ESG report #46: Präferenzabfrage: So geht's I Das Missverständnis des Elon M.

Liebe Leserinnen und Leser,

der Countdown läuft: In weniger als drei Wochen wird die ESG-Präferenzabfrage beim Kunden für viele Finanzdienstleister verpflichtend. Da es keinen übergeordneten und gesetzlich abgesicherten Leitfaden für die Branche gibt, zeigen immer mehr Institute Eigeninitiative und entwickeln Orientierungs-Leitfäden. Dazu zählen ein Fragebogen, der beim Deutschen Institut für Normung (DIN) entwickelt wurde und künftig vom Defino Institut für Finanznorm angeboten wird, sowie eine Checkliste des BVK. Deren Quintessenz-Botschaft: einfach formulierte und konkrete Fragen statt umständlichem Beratungs-Schnack.

Einfache Kommunikation ist die beste Medizin gegen Missverständnisse. Doch selbst kluge Köpfe wie Tesla-Chef Elon Musk haben offensichtlich ihre Schwierigkeiten, ESG als Modell mit drei Säulen zu verstehen. Darum geht es heute in unserem Letzten Schluck.

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Thema der Woche

ESG-Präferenzabfrage: Einfach auf den Punkt gebracht

Diese Entscheidung sorgt bei vielen Marktteilnehmerinnen und Umweltfreunden für nachhaltiges Kopfschütteln: Erdgas und Atomkraft dürfen laut EU-Parlament unter bestimmten Auflagen zukünftig als klimafreundlich gelten. Wird die EU-Taxonomie dadurch ad absurdum geführt? Jein. Das Thema Nachhaltigkeit lässt nun einmal verschiedene Definitionen und Auslegungs-Ansätze zu – eine Positiv-Auswahl und Impact-Investing, ebenso wie Ausschlüsse und einen Best-in-Class-Ansatz.

Standardisierung als Absicherung

Doch ohne einen erkennbaren gemeinsamen Nenner steigt die Gefahr, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Und genau darum dürfte es ab dem 2. August in der Finanzberatung zu Problemen kommen, wenn die Pflicht zur ESG-Präferenzabfrage für viele Marktteilnehmer greift. Denn was für den einen ESG ist, ist für den anderen unerwünscht und bietet entsprechend Raum für Fehlinterpretation. Für Finanzdienstleister kann das haftungsrechtliche Konsequenzen haben.

„Es gibt vor allem zwei Risiken für Berater“, meint Dirk Söhnholz, ESG-Experte und Geschäftsführer der Söhnholz ESG GmbH:

  1. „Das Risiko, dass Berater Anleger durch falsche Fragen von nachhaltigen Investments abhalten. Das nenne ich Greenbashing-Risiko.
  2. Das Risiko, dass Berater Anleger durch falsche Antworten Produkte anbieten, die aus Anlegersicht weniger nachhaltig sind als erwartet. Das bezeichne ich als Greenwashing-Risiko."

Söhnholz macht hier ein paar konkrete Vorschläge für Nachhaltigkeitsfragen in einfacher Sprache.

Da eine allgemein verbindliche Definition von ESG bisher fehlt, gewinnen standardisierte Fragebögen und andere Orientierungshilfen an Bedeutung. Dazu zählt auch das ESG-Modul zur Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen, das der DIN-Ausschuss „Finanzdienstleistungen für Privathaushalte“ über zwei Monate entwickelt, optimiert und jetzt endgültig verabschiedet hat. Es wird Teil der DIN-Norm 77230 „Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte“, kann aber auch separat angewendet werden.

Der daraus resultierende Fragebogen wird Beratern künftig von der Defino Institut für Finanznorm AG zur Verfügung gestellt. Die erklärten Ziele: die Präferenz-Abfrage zu strukturieren und einen zielgerichteten, einfachen Abfrageprozess zu ermöglichen, der auch als Dokumentationsnachweis dient.

Weniger ist mitunter mehr

Denn die Kunst für Berater wird es in Zukunft sein, dem Kunden das komplexe ESG-Thema niedrigschwellig aber rechtssicher zu vermitteln. Dabei gilt: Je präziser die Frage, umso kleiner der Interpretationsspielraum. Vor diesem Hintergrund sollten verbale Exkurse ausbleiben und der Fokus auf dem Wesentlichen liegen, das verständlich und kurz abgefragt wird. Weniger Worte sind in diesem Fall meist mehr.

Diesen Ansatz berücksichtigt auch die Nachhaltigkeits-Checkliste, die der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) vor Inkrafttreten der ESG-Abfragepflicht gerade für Vermittler veröffentlicht hat. Unter Punkt 8 findet sich dort ein Vorschlag, wie eine Nachhaltigkeitsfrage im Kern ablaufen könnte. Insgesamt werden fünf Fragen angeführt, wobei der Kunde in der letzten gefragt wird, ob er bereit ist, seine Nachhaltigkeitspräferenzen anzupassen. Wichtig zu wissen: Die Checkliste ist eine Orientierungshilfe, aber kein rechtlich abgesicherter Fragekatalog. „Die formal korrekte Abfrage vorgegebener Stichpunkte reicht nicht aus“, so BVK-Präsident Michael H. Heinz.

Darauf sollten Berater beim Frage-Prozess achten:

  • Erwartungen realistisch dämpfen und grüne 100-Prozent-Quote ausschließen
  • Einfache Formulierungen statt komplexe Erklärungen und Fachtermini
  • Präzise und eingegrenzt, statt Interpretationen viel Raum zu geben
  • Strukturiert und standardisiert statt individuell und detailverliebt
Personalien

Namen, die Sie sich merken sollten

Müller neuer ESG-Chefanlagestratege der Privatkundenbank der Deutschen Bank

Markus Müller, bislang Leiter des Chief Investment Office, ist nun zusätzlich zum ESG-Chefanlagestrategen der Privatkundenbank berufen worden. Müller arbeitet mit den regionalen Chefanlagestrategen, dem Strategieteam der Internationalen Privatkundenbank und der neu gegründeten Einheit für Produktplattformen und nachhaltige Lösungen zusammen.

