ESG report #59: Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft I Ist Öko out?

Liebe Leserinnen und Leser,

in der Immobilienwirtschaft wird ESG immer mehr zum Wettbewerbsfaktor – für Bauherren genauso wie für Eigentümer und Makler. Denn die Sorge wächst, dass energetisch vernachlässigte Bestandsgebäude sich zu Stranded Assets entwickeln, wenn sich eine Sanierung nicht rechnet und der Energiebedarf einfach zu hoch ist. Die neue digitale Plattform SedaiNow will Immobilienvermittlern nun Nachhaltigkeitsaudits offerieren, die helfen sollen, ESG-Risiken von Gebäudeobjekten zu analysieren und passende Finanzierungen zu finden. Außerdem haben wir ein paar frische Personalien für Sie. Und wir befassen uns mit den Sorgen der Bio-Läden.

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Ihre ESG-Redaktion

Thema der Woche

ESG: Damoklesschwert über Immobilien?

Über ein Drittel der CO2-Emissionen und des Energieverbrauchs gehen nach Berechnungen der UNO weltweit auf den Gebäudesektor zurück. Auch für den produzierten Abfall spielen Häuser eine überragende Rolle. Und je älter, desto schlechter isoliert und damit umweltschädlicher erweisen sich die Hüllen von Wohnungen, Fabriken und Büros. Strikte ESG-Anforderungen sollen diesen Missstand nun nach und nach beheben. Ein Beispiel ist die avisierte CO2-Steuer, die ab 2023 auf Immobilieneigentümer und Mieter in Deutschland zukommen könnte.

Sorge vor unrentablen Altbeständen wächst

Bauherren, Finanzierer und Immobilienbesitzer bringt das in die Bredouille. Denn die Finanzierung des energetischen Fortschritts am Bau wird angesichts steigender Zinsen, hoher Energiepreise und anziehender Inflation schwieriger und teurer. Als Konsequenz befürchten rund 65 Prozent der Befragten einer neuen Studie, dass ältere Häuser zunehmend zu Stranded Assets werden, zu Investitionsruinen, weil sich notwendige Energie-Effizienz-Maßnahmen nicht amortisieren. Immobilien mit Energie-Effizienz-Klassen von F oder schlechter wären dann Abschreibungsobjekte. Dabei finden sich solche immer noch in vielen Immobilien-Portfolios.

Für die anonyme Online-Umfrage wurden zwischen August und September Asset Manager in Deutschland befragt, die es zusammen auf ein verwaltetes Immobilienvermögen von über 100 Milliarden Euro bringen. Auftraggeber waren Aurepa Advisors und PwC Deutschland. Weiteres Ergebnis der Umfrage: Grüne Mietverträge oder Green Leases werden bislang selten genutzt. Ein Thema, das Makler mit Blick auf zukünftiges Geschäft auf dem Schirm haben sollten, da der Trend immer stärker in diese Richtung gehen könnte.

SedaiNow: Immobilien-ESG-Risiken im Fokus

Das Thema ESG-Kriterien in der Immobilienbranche steht bei SedaiNow oben auf der Agenda, einer neuen digitalen Plattform, die Investoren, Eigentümern und Verwaltern helfen soll, ESG-Risiken von Gebäuden zu analysieren und auf Basis dieser Auswertung einen besseren Zugang zu Finanzierungen und Investitionen zu bekommen. Christian Walter, Chef von SedaiNow, will damit nachhaltige Investitionsentscheidungen erleichtern. Ein überaus renommierter Player der Branche ist bereits an Bord: Im August beteiligte sich Engel & Völkers Commercial als strategischer Partner an der Plattform. Der Startschuss für ein erstes gemeinsames Projekt fällt in diesem Monat. Im Fokus stehen Eigentümer von Wohn- und Geschäftshäusern, die CO2-Risiken ihrer Bestände aufdecken sollen.

Die Zukunft ist grün: Neue nachhaltige Schwerpunkte

Das Angebot zeigt, wie sehr der Markt in Bewegung ist – aber auch, wie schwer es aktuell noch ist, ESG-Risiken bei Gebäuden zu bewerten. In Zukunft dürften neue Konzepte etwa zum zirkulären Wirtschaften, modularen Bauen, zum Einsatz umweltfreundlicher Materialien sowie zur Dach- und Fassadenbegrünung helfen, die Ökobilanz substanziell zu verbessern. Weitsichtige und kreative Makler können hier bereits heute neue Geschäftsfelder entdecken – mit nachhaltigem Rückenwind.

