ESG report #58: Neue Aufgaben ab 2023 I Mangelndes Vertrauen in ESG-Daten
Liebe Leserinnen und Leser,
zum Jahresende soll die EU-Offenlegungsverordnung – kurz SFDR – bei Fonds komplett umgesetzt sein. Heißt: Pünktlich zum neuen Jahr müssen Finanzdienstleistungsinstitute und Wertpapierfirmen diese bei ihrer Anlageberatung zusätzlich beachten. §34f-Finanzanlagenvermittler bleiben dabei aber noch ante portas.
Unverändert bleibt hingegen leider noch immer der Mangel einer verbindlichen Definition von Nachhaltigkeit. Auch Artikel-9-Fonds sind mitunter weniger grün, als mancher Anleger denkt. Was dabei aber auch bedacht werden sollte: ESG ist mehr als nur E – gerade das S kommt in der Wahrnehmung derzeit oft noch viel zu kurz. Dazu ein kleiner Back-Check: Inwieweit haben Sie selbst Social Impact Investing auf dem Schirm?
In unserem Letzten Schluck beschäftigen wir uns heute mit der Frage, warum sich deutsche Unternehmen oft nicht in der Lage sehen, die Anforderungen im ESG-Reporting zu erfüllen.
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Ihre ESG-Redaktion

ESG-Fonds: Regulierung zieht weiter an
Grüne Finanzen sind bei Anlegern en vogue: Zu diesem Ergebnis kommen zahlreiche Studien. Die Pflicht zur Nachhaltigkeitspräferenzabfrage, die seit dem 2. August verbindlich greift, gibt der Nachfrage zusätzlichen Rückenwind. Und auch bei Staatsanleihen gewinnen nachhaltige Ausrichtungen laut Aussage der Bundesregierung an Bedeutung.
Klar ist: Das Thema Nachhaltigkeit soll auch wirklich nachhaltig in der Finanzbranche verankert und berücksichtigt werden. Um das zu fördern, wird an vielen Stellen reguliert. Ende Dezember steht ein neuer Termin an, der für viele Player in der Finanzbranche wichtig ist, weil sie mit Blick auf ihre Produktplatte darauf reagieren müssen. Die Rede ist von der EU-Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation – kurz: SFDR), und ihrer kompletten Umsetzung, laut der sämtliche Fonds ab 2023 verbindlich in einer Nachhaltigkeitsstufe klassifiziert sein müssen.
Fonds-Beratung wird regulierter
Die Vorgaben, wie die einzelnen Assets in den Fonds zu bewerten sind, sollen in der EU-Taxonomie stehen, die bis Ende dieses Jahres fertiggestellt werden soll. Für die Beschäftigten von Finanzdienstleitungsinstituten und Wertpapierfirmen bedeutet das, dass sie ab Januar 2023 in ihrer Anlageberatung sowohl die Taxonomie als auch die Offenlegungsverordnung berücksichtigen und anwenden müssen. Im Zuge dessen steht bei Fonds in Zukunft auch der Verweis auf sogenannte Principle Adverse Impacts (PAI) an – nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren – sprich, die Kehrseite der Positiv-Kriterien (Artikel 7 der EU-Offenlegungsverordnung). Finanzanlagenvermittler mit einer Erlaubnis nach §34f Gewerbeordnung (GewO) sind davon aber (noch) ausgenommen.
ESG-Regulierung: "Work in Progress"
Soweit die Theorie. Inwieweit sich in der Praxis dadurch tatsächliche Veränderungen ergeben, bleibt abzuwarten. Denn nach wie vor hakt es an etlichen Stellen, obwohl es mittlerweile bereits vier Jahre her ist, dass die Europäische Kommission ihren EU-Plan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums initiiert hat. Grund hierfür ist vor allem, dass es noch immer keine verbindliche Definition gibt, was echte Nachhaltigkeit abdecken muss – die Problematik ist bekannt.
Hier sollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihren Beitrag leisten, indem sie objektiv und methodisch sauber entsprechende Standards für nachhaltige Kapitalanlagen konzipieren und vorgeben, meint Mark Branson, Chef der Finanzaufsichtsbehörde Bafin. Die eigene Behörde sehe er hingegen nicht in der Pflicht, eigene ESG-Präferenzen vorzugeben, wie er auf einer hauseigenen Veranstaltung zum Thema "Sustainable Finance" Mitte September anmerkte. Sie müsse vielmehr für Transparenz sorgen und für Klimarisiken sensibilisieren. Gerade hier gibt es – auch als Konsequenz einer fehlenden, einheitlichen Definition – noch viel Raum für Unsicherheit. De Facto sei die ESG-Regulierung „Work in Progress“, wie Frank Grund, Bafin-Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsaufsicht, sagte.
Artikel-9-Fonds: Weniger grün als gedacht?
Kein Wunder also, dass es selbst bei so genannten Artikel-9-Fonds – die mit Blick auf Nachhaltigkeit eigentlich auf der Poleposition liegen sollten – zu Überraschungen kommen kann. Denn mitunter unterscheiden sich die Top-Positionen im Portfolio kaum von denen, die Fonds ohne explizites ESG-Label haben. Zu diesem Ergebnis sind die Fondsanalysten von Scope gekommen, nachdem sie zahlreiche Fonds gezielt vor diesem Hintergrund ausgewertet haben. Das Ergebnis: Statt Unternehmen, die sich im Bereich der Erneuerbaren Energien engagieren, fanden sich im Gros der Produkte eher Titel wie Microsoft, Alphabet, Apple, das Halbleiterunternehmen ASML, Schneider Electric und Novo Nordisk auf den vorderen zehn Portfolio-Plätzen.
Das sind nicht unbedingt die Kandidaten, die einem mit Blick auf Nachhaltigkeit zuerst in den Sinn kommen. Trotzdem haben sie alle ihre Legitimierung, wie Scope-Analystin Simone Schieg betont. Denn unter Klimagesichtspunkten schneiden die Unternehmen gut ab, ebenso wie bei der Nachhaltigkeitsberichtserstattung – und damit bei zwei Kriterien, die eine wichtige Rolle beim ESG-Rating spielen.
ESG ist mehr als E
Zudem sollte man nicht vergessen, dass sich ESG-Kriterien nicht nur auf Klima- und Umweltaspekte beziehen, sondern auch auf soziale und unternehmenstechnische, mit Blick auf gesellschaftliche Verantwortung. Diese beiden Punkte haben viele Anleger oft weniger aus dem Schirm, wenn es um die Einschätzung von Nachhaltigkeit geht. Diesen Punkt sollten Finanzberater im Hinterkopf haben – denn hier wird sich Produkt-technisch in Zukunft sicher auch einiges verändern. Im Vorteil ist, wer sich bereits früh mit der Thematik beschäftigt, und entsprechendes Hintergrundwissen hat. Impact Investing steht bereits hoch im Kurs – gezieltes Social Impact Investing noch nicht. Über das dahinter liegende Potenzial werden wir ein anderes Mal berichten.


