ESG report #44: Neue Berichtspflichten I Desiree Fixler I Der Club der Vermeider

Liebe Leserinnen und Leser,

um Geld nachhaltig anlegen zu können, brauchen Investoren und Investorinnen vor allem eins: valide Daten. Die waren in der Vergangenheit bestenfalls lückenhaft oder haben stellenweise sogar ganz gefehlt.

Damit könnte jetzt allerdings Schluss sein. Nach monatelangen zähen Verhandlungen haben sich EU-Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament auf die neuen Berichtspflichten für Unternehmen (CSRD) geeinigt. Viele sehen darin einen Meilenstein in Sachen ESG-Investments, einige sogar ein Ende des Greenwashings. In dieser Ausgabe des ESG-Reports gehen wir der Frage nach, ob die CSRD wirklich die Lösung aller Probleme ist.

Außerdem: Was macht eigentlich DWS-Whistleblowerin Desiree Fixler? Und: Gehören Sie auch zum Club der Vermeider?

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Thema der Woche

Greenwashing bald Geschichte?

Geradezu euphorisch zeigten sich EU-Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen am Dienstagabend vergangener Woche. Die EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness sprach von einem Meilenstein: „Die Nachhaltigkeitsberichterstattung wird nun gleichberechtigt neben der Finanzberichterstattung stehen“, stellte sie klar. Und Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire kommentierte das Ereignis sogar mit dem Satz „Greenwashing ist Geschichte“.

Was war passiert? Die Europäische Kommission und das Europaparlament haben sich (endlich!) auf die neuen Berichtspflichten in Sachen Nachhaltigkeit geeinigt. Corporate Sustainability Reporting Directive, kurz CSRD, nennt sich die neue Leitlinie, die die europäischen Finanzmärkte grüner machen soll. Und zwar, indem sie die Datenlage für ESG-Investoren und Investorinnen verbessert.

Auch wenn der endgültige Entwurf noch nicht veröffentlicht wurde, sind erste Details bereits klar: Rund 50.000 Unternehmen müssen künftig offenlegen, wie nachhaltig sie wirtschaften. Und zwar, indem sie einen standardisierten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen. Betroffen sind alle Unternehmen, die mehr als 250 Mitarbeiter haben und mindestens einen Umsatz von 40 Millionen Euro jährlich aufweisen; unabhängig davon, ob sie börsennotiert sind oder nicht. Damit ist zum Teil auch der Mittelstand betroffen.

Nicht alle sind mit den Leitlinien so glücklich wie besagte EU-Entscheidungsträger. Der Umweltschutzorganisation WWF befürchtet etwa, dass die endgültigen Richtlinien nicht weit genug reichen.

"Solange Unternehmen in ihren Nachhaltigkeitsberichten nur veröffentlichen, wie viele Bienenstöcke sie auf dem Firmendach stehen haben, kommen wir nicht voran",

bemängelt Matthias Kopp, Leiter Sustainable Finance bei WWF Deutschland. Die Rechtsanwälte Johannes Callet und Franziska Hahn der Anwaltskanzlei TaylorWessing kritisieren in einer Pressemitteilung die intensive Lobbyarbeit verschiedener Parteien und ihren Einfluss auf die Entscheidungsträger:

„Der ursprüngliche Entwurf der CSRD ist danach etwas aufgeweicht und die Übergangsvorschriften sind verlängert worden.

Wir sind den Vorwürfen nachgegangen und haben mit Carsten Beisheim über den endgültigen Entwurf und den Einfluss von Lobbygruppen gesprochen. Der Rechtsanwalt für Compliance und ESG bei der Kanzlei Graf von Westphalen (GvW) ist gleichzeitig auch Mitglied im Fachausschuss Nachhaltigkeitsberichterstattung des Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC).

Carsten Beisheim (c) Graf von Westphalen

Herr Beisheim, war der Einfluss der Lobby auf die CSRD zu groß?

Carsten Beisheim: Inwieweit der Entwurf der CSRD aufgeweicht wurde, lässt sich seriöserweise erst nach dem Vorliegen des Textes endgültig bewerten. Bislang sind lediglich die nicht allzu aussagekräftigen Presseerklärungen des Rates der Europäischen Union und des Europäischen Parlaments verfügbar.

Was lässt sich daraus bereits schließen?

Deutlich wird, dass die Erstanwendung der Vorgaben auf einmal gestaffelt erfolgen soll – und zwar beginnend am 1. Januar 2024, für bereits heute schon berichtspflichtige Unternehmen. Es folgen große Unternehmen ab dem 1. Januar 2025 und vornehmlich kapitalmarktorientierte KMU ab dem 1. Januar 2026. Für letztere soll aber wohl auch eine „Opt-out“-Ausnahmeregelung bis 2028 vorgesehen sein.

Was bedeutet das konkret für europäische und vor allem deutsche Unternehmen?

