ESG report #50: Mehr Abschlüsse dank besserer Wortwahl I Modische ESG-Sünden
Liebe Leserinnen und Leser,
der 2. August ist gut eine Woche her und Sie haben die ESG-Abfrage vermutlich längst in Ihre Arbeit integriert. Während manche noch mit den neuen Vorgaben fremdeln, erklärt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft , wie Sie das ESG-Gespräch zu ihrem Vorteil nutzen können. Die Botschaft: Mit der richtigen Wortwahl lassen sich die Abschlussquoten bei ESG-Produkten um satte zehn Prozent steigern.
Mehr Nachhaltigkeit bei der Geldanlage ist toll. Bloß nützt sie wenig, wenn nicht auch die Unternehmen mitziehen. Im letzten Schluck geht es heute darum, wie es um die nachhaltigen Absichten der Modebranche bestellt ist. Spoiler: Nicht gut.
Wir wünschen eine gewinnbringende Lektüre unserer 50sten Ausgabe. Wie immer freuen wir uns über Ihr Feedback an redaktion@esg-report.de – und natürlich über Ihre Weiterempfehlung.
Ihre ESG-Redaktion

Die Macht der Worte
Seit Monatsanfang müssen Sie als Vermittler und Vermittlerin im Kundengespräch nach Nachhaltigkeitspräferenzen fragen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat nun untersucht, wie sich die neue Pflicht am besten in Vertragsabschüsse ummünzen lässt.
Ergebnis: Es kommt vor allem auf die Wortwahl an. Die Studie, die der GDV bei der Technischen Universität München (TUM) in Auftrag gegeben hat, zeigt, wie kaufentscheidend die passenden Begriffe sein können. So kaufen Kunden und Kundinnen eher Anlageprodukte, die Sie als "ökologisch" bezeichnen. Der von der EU-Taxonomie vorgeschriebene Begriff "ESG-konform" löst einen viel geringeren Impuls aus. Auch wenn es sich um ein und dasselbe Produkt handelt.
Konkret waren fast 50 Prozent der Befragten selbst dann zum Kauf des "ökologischen" Versicherungsprodukts bereit, wenn dieses 20 Prozent teurer wäre als ein klassischer Tarif. Wurde in der Beratung die Bezeichnung „ESG-konforme“ Investition verwendet, lag der Anteil der Abschlusswilligen bei unter 40 Prozent. Ob Kundinnen und Kunden am Ende ein nachhaltiges Produkt erwerben, hängt also nicht allein von den Vorgaben aus Brüssel ab. Sondern auch davon, wie gut Sie die Eigenschaften im Verkaufsgespräch rüberbringen.
Ähnlich wichtig wie die Worte ist das Gefühl, das Sie als Vermittler oder Vermittlerin übertragen. Eine emotionale Ansprache kommt laut der Studie besser an als nüchterne Informationstexte:
„Wenn in der Beratung klar wird, dass die Versicherer ein echtes Eigeninteresse an der Transformation haben und eine große Hebelwirkung entwickeln können, springt der Nachhaltigkeitsgedanke schnell auf die Kundinnen und Kunden über.“
Das sagt Gunther Friedl, Inhaber des Lehrstuhls für Controlling an der TUM und Leiter der Studie.

Die Ergebnisse zeigen auch: Die vom europäischen Gesetzgeber vorgeschriebene Begriffswelt, die EU-Taxonomie, ist alles andere als selbsterklärend. Gesetzliche Rahmenbedingungen und Richtlinienkataloge sind Pflicht. Eine verständliche und begeisternde Aufklärung über die positiven Wirkungen nachhaltiger Produkte ist die Kür, die daraus auch Erträge generiert.

