ESG report #6: Privatanleger als grüne Strategen | Blasen | Parkplätze

Was ist das eigentlich, ein nachhaltiges Investment? „Ist doch sonnenklar!“, wird sich jetzt der eine oder die andere denken: Windkraftanlagen auf grünen Wiesen und eine rohstoffeffiziente Produktion. Doch wie verhält es sich mit fairer Entlohnung? Einer unbestechlichen Führungsriege? „Wie Nachhaltigkeit definiert ist, liegt im Auge des Betrachters“, sagt Hendrik Leber vom Vermögensverwalter Acatis.

Liebe Leserinnen und Leser,

heute beschäftigen wir uns mit einem Fondskonzept der grünen Finanzwelt, das Trendpotenzial hat. Wer oder was ESG ist, wird hier nicht vom Management, sondern von den Anlegern entschieden. Die Titelauswahl orientiert sich also am Votum der Geldgeberinnen. Ein notwendiger Demokratisierungsschub, der den ESG-Boom trotz Greenwashing-Vorwürfen weiter vorantreiben kann? Oder eine Weg, um Verantwortung an die Kunden abschieben zu können? In jedem Fall eine interessante neue Vertriebsidee.

Viel Spaß mit der Lektüre unseres neuen Briefings wünscht

Ihre ESG-Redaktion

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These der Woche

Fonds-Käufer wollen sich einmischen

Für Sie im Finanzvertrieb ist zunächst einmal eines von Bedeutung: Eine solche Partizipationsmöglichkeit kann gerade angesichts der aktuellen Turbulenzen zu einer verbesserten Akzeptanz unter kritischen Anlegern führen. Beim Portfolio à la carte entscheidet der Konsument aktiv mit, was als absolutes No-Go und was als tolerabel gelten soll.

So etwa bei der Degussa Bank. Das Geldhaus hat seine Investoren bei der Auflage des wenige Monate alten Fonds „Degussa Bank Nachhaltigkeit Akzentuiert“ (ISIN DE000A2QK5P8) gefragt, wie die ESG-Gewichtung erfolgen solle. Das Ergebnis der Abstimmung unter 1.300 Anlegern: Ökologische Nachhaltigkeit (E) erhielt 55,1 Prozent, soziale Kriterien (S) 31,8 Prozent und Governance-Kriterien (G) 13,1 Prozent. Das Management zeigt sich überrascht: Governance hätten die Profis im niedrigen einstelligen Prozentbereich angesetzt. Ebenso gewichteten die Anleger die Subkategorie Ökoeffizienz mit 20 Prozent viermal so hoch wie sonst in Standard-Portfolios üblich.

Auch die Geldverwalter von Acatis haben damit begonnen, sich bei ihren Fondsinvestoren umzuhören – als allgemeines Investmentleitbild. Was uns dabei auffiel: Im Gegensatz zur Degussa-Umfrage landeten bei den Acatis-Kunden nicht Umweltthemen, sondern soziale Kriterien auf dem ersten Platz. Die erfragten Präferenzen sollen Acatis eigenen Angaben zufolge dabei helfen, Fonds gemäß Artikel 8 als nachhaltig einstufen zu können.

Was wir hier sehen, trifft womöglich genau den Nerv unserer Zeit: Nicht 0815 und von der Stange, sondern individuelle, maßgeschneiderte Produkte. Für Sie also eine Möglichkeit, im Kundengespräch neue Ansätze zu finden.

Stimmen aus der Praxis

Was sagen die Manager?

