ESG report #51: Scope-3 | Ketchup-Knappheit | Proxy Votings
Liebe Leserinnen und Leser,
um Klimaneutralität zu erreichen, müssen wir erst einmal verstehen, wo Treibhausgase überhaupt entstehen. Eine wichtige Reporting-Grundlage dafür bietet das Greenhouse Gas Protocol und seine Scope-3-Kategorien. Wie eine neue Studie nun offenbart, tun sich deutsche Unternehmen jedoch äußerst schwer damit, ihre indirekten Emissionen zu erfassen. Wie auch Sie, liebe Vertrieblerinnen und Vertriebler, stellen immer neue ESG-Regulierungen selbst die Dax 40 vor große Herausforderungen.
Außerdem stellen wir Ihnen in der heutigen Ausgabe den neuen Nachhaltigkeitsverantwortlichen bei der BNP Paribas vor und schauen uns an, wie Fondshäuser "Active Ownership" tatsächlich leben.
Wir wünschen viel Spaß bei der Lektüre! Wie immer freuen wir uns über Ihr Feedback an redaktion@esg-report.de – und natürlich über Ihre Weiterempfehlung.
Ihre ESG-Redaktion

Das Problem mit indirekten Emissionen
Fondsmanager müssen ab 1. Januar 2023 auch indirekte Treibhausgasemissionen in ihrer ESG-Berichterstattung berücksichtigen. Dann tritt nämlich die EU-Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzierungen (SFDR) in Kraft.
Da gibt es nur ein kleines Problem: den indirekten CO2-Ausstoß messen, das tun noch nicht mal die Unternehmen selbst. Zwar berichten die allermeisten EU-Börsenunternehmen mittlerweile umfänglich über ihre eigenen Emissionen. Doch bei der indirekten Verschmutzung hinken sie hinterher.
GHG: (Noch) kein Goldstandard
Die Unternehmen orientieren sich bei ihrer Berichterstattung an dem sogenannten GHG-Standard. Das Greenhouse Gas Protocol (GHG) aus dem Jahr 2011 ist ein internationaler Bewertungsmaßstab für das Reporting von Treibhausgasbilanzen. Das Besondere an dem Standard: Seine Betrachtung beschränkt sich nicht einfach nur auf das Werksgelände des bilanzierenden Unternehmens, sondern umfasst dessen gesamte Lieferkette.
Um das zu erreichen, unterscheidet das GHG-Protocol drei zentrale Dimensionen:
- Scope 1: direkte klimaschädliche Emissionen des Unternehmens, bspw. der eigene Fuhrpark
- Scope 2: indirekte klimaschädliche Emissionen durch Energielieferanten, bspw. der eigene Stromverbrauch (vorausgesetzt es handelt sich bei dem Unternehmen nicht um einen Energieproduzenten)
- Scope 3: indirekte klimaschädliche Emissionen in der vor- und nachgelagerten (upstream und downstream) Lieferkette. Hierfür definiert das GHG-Protocol wiederum 15 Kategorien, von den vorgelagerten Emissionen eingekaufter Waren bis hin zu deren Entsorgung durch den Endverbraucher.
Während Bilanzierung und Berichtspflicht für Scope 1 und 2 bereits verpflichtend sind, beruht Scope 3 noch auf Freiwilligkeit. Grund dafür ist in erster Linie, dass diese Emissionen oftmals nicht im unmittelbaren Einflussbereich des Unternehmens liegen.
Große Lücken bei Berichterstattung
Dementsprechend fällt es Unternehmen ziemlich schwer, zu Scope 3 Auskunft zu geben. Wie eine neue ESG-Studie der Ratingagentur Scope herausgefunden hat, gibt es eklatante Lücken beim Scope-3-Reporting unter den DAX-40:

