ESG report #57: Top-Performer: Öl schlägt Umwelt | ESG-Podcast | Autoprosa
Liebe Leserinnen und Leser,
das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit, heißt es oft. Das zweite ist womöglich die Moral. Jedenfalls tun sich ESG-konforme Unternehmen in den USA gerade schwer gegen die texanische Big-Oil-Industrie, die von der Energie-Abfuhr des Westens gegen Russland am meisten profitiert. In Deutschland sieht die Sache etwas anders aus: Bei uns platzieren sich aktuell im Aktien-Performance-Länderranking noch vor den Rüstungskonzernen drei Titel, die für Energien mit Zukunft stehen - und möglichst ohne CO2. Damit können Sie im Kundengespräch das immer häufiger zu hörende Argument kontern, das da lautet: Mit Öl macht man halt gerade Kohle.
Außerdem erfahren Sie heute, wie schwer sich die hiesige Autoindustrie mit dem Abschied vom Verbrenner tut. Spoiler: Das klingt gar nicht gut.
Wir wünschen viel Spaß bei der Lektüre! Wie immer freuen wir uns über Ihr Feedback an redaktion@esg-report.de – und natürlich über Ihre Weiterempfehlung.
Ihre ESG-Redaktion

Klimakiller Putin: So stützt sein Krieg US-Big-Oil
Es ist das klassische Dilemma: Um die Menschen im Winter vor zu hohen Energiekosten zu schützen, debattiert die Regierung über den Einsatz einer Gaspreisbremse - und könnte damit sowohl der Umwelt als auch den Menschen selbst mehr schaden als nützen. Denn erstens ist klar, dass der Gasverbrauch auch vom Preis abhängt. Wenn der Staat ihn künstlich senkt, dürfte die Nachfrage daraufhin also steigen oder zumindest nicht so sehr sinken wie bei der Verteuerung. Zweitens finanziert der Staat die Zuzahlungen aus Steuern und eigenen Schulden - und pumpt somit letztlich mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf, was die ohnehin schon hohe Inflation noch weiter treiben könnte. Davor warnten zuletzt Experten wie Stefan Kooths, Vizepräsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel.
Vor allem aber lässt sich der Weltmarkt-Preis für Gas und Öl, der in den vergangene Monaten so massiv gestiegen ist, wohl kaum von einer deutschen Regierung ausbremsen. Mit anderen Worten: Energie bleibt teuer. Und damit zählen ausgerechnet die globalen Energiekonzerne des Westens zu den größten Gewinnern von Putins Angriffskrieg. Man kann es nicht anders sagen: Wer in diesen Tagen also seine Anlagestrategie brav nach strengen ESG-Kriterien ausgerichtet hat und große Klimasünder meidet, dem sind die wichtigsten Aktiengewinne des Jahres entgangen, wie ein Blick auf die Top-Performer des US-Standardwerteindex S&P 500 zeigt.

Die Top-Performance der Umweltsünder ist besonders bemerkenswert, wenn man die Gesamtperformance des Index gegenüberstellt: Der S&P 500 brach im Verlauf dieses Jahres um fast 23 Prozent ein. Die fossilen Giganten haben also den Kopf aus der Schlinge gezogen, die Gewinne sprudeln, sie sind damit echte Kriegsgewinner. Der Top-Titel im Sündenregister, Occidental Petroleum, ist Marktführer in Texas und zudem auch in den Ölstaaten Katar, Oman und Kolumbien aktiv. Star-Investor Warren Buffett schwört auf die Aktie, hält fast 20 Prozent der Anteile.
Aus ESG-Sicht einzige Ausnahme im Top-Register ist die Aktie von Enphase Energy, ein Technologiekonzern, der unter anderem Wechselrichter für Solaranlagen produziert und damit in die energetische Zukunft weist. Das Unternehmen beweist damit immerhin, dass das fossile Zeitalter bald enden könnte. Ein Lichtblick.
Nah ist's derzeit besser als fern
Wenn Sie in diesem trüben Börsenjahr mit Ihren Kunden nach Kurs-Perlen fischen wollen, empfehlen wir statt des Blicks in die USA besser die Suche in Deutschland. Denn bei uns finden Performancejäger derzeit weitaus mehr Unternehmen mit zukunftsweisenden Energieangeboten. Die Top-3 der Nebenwerte hierzulande stehen allesamt für eine emissionsfreie Energieversorgung. Auch wenn sich dahinter Rüstungsfirmen aufreihen: Der Krieg verzehrt nicht völlig die Moral.


