ESG report #53: Nachhaltigkeit braucht Feminismus I Kritische Denker gesucht
Liebe Leserinnen und Leser,
ohne Frauen und Mädchen zu empowern, wird es nichts mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. Das hat der Rat für Nachhaltige Entwicklung jetzt nochmal eindrücklich betont. Wo konkret die Zusammenhänge liegen und wo die Herausforderungen für Politik und Sie als Finanzmarktakteure liegen, zeigen wir Ihnen in dieser Ausgabe des ESG-Reports.
Außerdem blicken wir heute auf einige Personalwechsel. Und wir beschäftigen uns mit der Frage, inwiefern Wirtschaftswissenschaft und kritisches Denken zusammenpassen (sollten).
Wie immer freuen wir uns über Ihr Feedback an redaktion@esg-report.de – und natürlich über Ihre Weiterempfehlung.
Ihre ESG-Redaktion

Ohne Feminismus keine Nachhaltigkeit
Bis 2030 sollen alle Formen der Diskriminierung von Frauen und Mädchen überall auf der Welt beendet werden. So steht es im SDG 5 der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, einem von 17 Zielen für mehr Nachhaltigkeit. Nur ein einziges der Ziele orientiert sich damit an gleicher Bildung und gleichen Chancen für Frauen.
Das ist zu wenig, wie der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) feststellt. Denn: SDG 5 steht in Wechselwirkung zu allen anderen SDGs.
„Wir werden die anderen SDGs nicht umsetzen können, wenn wir Frauen und Mädchen nicht empowern.“
Das sagte die deutsche UN-Botschafterin Antje Leendertse jetzt anlässlich eines High Level Political Forums (HLPF) zur nachhaltigen Entwicklung.
Der Grund: Wenn Mädchen und Frauen benachteiligt sind, sind sie zugleich im Nachteil bei vielen anderen Zielen, und dann werden auch diese eben nicht erreicht.
Die Liste der Ziele, die nicht erreicht werden können, solange Frauen benachteiligt sind, ist lang.
Zu den gefährdeten Zielen zählen:
- Weniger Armut (SDG 1),
- kein Hunger (SDG 2),
- Mehr Gesundheit und Wohlergehen (SDG 3),
- gute Bildung (SDG 4),
- Geschlechtergleichheit (SDG 5),
- Trinkwasser und saubere sanitäre Einrichtungen (SDG 6),
- bezahlbare und saubere Energie (SDG 7),
- ordentliche Arbeit und Wirtschaftswachstum (SDG 9),
- verringerte Ungleichheit (SDG 10), natürlich,
- Klimaschutz (SDG 13),
- biologische Vielfalt im Wasser und an Land (SDG 14 und 15)
- sowie Frieden und Gerechtigkeit (SDG 16).
Die Gründerin der brasilianischen NGO Empoderaclima, Renata Koch Alvarenga, verdeutlichte den Ernst der Lage an einem überaus griffigen Beispiel: Mangelt es in Schulen an sauberem Wasser und Toiletten, was vor allem in ärmeren Regionen der Fall ist, dann gehen ausgerechnet junge Frauen oft nicht zur Schule, wenn sie ihre Periode haben. Entsprechend schlechter fällt die Bildung im Vergleich zu der von Jungen aus. Ohne Trinkwasser und sauberen sanitären Einrichtungen (SDG 6) also keine Geschlechtergerechtigkeit (SDG 5) – und eben auch keine gute Bildung (SDG 4).
Ist SDG 5 damit das wichtigste der UN-Nachhaltigkeitsziele? Naja, Wechselwirkungen gibt es natürlich überall. In jedem Fall aber gehört Geschlechtergerechtigkeit in jede Nachhaltigkeitsstrategie. Denn sie lohnt sich ganz besonders. Studien haben in jüngster Zeit immer wieder bewiesen, wie klug es ist, mehr Frauen und mehr Geschlechtervielfalt in Wirtschaft und Finanzwesen zu bringen. So reduzieren Unternehmen mit mehr Frauen in Führungspositionen ihren CO2-Ausstoß schneller, ermittelte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Diversität an der Firmenspitze erhöht wiederum die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, wie Studien von Digitalanbieter Diligent oder des Credit Suisse Research Institute ergaben.
Doch trotz Dringlichkeit und obwohl die Vorteile auf der Hand liegen, lässt etwa der europäische Green Deal in dieser Hinsicht zu wünschen übrig. Das kritisiert jetzt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Der grüne Deal schlage demnach keine Lösungen oder Ideen vor, um die geschlechtsspezifischen Benachteiligungen in vielen Bereichen in den Griff zu bekommen.
Was tun? Die Autorinnen und -autoren der FES-Studie fordern einen feministischen grünen Deal, um globale Krisen wie den Klimawandel zu bewältigen. Anita Bhatia, Deputy Executive Director bei UN Women, geht noch weiter. Sie fordert, Staaten sollten ihre Programme zum Ankurbeln der Wirtschaft weltweit auf Frauen fokussieren. Auch der Privatsektor müsse sich ändern, sagt Bhatia: Wenn einige Unternehmen mehr Profit machten als die Wirtschaftsleistung ganzer Staaten, dann müssten die Bemühungen dieser Unternehmen für mehr Geschlechtergleichheit gemessen und überwacht werden.