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Woran hapert's?
"Deutsche Unternehmen tun sich schwer mit der ESG-Berichterstattung" - die Überschrift für eine Studie von Workiva, einem Anbieter von Software für Finanzberichterstattung, ist eine präzise Beschreibung des Status quo und kommt für Branchenkenner wenig überraschend. 67 Prozent der befragten ESG-Expertinnen und -Experten sind der Meinung, dass ihre Unternehmen nicht in der Lage sind, die gesetzlichen Anforderungen zur ESG-Berichterstattung zu erfüllen.
Noch deutlich beunruhigender: 72 Prozent haben kein Vertrauen in die Daten die den Stakeholdern derzeit gemeldet werden, obwohl 68 Prozent der Unternehmen einen Verantwortlichen zur Überwachung der Berichterstattung ernannt haben.
Richtig deutlich wird aus der Studie nicht, warum es denn nun an Vertrauen mangelt. Die Berichterstattung sei neu, die Standards nicht einheitlich – doch liegt das nicht auch in der eigenen Hand der Unternehmen? In einem anderen Bereich, etwa der Berichterstattung zur Bilanz, ist es kaum vorstellbar, dass ein Unternehmen die eigenen Daten nicht für bare Münze nimmt. Sicherlich fehlt es im Bereich ESG an einheitlichen Standards – doch vielleicht ist auch die Angst vor negativen Ergebnissen bei den Unternehmen ein Hemmschuh.
Diese Ausgabe stammt von:

Lilian Fiala + Imke Reiher
Wir sind Redakteurinnen in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.