60 Prozent...
... der deutschen Privatanlegerinnen und -anleger berücksichtigen ESG-Kriterien beim Aktienkauf. Jede und jeder Vierte sortiert Unternehmen mit schlechten ESG-Bewertungen aus. Zu diesem Ergebnis kommt eine kürzlich durchgeführte Umfrage durch eToro unter 10.000 Privatanlegern.
Die Investmentplattform reagiert darauf mit der Einführung eines eigenen ESG-Scores. In Form eines Ampelsystems sollen eToro-Trader auf einen Blick erkennen können, wie grün oder rot Börsentitel aufgestellt sind. Dafür arbeitet eToro mit ESG Book zusammen, einem weltweit führenden Anbieter von ESG-Daten und -Technologien.
Wir denken: Jeder Versuch, den ESG-Dschungel übersichtlicher zu gestalten, ist eine gute Sache. Das Problem fehlender internationaler Standards bleibt.


USA: Waffen gut, ESG böse
Wir hatten es bereits angeteasert: In den USA wächst der Widerstand gegen nachhaltige Geldanlagen. Im Bundesstaat Texas landen Investoren auf der schwarzen Liste, die Aktien von Waffenproduzenten boykottieren. Staatliche Institutionen dürfen keine Geschäfte mehr machen mit Fonds von Fidelity, Vanguard und Co. Die Wirtschaftswoche liefert dazu einen umfangreichen und äußerst kuriosen Bericht über den gefährlichen Kreuzzug gegen ESG.
Podcast-Tipp: The Green Investor
Das New Yorker Finanzmedium Investopedia hat den perfekten Podcast für Sie: Alle zwei Wochen behandelt The Green Investor die neuesten Trends rund um ESG, SRI und Impact Investing. In der jüngsten Episode spricht Investopedia-Chef Caleb Silver gemeinsam mit Expertinnen von Morningstar über die Notwendigkeit neuer ESG-Investment-Standards. Dazu gibt es auch ein Transkript.

ESG-Praxis zwischen Sinn und Irrsinn
Beim ESG-Roundtable des private banking magazins debattierten Expertinnen und Experten der Investmentgesellschaft Blackrock, des Indexanbieters MSCI sowie internationale Bankhäusern über die Präferenzabfrage, neue ESG-Trends und Beratungsstrategien für vermögende Kunden.

Relikt aus der Treibstoffära
Seit überdimensionierte SUV-Straßenpanzer zum normalen Stadtbild gehören, muss sich das motorisierte Alphatier neue Wege bahnen, um noch irgendwie Dominanz und Männlichkeit ausstrahlen zu können.
Zu seinem Glück gibt es Mercedes-AMG. Die Affalterbacher bewerben ihren neuesten Bullen, den Mercedes-AMG C 63 S E Performance, mit dem Slogan: Aufbruch in eine neue Ära. Und wie diese neue Epoche in der AMG-Prosa charakterisiert wird, erinnert unweigerlich an das Selbstbild der Zielgruppe: „permanent erregt“, „standfest“ und mit „muskulösen Proportionen“.
Herunterbrechen lässt sich der vermeintliche Wandel auf das Herzstück des Plug-in-Monsters: ein 2,0-Liter-Vierzylinder mit elektrischem Turbolader. Dabei handle es sich um den stärksten in Serie produzierten Vierzylinder der Welt. Systemleistung inklusive E-Motor: 680 PS. Höchstgeschwindigkeit 250 km/h, optional sogar 280. Dazu Performance-Sitze und Performance-Lenkrad.
Die Batterie soll eine schnelle Leistungsabgabe wie in der Formel 1 garantieren. Was die sonst noch kann? Den Pkw maximal 13 km ohne Motor antreiben. Richtig gelesen: 13 Kilometer. Im Vergleich dazu bietet beispielsweise ein Tesla je nach Modell zwischen 400 und mehr als 600 km.
Mercedes-AMG nennt die 13 km gleich zu Beginn seiner mehrseitigen Pressemitteilung „einen praxisgerechten Aktionsradius, beispielsweise in der Stadt oder in Wohngebieten“. Irgendwie witzig, die praxisgerechten 680-Wohngebiets-PS. Immerhin liest man weiter hinten, dass damit eigentlich die Fahrt aus dem Wohngebiet zum Stadtrand gemeint ist. Von da an schiebt der Verbrenner dann in die neue alte Ära.
Diese Ausgabe stammt von:

Udo Trichtl + Olaf Wittrock
Wir sind Redakteure in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.