Svilen Katzarski, Fondsmanager bei der Degussa Bank AG:

Svilen Katzarski (c) Degussa Bank
„Der Hintergrund ist, dem Kunden ein Produkt zu liefern mit dem er sich bestmöglich identifizieren kann und dass somit eine nachhaltige und langfristige Investitionsentscheidung getroffen wird, die dem Kundenwunsch mehrheitlich am nächsten kommt. Durch die jährliche regelmäßige Abstimmungsmöglichkeit der Investoren werden die Kundenmeinungen immer am Zeitgeschehen ausgerichtet, zeitnah aktualisiert und bestmöglich berücksichtigt.“
Hendrik Leber (c) Acatis

Hendrik Leber, Geschäftsführender Gesellschafter bei der Acatis Investment KVG mbH:

„Da das Thema Nachhaltigkeit für unsere Investoren von großem Interesse ist, ergibt es Sinn, diese nach ihrer Definition von Nachhaltigkeit zu befragen und deren Geld dementsprechend nachhaltig im Sinne des Kundenwunsches zu verwalten. Für unseren Investmentprozess sind die Ergebnisse sehr wertvoll und wir nehmen sie sehr ernst. Nicht alles können wir eins zu eins umsetzen, aber es wird Veränderungen in unseren Portfolios geben.“
Chart der Woche

Die BIZ misstraut dem Hype

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ist nicht für Alarmismus bekannt. Allerdings nutzt die "Zentralbank der Zentralbanken" ihre Quartalsberichte durchaus, um der Finanzszene die Leviten zu lesen. Der jüngste Bericht macht da keine Ausnahme. Er beschäftigt sich mit der aktuell heiß diskutierten Frage, ob es sich bei der ganzen Begeisterung für das Thema ESG vielleicht nur um einen Hype handelt – also eine aus Gründen der Publicity inszenierte Täuschung, wie der Duden so treffsicher übersetzt. Folgt also bald die große ESG-Ent-Täuschung?

Die BIZ sieht jedenfalls Anzeichen zur Sorge: So hat sich das nach ESG- und SRI-Kriterien weltweit in Fonds und ETFs verwaltete Aktien- und Anleihen-Vermögen in den vergangenen fünf Jahren mehr als verzehnfacht. Es liegt nach BIZ-Angeben jetzt bei insgesamt rund zwei Billionen US-Dollar. ESG-/SRI-Aktienfonds machen damit heute etwa drei Prozent des gesamten verwalteten Vermögens von Investmentfonds und ETF aus, ESG-/SRI-Anleihefonds etwa ein Prozent. Vermutlich ist der Anteil sogar viel höher, spekuliert die BIZ, denn Offenlegungspflichten sind immer noch begrenzt.

So oder so: Die Wachstumsraten sind enorm. Damit einher geht ein massiver Anstieg der Preise. So kletterte das Kurs-Gewinn-Verhältnis von Aktien aus dem S&P 500 Clean Energy Anfang dieses Jahres zeitweise auf mehr als das Doppelte des marktbreiten S&P 500.

Das schnelle Wachstum erinnert die BIZ-Autoren an dunkle Zeiten:

Es ist daher bemerkenswert, dass Wachstum und Größe des MBS-Marktes vor der GFC vergleichbar sind mit der aktuellen Entwicklung bei ESG-Investmentfonds und ETFs.
Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

Harvard ergrünt

Harvard ergrünt

Die reichste Universität der USA will ab sofort nicht mehr in Unternehmen investieren, die Geld mit fossilen Brennstoffen verdienen. Stattdessen soll das Stiftungsvermögen von 42 Milliarden US-Dollar künftig in die "Green Economy" fließen. Harvard folgt damit dem Vorbild anderer Elite-Unis wie der University of California (UCLA) und der britischen Cambridge-Universität und reagiert auf zunehmende Studenten-Proteste.