Von den DAX-40 hat im Vorjahr nur die Hälfte über mehr als vier der 15 Scope-3-Kategorien berichtet. Sieben Unternehmen haben überhaupt nicht über Scope-3 berichtet und sechs über lediglich zwei Kategorien. Gerade einmal 26 von ihnen machten Angaben zu Emissionen ihrer eingekauften Waren und Dienstleistungen – die wichtigste Emissionskategorie. Darüber hinaus verwenden die Unternehmen unterschiedliche Methoden, um ihre indirekten Emissionen zu erfassen.
Greenwashing aus Versehen?
Diese Lücken haben weitreichende Konsequenzen – im wahrsten Sinne des Wortes: Laut UN stammen bis zu 98 Prozent des CO2-Fußabdrucks nicht aus der eigenen Produktion, sondern aus der Lieferkette. Werden Emissionen unvollständig bilanziert, kann das bis hin zum Vorwurf des Greenwashings reichen:
„Greenwashing ist oft nicht das Resultat einer absichtlichen Täuschung. Häufig liegt das Problem darin, dass Daten aus der Lieferkette nicht vorliegen, fehlerhaft oder falsch interpretiert sind“, kommentiert Patrick Klaver, Geschäftsführer beim Lieferkettenexperten Assent Inc.
Dabei braucht es nur ein einziges Unternehmen in unserer global vernetzten Welt, das seine Daten nicht ordnungsgemäß meldet, und es kommt zu einem Dominoeffekt. Schließlich sind die Scope-1-Emissionen von Unternehmen A die Scope-3-Emissionen von Unternehmen B. Hier erfolgt eine „Doppelbilanzierung“.
„Im schlimmsten Fall könnte dies dazu führen, dass Unternehmen mit hohen gemeldeten Scope-3-Emissionen ausgeschlossen werden, während Unternehmen mit erheblichem Underreporting einbezogen werden“, schreiben die Studienautoren von Scope.
Die uneinheitliche ESG-Berichterstattung, macht es Fondsmanagern nahezu unmöglich die SFDR einzuhalten.
Sie, liebe Beraterinnen und Berater sind in der Überforderung angesichts immer neuer ESG-Bestimmungen nicht allein. Selbst Dax-Unternehmen tun sich äußerst schwer damit, genauso wie die Konstrukteure vermeintlich grüner Portfolios. Trotz manch eingeschlagener Pflöcke fehlt es weiterhin an Daten und Standards. Den Zeitplan der Gesetzgeber erachten wir als äußerst optimistisch.

Willkommen im Club der ESG-Heads

Es kann wahrlich niemand mehr sagen, ESG sei nicht ganz oben angekommen im Management der Finanzdienstleister. Fast täglich schaffen und besetzen Banken, Versicherungen und Finanzvertriebe neue Leitungspositionen, um die Nachhaltigkeit nach vorn zu bringen. eine der neuesten Personalien: Bereits zum 1. August hat Nils Wetterich den neu geschaffenen Job des Head of Sustainable Business bei der BNP Paribas in Deutschland angetreten, wie die Bank jetzt meldet.
Die Funktion ist direkt unter Nachhaltigkeitschefin Eva Meyer angesiedelt, die als CSO zum Bankvorstand zählt. Wetterich verantwortet nun die nachhaltige Geschäftsentwicklung im Segment "Commercial, Personal Banking & Services". Dazu gehören neben dem Unternehmenskundengeschäft auch die Leasingsparten Arval und BNP Paribas Leasing Solutions, der Kreditversicherer Cardif und der Online-Kreditanbieter Consors Finanz.
Aus deren Vertriebsteam stammt der Mann auch. Künftig soll Wetterich laut Geschäftsleitung am "Ziel einer nachhaltigen Zukunft arbeiten" und dazu "Kunden die Unterstützung bieten, die sie für das Erreichen ihrer ESG-Ziele benötigen". Wir wünschen viel Erfolg!

Was uns diese Woche noch auffiel
Hitzewellen in den USA: bald 70 über 100?
Nicht nur bei uns in Europa wird es immer heißer und trockener. Auch die USA müssen sich auf noch größere Hitzewellen einstellen. Ein beeindruckendes Dossier der Washington Post zeigt: In 30 Jahren drohen in vielen Gegenden jährlich 70 Tage über 100 Grad Fahrenheit – das entspricht rund 38 Grad. Die Welt fiebert.