Personalien

Namen, die Sie sich merken sollten

Waibel wird ESG-Chef bei der Meag

Die Meag, Vermögensverwalter von MunichRe und Ergo, baut ihren Nachhaltigkeitsbereich aus und um. Moritz Waibel nimmt zum 1. Dezember die neu geschaffene Position als Head of ESG & Sustainable Finance ein. Sein Team kümmert sich um die übergeordnete ESG-Strategie und die Weiterentwicklung des Themas ESG bei der Meag. Ein weiteres ESG-Analyse-Team konzentriert sich auf die Investmentseite und bündelt die fachliche ESG Expertise als Kompetenzcenter.

Rabe soll bei DJE Nachhaltigkeit vorantreiben

Jan Rabe hat zum 1. Oktober als ESG-Analyst und Portfoliomanager die Position Leiter Nachhaltigkeit bei der DJE Kapital AG übernommen. Der ESG-Spezialist soll Expertise und Angebot in diesem Bereich vorantreiben.

Waterstraat wechselt von Berenberg zu Warburg Invest

Frederic Waterstraat ist neuer Leiter des ESG-Offices der Warburg Invest und verantwortet damit künftig die strategischen und operativen ESG-Themen. Er kommt von Berenberg, wo er bereits die institutionelle ESG-Beratung aufgebaut hat.

Auf einen Blick
Taxonomie: Wien klagt gegen EU-Einstufung von Atom und Gas als klimafreundlich

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Österreich hat beim EuGH eine Klage gegen die mögliche Einstufung von Atomkraft und Gas als klimafreundlich eingereicht. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) unterstütze grundsätzlich die EU-Taxonomie, hieß es. „Wogegen ich mich aber mit aller Kraft wehre, ist der Versuch, über eine Hintertüre (...) Atomkraft und Gas grün zu waschen“, sagte sie.

Munich Re setzt Öl- und Gasprojekte auf schwarze Liste

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Der weltgrößte Rückversicherer wird keine neuen Projekte im Bereich der fossilen Brennstoffe und der damit verbundenen Infrastruktur mehr versichern. So will das Unternehmen nach eigener Angabe seinen Beitrag zur Erreichung der im Pariser Klimaabkommen festgelegten Ziele leisten.

ESG in der Vorstandsvergütung

ESG in der Vorstandsvergütung

Die meisten europäischen Investoren sehen in der Berücksichtigung von ESG-Kriterien in der Vorstandsvergütung ein wirksames Instrument, um vor allem klimarelevante Ziele schneller zu erreichen. Hier wird Arbeitgebern erklärt, wie sich die Vergütung entsprechend ausgestalten lässt.

Ein letzter Schluck

Ist Öko jetzt wieder out?

Viele kleine Bioläden haben damit zu kämpfen, dass die Kauflaune der Menschen durch die Inflation gedämpft ist, ihre Umsätze sind im Vergleich zum Vorjahr um fast elf Prozent eingebrochen. An teuren Lebensmitteln spart inzwischen auch die Mittelschicht, ist gerade überall zu lesen. Schon wird geunkt: In der akuten Krise spielt Nachhaltigkeit selbst für ihre bisherigen Fans keine Rolle mehr. In Sachen Energiepolitik haben sich die Lager verschoben, und wenn Greta Thunberg mit der CDU einer Meinung ist – wie bei der AKW-Verlängerung – dann muss die Öko-Welt wohl endgültig aus den Fugen geraten sein. Verabschiedet sich die Gesellschaft also langsam wieder vom Nachhaltigkeitsgedanken?

So schwarzweiß ist es dann doch nicht. Denn die Zahlen zeigen: Ja, nicht mehr alle leisten sich den Kauf im Bioladen nebenan. Aber insgesamt gewinnen Bioprodukte sogar Marktanteile, wie neue Zahlen des Marktforschungsinstituts GfK belegen. Die Verbraucher kaufen weiter Bio ein, aber eben häufiger im normalen (und günstigeren) Supermarkt.

Wir wissen: 2022 ist in vielerlei Hinsicht ein Ausnahmejahr. Und dass politischer Pragmatismus oft auf Kosten der Nachhaltigkeit geht, ist ein Thema, über das man durchaus streiten darf. Es darf der Kopf darüber geschüttelt werden, wenn Atom- und Kohleenergieproduzenten und die Rüstungsindustrie das ESG-Label ebenfalls gerne für sich beanspruchen möchten. Aber. All das zeigt auch: Nachhaltigkeit ist immer und überall Thema. Pandemie, Krieg und Krise zum Trotz. Wir sprechen, diskutieren, streiten darüber. Als "nachhaltig" gelten zu dürfen, ist eine unglaublich begehrte Auszeichnung geworden. Die Relevanz ist nicht verschwunden. Zumindest das ist dieser Tage unstrittig.

Diese Ausgabe stammt von:

Imke Reiher + Anne Hünninghaus

Imke Reiher + Anne Hünninghaus

Wir sind Redakteurinnen in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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