Namen, die Sie sich merken sollten
Philipp Finter hat heute bei Metzler Asset Management angefangen. Dort wird er für Initiativen zur ESG-Forschung verantwortlich sein, soll so die Integration von ESG-Indikatoren im Portfoliomanagement weiterentwickeln. Finter kommt von HQ Asset Management. Dort war er als Geschäftsführender Gesellschafter unter anderem für die Entwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie verantwortlich.
Nachhaltigkeitsexpertin Wiebke Merbeth hat den Münchener Kapitalverwalter BayernInvest nach gut zwei Jahren verlassen. Nun wird sie sich bei der Unternehmensberatung Deloitte im Bereich Financial Services Industry mit Nachhaltigkeitsstrategien befassen. Merbeth ist Mitglied im Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung.


Müssen sich Vermittler weiterbilden?
Die kurze Antwort: Nein. Der Themenkomplex Nachhaltigkeit ist nicht zwingend Teil der gesetzlich vorgeschrieben 15 Stunden Weiterbildung, die Versicherungsvermittler im Jahr absolvieren müssen. Laut Bundesregierung ist eine verpflichtende Nachhilfe in ESG auch künftig nicht geplant.

Club of Rome fordert radikales Umsteuern
Eine neue Club-of-Rome-Studie fordert drastische Schritte, um eine lebenswerte Zukunft zu sichern. Es brauche eine Umverteilung des Reichtums. Anders lasse sich auch die Klimakrise nicht lösen.

Der Preis des guten Gewissens
Hafermilch besteht aus Wasser, Haferflocken und Zusatzstoffen. Für den Pflanzendrink müssen also weder Kühe großgezogen noch Ställe gebaut werden. Die Wirtschaftswoche geht der Frage nach, warum das Produkt so viel teurer ist als Kuhmilch.

Kritische Denker gesucht
Quizfrage: Studierende welcher Fachrichtungen sind am wenigsten mit der Gabe zum kritischen Denken ausgestattet? Es sind mit einigem Abstand angehende Agarwissenschaftler. Gleich danach kommen Studierende der Wirtschaftswissenschaften ("Business"). Das ist zumindest das Ergebnis einer neuen OECD-Studie (der entsprechende Chart hier). Deutlich besser schneiden Vertreterinnen und Vertreter der Geistes-, Natur- und Sozialwissenschaften ab. Für die Studie hatten 120.000 Studierende aus den den USA, England, Italien, Finnland, Mexiko und Chile über mehrere Jahre vor und nach ihrem Studium Tests absolviert, in denen sie komplexe Aufgaben lösen mussten. Die Business- und Agriculture-Studierenden wiesen schon zu Beginn ihres Studiums niedrigere Werte in kritischem Denken und Problemlösungskompetenz auf. Das Studium machte es nicht besser, sondern verschlechterte ihre Fähigkeiten sogar. Woran es hakt, verrät die Studie nicht.
"War das schon immer so?", fragt Nachhaltigkeits-Professor Rüdiger Hahn dazu auf LinkedIn. Und legt nach:
Wird es künftig eher schlechter oder besser? Und sind Themen wie CSR oder Nachhaltigkeitsmanagement eine Hilfe oder verdrängen sie nur das Problem?
Gute Fragen. Eine weitere gute Frage lautet: Was machen US-amerikanische Unis besser als die anderen? Als einziges der untersuchten Länder fielen die Business-Studenten in den Staaten nämlich nicht hinter anderen Fachrichtungen zurück. Vielleicht helfen ja die dort üblichen regelmäßigen Debattierrunden, um zum kritischen Denken anzuregen. Sicher ist: Um den immer größeren und komplexeren Problemen unseres Planeten zu begegnen, braucht es fähige WiWis. Und zwar solche, die ihre Fachrichtung eingebunden in andere Gebiete betrachten, also eng verwoben beispielsweise mit Agrarwissenschaft, Sozialwissenschaft und Co.
Diese Ausgabe stammt von:

Anne Hünninghaus + Marilena Piesker
Wir sind Redakteurinnen der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.