74 Prozent ...
... der Deutschen geben an, dass Nachhaltigkeit inzwischen einen so hohen Stellenwert für sie hat, dass sie ihr eigenes Konsumverhalten verändert haben. Das hat eine Oracle-Befragung aus diesem Jahr ergeben. Aus Sicht von 93 Prozent der Befragten schreitet die grüne Transformation insgesamt zu langsam voran. Schon bald wird es wahrscheinlich erste Auswertungen dazu geben, ob sich solche Zahlen mit entsprechenden Reaktionen auf die Präferenzabfrage decken. Schließlich ist eine Wende zur Nachhaltigkeit im Investitionsverhalten mindestens ebenso bedeutend wie beim Einkauf im Supermarkt. Wenn Sie, liebe Vermittlerinnen und Makler, begeisterte, irrritierte oder auch kuriose Rückmeldungen Ihrer Kunden zur Abfrage gesammelt haben, berichten Sie uns gern davon, per E-Mail an redaktion@esg-report.de.

Was uns diese Woche noch auffiel

Rechtsrahmen zur Präferenzabfrage
Wie füllt man die Pflicht, in der Anlageberatung ESG-Wünsche abzuklopfen, mit Leben? Einen kompakten Überblick zu den rechtlichen Bedingungen und Dokumentationspflichten liefert Anwältin Anna-Maja Schaefer mit diesem Blogbeitrag.

DAI fordert Berichtspflichten international abzustimmen
Die Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen sollten nicht nur europaweit, sondern auch international abgestimmt werden. Das wünscht sich das Deutsche Aktieninstitut (DAI). Die Aktionärsvertreter reagieren damit auf einen Entwurf zu europäischen Berichtsstandards, den das EU-Beratungsgremium Efrag kürzlich vorlegte.

ESG bei Immobilien: Luft nach oben
Die neue Studie „Wie geht ESG im Asset Management?“ von PGAM zeigt: Es gibt noch viel zu tun. Vor allem im Immobilienmarkt fehlt es weiter an Daten und verbindlichen Standards. Immerhin: Nahezu alle Studienteilnehmer – darunter Asset- und Property Manager – haben sich der Befragung zu Folge in Sachen ESG-Strategie "auf den Weg gemacht".

ESG-Sorgenkind Modebranche
"Wir sind auf dem richtigen Weg": Wer so was von sich sagt (und zurzeit sind das viele), hat meist gerade die ersten zaghaften Schrittchen gemacht und eine lange Pilgertour vor sich. So zum Beispiel Zalando. Der Versandhändler hat vor einiger Zeit einen Nachhaltigkeitsfilter in die Produktsuche eingefügt. Wer nur gekennzeichnete Mode in den Warenkorb sortiert, kann sich selbst auf die Schulter klopfen.
Bei genauerem Hinsehen wird aber deutlich, dass das Label "nachhaltig" hier ein weites Spektrum zulässt. Wird nur ein einzelnes von zahlreichen Kriterien erfüllt, zum Beispiel mindestens 50 Prozent Bio-Baumwolle, reicht das bereits, um durchzukommen. Das schaffen inzwischen selbst viele Produkte von Fast-Fashion-Kleidungsketten. Künftig, so die Beteuerung, will Zalando Standards präzisieren und so das "wertbasierte Browsing-Erlebnis" verbessern. Geplant ist gar eine "weltweit einheitliche Definition für nachhaltige Mode", die man gemeinsam mit anderen Partnern festlegen will. So das vollmundige Versprechen.
Man ist also: auf dem richtigen Weg. Anders gesagt: Es gibt noch viel zu tun.
Das offenbart der neue Morningstar-Bericht zur Branche „Apparel & Fashion". Schon die Überschrift deutet an, wo es hakt: "ESG in der Modewelt: Von Sklaverei bis zu CO2-Emissionen". Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung führen die ESG-Negativliste in der Bekleidungsindustrie an. Insbesondere bei den Fast-Fashion-Ketten sind die Probleme groß, weshalb Aufsichtsbehörden nach und nach den Druck erhöhen. So könnte es sein, dass die Recyclingfähigkeit von Kleidungsstücken künftig auszuweisen ist. Auch ein Verbot, unverkaufte Kleidung einfach zu vernichten, steht im Raum. Wäre doch schön, wenn das bald auch ins "wertbasierte Browsing-Erlebnis" einfließt.
Diese Ausgabe stammt von:

Anne Hünninghaus + Marilena Piesker
Wir sind Redakteurinnen der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.