ESG report #49: Crashkurs zur Blue Economy I DWS redet sich Quartalszahlen schön
Liebe Leserinnen und Leser,
In den vergangenen Wochen wurde das Thema grüne Finanzberatung thematisch stark bespielt. Hintergrund ist die Pflicht zur Nachhaltigkeitspräferenz-Abfrage, die vorgestern in Kraft getreten ist. Wir wollen heute noch einen Schritt weiter gehen – beziehungsweise tiefer – und die Blue Economy in den Fokus rücken. Die zielt auf einen nachhaltigen Umgang mit unseren maritimen Ressourcen ab und will parallel neue Arbeitsplätze schaffen. Wie groß das Potenzial der Blauen Wirtschaft ist und warum Finanzdienstleister sie auf dem Schirm haben sollten, lesen Sie in unserem Hauptstück.
Im Letzten Schluck geht es derweil um das – trotz nachdenklich stimmender Quartalszahlen – stabile Selbstbewusstsein der DWS.
Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre und interessante Einblicke in die Blaue Ökonomie!
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Ihre ESG-Redaktion

Blue Economy: Impulsgeber mit Weitblick
Dieses Jahr war es bereits am 28. Juli soweit: An diesem Tag sind die natürlichen Ressourcen, die unsere Erde pro Jahr zur Verfügung stellen kann, ausgeschöpft gewesen. Seither leben wir über ihre und damit auch unsere Verhältnisse. Der Erdüberlastungstag zeigt deutlich die Dringlichkeit für einen nachhaltigen Umgang mit unserer Umwelt, die vom Klimawandel, Verschmutzung und einer Dezimierung der Biodiversität gezeichnet ist. Dabei spielt der Umgang mit maritimen Ressourcen eine zentrale Rolle. Ohne Wasser könnten wir alle nicht leben – immerhin besteht auch unser Körper zu 60 bis 80 Prozent daraus.
Blue Economy: Drei erklärte Ziele
Hier kommt die Blue Economy ins Spiel, die sich mit dem Ökosystem Meer und damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Aspekten befasst. Eine verbindliche Definition von Blue Economy gibt es zwar nicht, doch im Zentrum der Blauen Wirtschaft steht klar die Meeresumwelt und damit zusammenhängend deren Ausbeutung, Erhaltung und Regeneration – und die Frage, wie man die Meeresressourcen möglichst nachhaltig und effizient nutzen kann. Dabei stehen drei Dinge klar im Fokus: das mögliche Wirtschaftswachstum, das die Blue Economy bietet, sowie eine verbesserte Lebensgrundlage und Arbeitsplätze für die Menschen, und die Erhaltung und Stärkung der Gesundheit und Widerstandsfähigkeit des Ökosystems der Ozeane.
„Die 'Blue Economy' umfasst die wirtschaftlichen Aktivitäten, die nachhaltigen Wohlstand aus den Ozeanen und Küsten der Welt schaffen“, bringen es die Mitarbeiter des Center for the Blue Economy (CBE) auf den Punkt. Das erklärte Ziel: Durch nachhaltige Bewirtschaftung die Meeres-Ernte zu steigern. Das lohnt sich auch aus ökonomischer Sicht, wie Jamie Jenkins, Head of Global ESG Equities bei Columbia Threadneedle Investors in einem Markt-Kommentar schreibt: „Bei nachhaltiger Bewirtschaftung kann der Ozean einen beträchtlichen Wert darstellen, der sowohl für die Gesellschaft als auch für die Wirtschaft von großem Nutzen sein kann.“
Facettenreiche Kreislauf-Wirtschaft
Ansatzpunkte gibt es genug, denn das Spektrum der Blue Economy ist sehr facettenreich. Neben traditionellen Sektoren wie dem Seeverkehr, der Fischerei und dem maritimen Tourismus, zählen dazu auch aufstrebende Industrien wie Aquakultur, Meeresbodengewinnung, marine Biotechnologie, erneuerbare Energien und Bioprospektion – und natürlich die Wissenschaft. Gerade aus dieser kommen viele Impulse und interessante und innovative Entwicklungen, Ansätze und Konzepte, die auch mit Blick auf den Klimawandel stark an Bedeutung gewinnen könnten. So werden beispielsweise Insekten gezüchtet, die Plastikmüll, Styropor und chemische Abfälle fressen, und es wird an umweltfreundlichen Textilfärbemitteln aus Algen und Kohlenstoffspeicherung geforscht. Weitere Gedanken-Ansätze aus dem Bereich der Blue Economy: Käferskelette, aus denen Bioplastik entstehen soll, oder Pilze, die auf Kaffesud wachsen und später als Nahrung und anderes dienen. Das Zauberwort heißt in jedem Fall Kreislaufwirtschaft – und das am liebsten regional: von Materialien, Emissionen und Abfällen. Diese sollen möglichst effizient eingebunden und genutzt werden, mit dem Ziel, dass Nebenprodukte durch zirkuläres Wirtschaften und Recycling wieder zu Inputfaktoren werden.
Impulsgeber und Zugpferd
Dieser Gedanke hat nicht nur Charme, sondern weist auch eine große Schnittmenge zu ESG-Themen abseits der maritimen Welt auf. Auch wenn viele Investitionen derzeit noch aus öffentlicher Hand stammen, lohnt es sich für Finanzdienstleister, das Thema auf dem Schirm zu haben. Denn die Bedeutung der Blue Economy und ihrer Ansätze wächst und es ist davon auszugehen, dass immer mehr Finanzmittel in sie umgelenkt werden und dabei auch private Investitionen in Zukunft eine größere Rolle spielen. So sorgt gerade auch der Klimawandel für nachhaltigen Rückenwind. Denn die Ozeane regulieren das Klima nicht nur aktiv, sondern produzieren auch die Hälfte des weltweiten Sauerstoffs.
Themen mit Zukunftsmusik
Ein Thema mit Zukunftsmusik ist hier sicher sauberes Trinkwasser und damit einhergehend Investitionen in ressourcenschonende Technologien zur Wasseraufbereitung und maritime Infrastruktur. Weitere Branchen, die aus der Blue Economy an Bedeutung gewinnen dürften, sind zudem spezialisierte Anlagenbauer – beispielsweise für die Meerwasserentsalzung, sowie Unternehmen, die sich mit Wasseranalysen, Rohrleitungssystemen oder Staudamm-Konstruktionen befassen. Wer sich intensiver mit der Blauen Ökonomie beschäftigen will, kann einen Blick in den aktuellen EU-Report zur Blue Economy werfen, oder sich in die Spezialbroschüre zum Thema von Deutsche Bank Wealth Asset Management (November 2020) einlesen.