Nachhaltigkeitskommunikation im Dax: Nicht divers genug
Wenn sich die 40 Dax-Konzerne über Nachhaltigkeit äußern, dann geht es meist um Klimaschutz und Menschenwürde. Andere Themen – etwa Gleichstellung, Gesundheit oder Bildung – spielen viel seltener eine Rolle, zeigt eine Analyse der Agentur Smart PR, über die das Werbefachblatt Horizont berichtet. Entsprechend niedrig ist die Akzeptanz der Unternehmen bei Zielgruppen, denen solche Themen wichtiger sind. Fazit der PR-Profis: Eine diversere Kommunikation täte gut.

Klimawandel konkret: Jetzt geht's um die Wurst
Die anhaltende Dürre in Kalifornien hat viele unangenehme Folgen. Eine lebenspraktische: Der Ketchup wird knapp. Das berichtet unter anderem die New York Post. Tomatensauce kostete danach in diesem Juli 17 Prozent mehr als im vergangenen Jahr, Ketchup war sogar um 23 Prozent teurer. Tiefkühlpizza, Nudelsaucen und Barbecue-Toppings könnten wegen der Missernte bald unbezahlbar werden, wenn es im Westen der USA nicht langsam mal regnet.

Ein Proxy für grüne und graue Stimmen
Haben Sie schon mal gefragt, was mit den Stimmrechten Ihrer Kunden passiert, wenn sie über einen Fonds Anteile an Aktien erwerben? Nun: Die Aktionärsrechte gehen in diesem Fall an den Vermögensverwalter über, der nicht nur das Geld, sondern auch die Stimme der Investoren treuhändisch verwaltet. So entstehen Proxy Votings, zu Deutsch Stellvertreter-Wahlen. Was dabei in Sachen ESG rauskommt, ist durchaus bemerkenswert.
Schließlich brüsten sich immer mehr Fondsgesellschaften damit, nach dem Prinzip der "active ownership" oder "investment stewardship" auch auf Hauptversammlungen für nachhaltige Ziele einzutreten – und dem Management im Zweifel die Leviten zu lesen.
Was ist von solchen Versprechen zu halten? Das wollte die Fondsratingagentur Morningstar wissen und hat das Abstimmungsverhalten von 25 großen Fondsgesellschaften aus den USA und Europa analysiert. Die wichtigsten Ergebnisse:
- Gute Nachricht: Wir Europäer sind den US-Amerikanern beim Engagement in Sachen Umwelt und Soziales (E&S) weit voraus. Von 13 untersuchten europäischen Vermögensverwaltern zeigten 9 hohen oder sogar sehr hohen E&S-Fokus bei der Stimmrechtsvergabe. Unter 12 untersuchten US-Vermögensverwaltern hatten 11 bloß einen mittleren oder sogar niedrigen Fokus auf die Themen.
- Ebenfalls positiv: Die Zahl der Aktionärsanträge zu E&S-Themen und die Unterstützung solcher Anträge hat im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zugenommen.
- Erstaunlich: Die großen ETF-Anbieter BlackRock, Vanguard und State Street mögen ihre Fonds passiv verwalten. Als Proxy Voter sind sie aber alle durchaus engagiert, wenn gleich auch nur im Mittelfeld.
- Top: Die vier engagiertesten Kämpfer für Klimaschutz, Biodiversität und Arbeitnehmerrechte sind die europäischen Branchengrößen Allianz GI, BNP Paribas, Fidelity International und LGIM.
- Flop: Vier der fünf Low-Performer stammen aus den USA. Es sind Dodge & Cox, Fidelity Investments, Franklin Templeton und Invesco. Dazu gesellt sich mit Natixis aus Frankreich ein einziger Europäer. Das Quintett fällt auf durch weitgehendes Abnicken von Unternehmensentscheidungen, ohne Diskussion und Widerspruch.
Was soll man sagen? Augen auf bei der Wahl der Fondsgesellschaft, der man nicht nur sein Geld, sondern auch seine Stimme gibt. Denn da gibt es Licht und Schatten – und viel Luft nach oben.
Diese Ausgabe stammt von:

Udo Trichtl + Olaf Wittrock
Wir sind Redakteure in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.