Geber soll Nachhaltigkeit bei Donner & Reuschel vorantreiben

Susanne Geber ist seit Juli neu an Bord der Privatbank Donner & Reuschel und leitet dort den Bereich Sustainable Finance. Das Bankhaus hat die Position neu geschaffen und will damit "der weiteren nachhaltigen Ausrichtung der Bank sowie den steigenden regulatorischen Anforderungen Rechnung" tragen. Geber kommt von der Deutschen WertpapierService Bank AG, auch dort war sie mit der Nachhaltigkeitsstrategie betraut.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

Ignorieren ESG-Ratings den Ukraine-Krieg?

Ignorieren ESG-Ratings den Ukraine-Krieg?

Auch mehr als vier Monate nach Kriegsbeginn müssen in Russland aktive Unternehmen keine Abwertung bei Nachhaltigkeits-Ratings fürchten, schreibt Capital und nennt dafür einige Beispiele. Dass das ESG-Konzept hier versagt habe, bestätigt Henry Schäfer, BWL-Professor an der Uni Stuttgart: „In den ESG-Ratings für Unternehmen gibt es für kriegerische Bedrohungen eines Landes bis heute keine Indikatoren.“

Unternehmen sehen sich für ESG-Berichterstattung schlecht aufgestellt

Unternehmen sehen sich für ESG-Berichterstattung schlecht aufgestellt

67 Prozent der deutschen Unternehmen halten sich für unzureichend darauf vorbereitet, ihre ESG-Ziele zu erreichen und die gesetzlichen Anforderungen an die Berichterstattung darüber zu erfüllen. Das geht aus einer weltweiten Umfrage im Auftrag des US-Unternehmens Workiva hervor. Dabei haben hierzulande immerhin 70 Prozent der Unternehmen Verantwortliche für die ESG-Berichterstattung benannt – bei unseren Nachbarn Österreich und den Niederlanden sind es mit 58 bzw. 56 Priozent deutlich weniger.

Deutsche Kommunen setzen auf ESG

Deutsche Kommunen setzen auf ESG

Regionale ESG-Anleihen sind im Kommen. Die Finanzverwaltungen in den Kommunen rechnen damit, dass ESG-Themen dem Bereich der öffentlichen kommunalen Refinanzierung neuen Schwung verleihen. Bereits 2020 begab die bayerische Landeshauptstadt mit der Münchner Stadtanleihe die erste soziale Anleihe einer europäischen Großstadt und lockte damit auch Privatanleger.

Ein letzter Schluck

Mehr als Grünzeug

"Sorry, Elon Musk, but you've got it all wrong", erklärte Rebeca Minguela kürzlich in einem Kommentar für die "Times". Die Chefin des Tech-Unternehmens Clarity AI hält den Tesla-Gründer zwar für einen überaus klugen Kopf. Doch trotz allem sei er einem – auch unter Investoren – weit verbreitetem Missverständnis erlegen: nämlich dem, Nachhaltigkeit nur auf die ökologische Säule zu stützen. Nachdem sein E-Auto-Konzern aus einem ESG-Index geflogen war, hatte Musk im Mai gezürnt und derlei Klassifizierungen als Irrsinn verunglimpft (wir berichteten). Schließlich, so sein Hauptargument, seien E-Autos wichtig für eine emissionsärmere Zukunft.

Minguela fasste das Verständnisproblem im Interview mit CNBC so zusammen:

"That’s a good sign [of] … how Elon Musk is not understanding what ESG means … And he’s an incredibly smart person, right? So I guess that, if that happens to him, that happens to many other investors. So that is why it’s so important that they have tools and a better understanding of what ESG really means and what the different frameworks are trying to measure.”

Eigentlich, so sollte man meinen, ist es nicht so schwer: Es gibt ein Dreisäulenmodell und drei Buchstaben, die dafür stehen: E, S und G. Aber auch, wenn hier und da moniert wird, man müsse sich wahlweise den sozialen oder aber den Governance-Faktoren stärker widmen: Am Ende denken wir ehrlicherweise fast alle meistens an das "E", wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen. Wir nennen die Investments und Fonds "grün" – was unweigerlich an Bäume und Wiesen denken lässt. Oder wir bebildern Beiträge und Broschüren zu ESG mit Stockfotos von grünen Blättern oder Windrädern vor sanfter Hügellandschaft.

Nun sind die drei Dimensionen ja auch nur selten isoliert zu betrachten. Die Klimakatastrophe nicht weiter anzuheizen, ist durchaus auch ein soziales Unterfangen und für ein würdiges Leben der Menschen auf diesem Planeten nun einmal Grundlage. Dennoch müssen sich auch Hersteller von klimafreundlichen Produkten und Technologien an Regeln aus den Bereichen S und G halten. Und das ist richtig so. Eine Recherche zum Beispiel bei den Kindernachrichten von Logo und Explainity zeigt übrigens: Die Vielgestalt von Nachhaltigkeit ist grundsätzlich gar nicht so schwer zu erklären und in unter drei Minuten zu verstehen. Dafür braucht es nicht mal einen IQ von 155, wie er Elon Musk nachgesagt wird...

Diese Ausgabe stammt von:

Imke Reiher + Anne Hünninghaus

Imke Reiher + Anne Hünninghaus

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