Triodos misstraut dem ersten UK-Green-Bond

Triodos misstraut dem ersten UK-Green-Bond

Am Dienstag dieser Woche kam die erste grüne Staatsanleihe Großbritanniens auf den Markt. Der Green Gilt mit 0.875 Prozent Zinscoupon und Laufzeit bis 2033 soll zur Finanzierung von Offshore-Windparks und emissionsfreien Bussen dienen, hatte ein Volumen von zehn Milliarden britischen Pfund und war zehnfach überzeichnet. Während viele Vermögensverwalter die Emission lobten, kritisierte mit Triodos ein Veteran der ESG-Bewegung den dahinerliegenden Plan der Briten als "nicht grün genug". Der Grund: Es fließt auch Geld in sogenannten blauen Wasserstoff. Und der ist den Niederländern nicht ökologisch genug.

Die Commerzbank macht Ernst

Die Commerzbank macht Ernst

Im öffentlichen Auftritt preist die Commerzbank ihr Banking längst als nachhaltig an, bekennt sich stolz zu allerlei Öko-Initiativen und lässt Kunden ihren CO2-Fußabdruck bestimmen. Nun geht die Bank einen weiteren Schritt und präsentiert – über ein Jahr nach der Deutschen Bank – konkrete ESG-Ziele. So will das Unternehmen bis zum Jahr 2025 das nachhaltige Geschäftsvolumen gegenüber dem Jahr 2020 auf rund 300 Milliarden Euro verdreifachen. Das ganze läuft unter "Strategie 2024". Wer genauer und konkreter wissen will, was der Vorstand vorhat, dem sei die Aufzeichnung der Web-Konferenz zur Sache empfohlen.

EIn letzter Schluck

Platz da!

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer ist ja bekannt für seine oft innovativen, und manchmal schrillen politischen Ideen. Die jüngste lautet: Wer sich in der Stadt ein dickes Auto hält, muss kräftig zahlen. Palmer hat durchgesetzt, dass die Anwohner-Parkgebühren für Autos mit Verbrennungsmotor ab 1,8 Tonnen Gewicht von 30 Euro auf 180 Euro jährlich steigen. Eigentlich wollte der Grünen-Politiker sogar doppelt so viel verlangen – die immer noch satte Erhöhung ist ein Kompromiss, ausgehandelt im Klima-Ausschuss der Stadt. Schließlich will Tübingen im Jahr 2030 klimaneutral sein. Da stören Spritschleudern.

Ist das nun ein Vorschlag aus der Kategorie innovativ oder schrill? Ob die Parkgebührenerhöhung das Klima rettet, können wir nicht sagen – vermuten aber, dass die Wirkung doch begrenzt sein dürfte. Aber dass es vernünftig ist, die Autobesitzer stärker zur Kasse zu bitten, das können wir unterschreiben. Nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus logischen. Denn solange jene, die Parkraum in unseren Städten nutzen, keinen angemessenen Preis dafür bezahlen, zahlen eben alle anderen dafür. Das ist ineffizient, unfair und auch nicht sozial, weil Bessergesellte häufiger (große) Autos besitzen.

Wer sich mit der Ökonomie des Parkens näher besser will, dem empfehlen wir, sich einmal mit Donald Shoup zu befassen. Shoup ist Distinguished Research Professor am Department of Urban Planning der US-Eliteuni UCLA und hat ein 800-Seiten-Standardwerk über die hohen Kosten des vermeintlich kostenlosen Parkens verfasst. So hat er in einer Studie berechnet, dass öffentliche Garagenparkplätze in ausgewählten US-Städten durch den immensen Flächenverbrauch die Wohnungsmieten um rund 17 Prozent erhöhten. Selbst Lebensmittel werden teurer, wenn Supermärkte kostenlose Parkplätze bereitstellen. Zugleich wird durch preiswertes oder gar kostenloses Parken in der Stadt das Autofahren attraktiver als Bus und Bahn. Ergibt alles keinen Sinn, sagt Parkforschungs-Legende Shoup und fordert: Die Parker sollen selbst zahlen! Das nützt nicht bloß der Umwelt. Sondern allen, die ihren Wagen stehen lassen. Klingt gar nicht so schrill.

Autoren dieser Ausgabe:

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Wir sind Redakteure in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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