Blue Economy: Kerngedanke und Ziele
- Komplexes Wirtschaftssystem, das alle wirtschaftlichen Aktivitäten umfasst, die mit dem maritimen Bereich zusammenhängen
- Zielt auf die nachhaltige Nutzung der blauen Ressourcen ab
- Im Zentrum stehen Schutz, Erhalt, Wiederherstellung und Stärkung der maritimen Ökosysteme
- Deckt breites Spektrum an Branchen-Sektoren ab
- Setzt auf Kreislaufwirtschaft von Materialien und Ressourcen per se
- Lässt sich mit ESG- und anderen Themen gut verknüpfen
- Bietet zukunftsweisende Ideen und Konzepte

53 Prozent ...
... der Zentralbanken haben keine ESG-Strategie oder verfügen über kein nennenswertes Konzept. Das zeigt eine Erhebung des US-Investmenthauses Invesco. Der Grund: Die Initiative wird oft nur von einzelnen Teams oder Managern ergriffen – und das Tempo mit dem sich die Institutionen verändern, ist traditionell eher langsam. Die Global Sovereign Asset Management Study 2022 ergab außerdem, dass die Corona-Pandemie bei knapp der Hälfte (44 Prozent) der Notenbanken zu einer stärkeren Fokussierung auf ESG geführt hat.

Was uns diese Woche noch auffiel

Nachhaltigkeit sorgt für Unmut unter Anlageberatern
Seit Dienstag schreibt die EU vor, dass Anleger zu ihren Nachhaltigkeitswünschen fürs Depot befragt werden. Die Branche hofft dadurch auf ertragsstarkes Geschäft. Berater sind weniger positiv gestimmt.

Fonds verpassen Steuervorteile
Fonds in Luxemburg werden für Nachhaltigkeit belohnt – wenn sie diese denn dokumentieren. Doch viele Investmentfirmen können bisweilen nicht nachweisen, dass sie die Art von nachhaltigen Allokationen vornehmen, die eine Steuervergünstigung auslösen würden. Die mangelnde Dokumentationsmöglichkeit rächt sich.

Experten bringe ESG-Online-Check auf den Markt
Nachdem Mitte Juli das Norm-Modul für die Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen verabschiedet wurde, kommt jetzt ein Tool für den haftungssicheren Umgang mit dem Thema Nachhaltigkeit auf den Markt: der „ESG-Profiler“.

Selbstbewusst statt selbstreflektiert
Es ist wohl alles eine Frage des Blickwinkels. 25 Milliarden Euro Kapitalabfluss in einem Quartal, ein Ergebnisminus von zehn Prozent – und die DWS verkündet die Quartalszahlen für das zweite Jahresviertel gut gelaunt mit den Worten "die DWS bleibt in stürmischen Märkten widerstandsfähig". Insgesamt flossen im ersten Halbjahr per saldo 26 Milliarden Euro Kapital ab. Das gemanagte Vermögen der DWS sank deshalb – und wegen der Kursverluste bei Aktien und Anleihen – seit Ende März um 69 Milliarden Euro auf 833 Milliarden Euro. Gut, der bereinigte Ertrag ist in der Tat gestiegen: gegenüber dem Vorjahresquartal um elf Prozent auf 273 Millionen Euro. Gegenüber dem Vorquartal steht aber ein Minus von zwei Prozent.
Die Schwierigkeiten schob die DWS auf das "herausfordernde Umfeld". Gemeint ist damit vorrangig der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Allerdings dürften hausgemachte Schwierigkeiten wohl eine nicht allzu kleine Rolle spielen. Der Greenwashing-Skandal, Sie erinnern sich, stimmt viele Großinvestoren skeptisch. Sie wollen Nachweise zu den Nachhaltigkeitsprozessen sehen. Manche von ihnen, die ihr Geld nach ethischen Kriterien angelegt wissen wollen, haben laut Informationen des Handelsblatts Mittel zurück gehalten.
Die Zeit wird zeigen, wie der neue DWS-Chef Stefan Hoops langfristig mit diesen Herausforderungen umgeht. Offensichtlich ist: Zumindest in ihrem Selbstbild bleibt die Fondstochter der Deutschen Bank stabil.
Diese Ausgabe stammt von:

Lilian Fiala + Imke Reiher
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