Die Breite der deutschen und europäischen Wirtschaft gewinnt nun Zeit zur Vorbereitung auf die komplexen Berichtsanforderungen, die sich letztlich aus den derzeit bereits in der Konsultation befindlichen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) ergeben.

Das klingt ja erstmal positiv.

Bemerkenswert ist, dass die Konsultation der ersten Standards, die noch bis zum 8. August 2022 läuft, bereits angestoßen wurde, ohne dass die ihnen zugrundeliegende Richtlinie überhaupt final vorliegt. Von großer Bedeutung für alle international agierenden Unternehmen wird zudem eine Abstimmung mit den globalen IFRS-Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung („Global Baseline“) sein. Schlimmstenfalls drohen hier doppelte Berichtspflichten.

Der deutsche Mittelstand sorgt sich, dass er sich die Berichtspflicht gar nicht leisten kann?

Die Berichtspflichten für alle großen Unternehmen werden den Mittelstand in seiner ganzen Breite treffen. In aller Regel verfügen mittelständische Unternehmen nicht oder nur unzureichend über die zukünftig erforderlichen Strukturen und Prozesse, etwa bezogen auf die spezifischen Kontroll- und Risikomanagementsysteme, auf die auch für die Abschlussprüfung dann erforderliche Dokumentation und auf das Reporting als solches. Zur Erfüllung der aus der CSRD erwachsenden Pflichten wird aller Voraussicht nach verbreitet ein kostenintensiver Personalaufbau in nennenswertem Umfang erforderlich werden.

Personalien

Namen, die Sie sich merken sollten

Desiree Fixler hat bei der DWS im vergangenen Jahr für viel Wirbel gesorgt. Nach ihrem Rauswurf geriet die ehemalige Nachhaltigkeitschefin mit ihren Greenwashing-Vorwürfen in die Schlagzeilen. Nun hat die Whistleblowerin einen neuen Arbeitgeber. Fixler leitet den Vorstand der Non-Profit-Organisation Venture ESG in London, dort soll sie rund 300 Venture-Capital-Fonds bei der Implementatierung von ESG-Standards und -Kriterien unterstützen und beraten.

Auch Candriam stockt den Nachhaltigkeitsbereich auf. Marouane Bouchriha und Vincent Meuleman sollen die Klimaschutzstrategie des Hauses verwalten. David Czupryna verantwortet als leitender Fondsmanager die Kreislaufwirtschaftsstrategie.

Auf einen Blick

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Ein letzter Schluck

Club der Vermeider

Nachhaltigkeitsspezialisten sind auf dem Finanz-Arbeitsmarkt heiß begehrt, darüber haben wir hier schon mehrfach berichtet. Aber auch die "normalen" Finanzprofis begrünen seit geraumer Zeit zunehmend ihre Titel und Visitenkarten, teils aus innerem Antrieb, teils auf äußeren Druck hin. Die Managementberatung Horváth hat sich in einer Studie angeschaut, wie CFOs aus Unternehmen ihre Rolle in Sachen Sustainability leben. Die Hälfte der befragten Finanzchefinnen und -chefs gab ein hehres Zielbild aus: Sie möchten Sustainability Performance Manager werden. Das heißt: Sie treiben die Integration von Nachhaltigkeit in der Unternehmenssteuerung voran und übernehmen die Verantwortung dafür, dass sich das Thema positiv entwickelt. Klingt toll, oder?

Die Enttäuschung folgt auf dem Fuße: Aktuell sehen sich nur mickrige acht Prozent in dieser Position. Immerhin ein Drittel fühlt sich als Nachhaltigkeits-Controller, betreibt nach eigener Aussage also aktives Management. Die meisten sehen sich bis dato allerdings als Reporter, die lediglich auf die Einhaltung von Richtlinien achten und Transparenz schaffen. Und dann gibt es noch die Sustainablity Avoider unter den CFOs: Neun Prozent machen zurzeit in puncto Nachhaltigkeit: nix. Jetzt tippen Sie mal, wie viele der CFOs genau diese Agenda der ESG-Ignoranz auch in Zukunft verfolgen wollen. Niemand, weil das angesichts der wachsenden Bedeutung des Themas ja schließlich ein absolut schräges Zielbild wäre? Falsch! Es sind immerhin vier Prozent. Und sechs Prozent der Befragten antworteten auf die Frage, welche Bedeutung Nachhaltigkeit in Zukunft für den Finanzbereich hat: Gar keine. Uns beschleicht das dumpfe Gefühl, dass diese Herrschaften für den zukünftigen Finanz-Arbeitsmarkt auch keine allzugroße Bedeutung mehr haben dürften.

Diese Ausgabe stammt von:

Anne Hünninghaus + Marilena Piesker

Anne Hünninghaus + Marilena Piesker

Wir sind Redakteurinnen der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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