summe umfasst das Anlagevolumen des Landes Baden-Württemberg, das künftig ausschließlich in Aktien und Anleihen von Unternehmen fließen soll, die das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens verfolgen. Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) hat einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt, den der Ministerrat am 18. Oktober verabschiedete. Demnach müssen die Kapitalanlagen des Landes außerdem auch mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (UN) und den Anlagekriterien der Taxonomie der Europäischen Union (EU) konform gehen. Das Gesetz sieht zudem Anreize für Unternehmen vor, damit diese verstärkt in nachhaltige Themen investieren. Konkret bedeutet das: Unternehmen, die gegen die Klimaziele verstoßen oder in Kohle investieren, bekommen kein Geld mehr vom Ländle.

Auf einen Blick
Schlusslichter beim Klimaschutz

Schlusslichter beim Klimaschutz

Große deutsche Vermögensverwalter investieren weiterhin in fossile Klimakiller. Das zeigt eine Untersuchung der Klima- und Umweltschutzorganisationen Greenpeace, Urgewald und Reclaim Finance. Rund 13 Milliarden Euro fließen so in Unternehmen, die den Abbau von Kohle, Erdgas und Öl noch weiter ausbauen wollen. Trauriger Spitzenreiter im Feld der fossilen Schlusslichter ist die Deutsche Bank-Tochter DWS.

US-Bundesstaaten: Blackrock zu umweltfreundlich

US-Bundesstaaten: Blackrock zu umweltfreundlich

Die republikanisch regierten US-Bundesstaaten Louisiana und Missouri wollen künftig ihr Geld aus dem Pensionsfonds von Blackrock abziehen. Der Grund: Dessen ESG-Strategie gehe auf Kosten der Rendite. Blackrock-Vorstand Fink, der gleichzeitig auch Kritik von Klimaschützern einstecken muss, reagierte gelassen.

Mit angezogener Handbremse: Sparkassen bei Nachhaltigkeit noch unsicher

Mit angezogener Handbremse: Sparkassen bei Nachhaltigkeit noch unsicher

128 Sparkassen haben sich bisher nicht der verbandseigenen Selbstverpflichtung deutscher Sparkassen für klimafreundliches und nachhaltiges Wirtschaften angeschlossen. Manche Institute tun sich schwer mit der Umsetzung, anderen fehlt schlicht der Wille, berichtet Finanz-Szene.

Ein letzter Schluck

E-Mobility-Bashing für Anfänger

Der Medienkritik-Blog Graslutscher hat sich einen Film aus der Arte-Mediathek vorgeknöpft, der die vermeintlich „verborgene Seite der grünen Energie“ aufdecken will. Der Film mit dem reißerischen Titel „Umweltsünder E-Auto?“ steht mittlerweile nicht mehr in der Mediathek. Macht aber nichts. Denn aufgedeckt hat die Dokumentation ohnehin nichts. Dafür versucht sie mithilfe dramaturgischer Kniffe und Suggestivfragen das E-Auto und erneuerbare Energien zum Sündenbock für die Klimakrise zu machen. Belege liefern die Macher nicht. Wissenschaftlich betrachtet ist die These ohnehin hanebüchen.

Gleichwohl kann die Produktion, bei der es offensichtlich in erster Linie um Effekthascherei geht, womöglich Auswirkungen auf die Akzeptanz erneuerbarer Energien und grüner Mobilität haben. Insofern ist es zu begrüßen, dass mit Jan Hegenberg aka Graslutscher ein Erneuerbare-Energien-Profi den groben Unfug aufdeckt. Fraglich bleibt derweil, warum ein etabliertes Medienhaus wie Arte einem solchen Werk überhaupt eine Plattform bot.

Fun Fact: Der Film war bereits im Jahr 2020 in der Arte Mediathek zu sehen. Damals hatte das Online-Magazin Klimareporter schon mal den Faktencheck übernommen und das faktenbefreite E-Mobility-Bashing gekonnt enttarnt.

Diese Ausgabe stammt von:

Anne Hünninghaus + Christina Keppel

Anne Hünninghaus + Christina Keppel

Wir sind Redakteurinnen der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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