ESG report #43: ESG-Daten: Kritik vom BVI I Aufschub für 34f-Vermittler

Liebe Leserinnen und Leser,

ESG-Kriterien zu berücksichtigen, wird für die europäische Finanzbranche und deren Asset Manager zunehmend wichtiger und regulatorisch vorgeschrieben. Doch bisher wird der Großteil der verwendeten Nachhaltigkeitsdaten von wenigen US-Anbietern gestellt. Das ist ein Problem, findet der Fondsverband BVI und fordert ein Umsteuern. Zum einen, weil die US-Anbieter sich an andere Vorgaben halten müssen als die Europäer (Stichwort Taxonomie). Zum anderen kritisiert der BVI eine unfaire Preispolitik der Datenanbieter.

In seinem aktuellen Positionspapier meckert der BVI aber nicht nur, sondern macht auch Verbesserungsvorschläge, dazu lesen Sie heute mehr in unserem Hauptstück. Im Letzten Schluck geht es um das Prinzip Hoffnung auf freiwillige Selbstkontrolle, vor dem Hintergrund, dass 34f-Vermittler vorerst offiziell von der Nachhaltigkeitspräferenzabfrage ausgenommen sind.

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Thema der Woche

BVI: US-Dominanz bei ESG-Daten birgt Risiken

Wer in der hiesigen Finanzbranche langfristig erfolgreich bleiben will, wird um das Thema Nachhaltigkeit kaum herumkommen. Der Einbezug von ESG-Kriterien wird im Zuge von MiFID, Offenlegungsverordnung (SFDR) und der EU-Taxonomie für Asset Manager zur Pflicht und auch von Investoren-Seite immer stärker nachgefragt. Doch die dafür notwendigen Daten werden – mit Ausnahme des Anbieters ISS ESG (Institutional Shareholder Services), der seit 2021 zur Gruppe Deutsche Börse gehört – aktuell primär von wenigen, spezialisierten und großen US-Firmen und Index-Anbietern geliefert. Zum Beispiel: MSCI, Sustainalytics (Morningstar), Vigeo-Eiris und Bloomberg. Das ist unter mehreren Gesichtspunkten kritisch zu sehen, wie der BVI Bundesverband Investment und Asset Management in einem aktuellen Positions-Papier anmerkt.

  • Zum einen, weil das Oligopol so über eine überproportional große Marktmacht mit Blick auf Pricing-Power und Vertragsbedingungen verfügt, da viele Produkte ohne den Verweis auf eine führende Benchmark schwerer zu verkaufen sind.
  • Zum anderen, weil die US-Anbieter ihren Fokus primär auf den heimischen Markt und die dort geltenden Anforderungen legen, die sich von den EU-spezifischen Vorgaben unterscheiden und tendenziell laxer in der Auslegung sind.

Beide Punkte gehen mit Nachteilen und Risikofaktoren für die auf die Daten angewiesenen Asset Manager einher. Sie werden durch einen Mangel an Transparenz, Vergleichbarkeit und fehlenden, verbindlichen Standards für ESG-Kriterien noch forciert und können erhebliche Konsequenzen haben: „Die Nichteinhaltung von ESG-Vorgaben kann für Unternehmen existenzbedrohend sein“, so Gunter Lescher, Partner Forensic Services bei PwC Deutschland. Neben Reputationsrisiken können bei nachweislichem ESG-Fraud auch der Vorwurf einer Pflichtverletzung, sowie Geld- und Haftstrafen drohen. Wichtig zu wissen: mitunter gibt es eine erhebliche Zeitverzögerung beim Melden von Daten für ESG-Ratings und -Rankings, die bis zu einem Jahr betragen kann. Das heißt: Einige Positionen können sich in der Zwischenzeit verändert haben und möglicherweise nicht mehr dem entsprechen, wovon die Asset Manager ursprünglich ausgegangen waren.

Stärkere Regulierung und Transparenz sind ein Muss

In seinem Papier spricht sich der BVI für eine stärkere Regulierung des ESG-Daten-Markts, mehr Wettbewerb und ein stärkeres Engagement europäischer Anbieter im Segment aus, um die Effizienz sowie die Qualität der Daten zu steigern und die Kosten zu senken:

„Eine rigorose Überwachung des gesamten Nachhaltigkeits-/ESG-Daten-Business ist entscheidend, um die ökonomischen und sozialen Vorteile bei der Anwendung von ESG-Daten zu maximieren. Zudem glauben wir, dass ein einheitlicher Qualitätsstandard für den Bewertungsprozess von externen ESG-Ratings notwendig ist. In diesem Zusammenhang könnten auch Daten-Anbieter von ESG-Ratings reguliert werden“

Faire und nachvollziehbare Preispolitik als Crux

Ferner müssten anfallende Kosten für Benchmarks, Ratings und damit einhergehende Angebote transparenter aufgeschlüsselt werden, da sie teils stark schwanken und der Kauf von ESG-Daten auch unabhängig von kompletten Daten-Paketen oder zusätzlichen Services und Modulen möglich sein. Denn ein Schnäppchen sind die ESG-Daten von professioneller Seite nicht: So können dafür aktuell schon mal 200.000 bis 400.000 Euro pro Jahr anfallen – ohne dass speziell Taxonomie-orientierte Daten bereits inkludiert sind, wie der BVI in seinem Papier schreibt. Vor dem Hintergrund der weiter anziehenden Regulierung im EU-Raum bedeutet dies im Umkehrschluss, dass sich die Ausgaben für ESG-Daten weiter summieren könnten, wenn sich diese nicht auf mehr Schultern verteilen. Hier sieht der BVI deutlichen Handlungsbedarf, zumal die hohen Summen kleinere und finanzschwache Asset Manager und Vermögensverwalter zusehends in die Bredouille bringen könnten.

Konkrete Verbesserungsvorschläge bietet der Fondsverband auch hier: Öffentliche Preislisten für alle Datendienste und -Produkte, um eine faire Preispolitik zu garantieren und Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Hierzu könnte auch die Entwicklung einer Kosten-Benchmark von offizieller Behörden-Seite einen positiven Beitrag leisten. Zudem sollten Index-Anbieter für Berechnungs-Fehler zur Verantwortung gezogen werden können.

Letztlich läuft es darauf hinaus, dass mehr internationaler Wettbewerb und mehr EU-relevante ESG-Daten essenziell sind, um fairere und verlässlichere Informationen für die Käuferseite von ESG-Daten zu erreichen. Die gute Nachricht: die Datenlage verbessert sich zusehends, da immer mehr Player in der Finanzbranche Eigeninitiative zeigen, Rohdaten selbst auswerten und für sich eigene Qualitätskriterien definieren. Zusätzlichen Rückenwind verspricht zudem auch die geplante Einrichtung einer digitalen, europäischen Plattform für Nachhaltigkeitsinformationen, die unter der Ägide der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA stehen soll.  Die dafür technischen Voraussetzungen sollen bis Ende 2024 stehen.

Zahl der Woche

2,2 Billionen Euro ...

... so hoch war das Gesamtvolumen verantwortlicher Geldanlagen in Deutschland im vergangenen Jahr. Zu diesem Ergebnis kommt der Marktbericht des Verbands Forum Nachhaltige Geldanlage (FNG). Um die Zahl anschaulicher zu machen: Mit 2,2 Billionen Euro lassen sich knapp 22 Millionen Exemplare des Tesla Model S kaufen. Oder 88 Millionen kleine Windkraftanlagen. Oder 1,1 Billionen Packungen Grillkäse.

Zum Kreise der "verantwortlichen" Anlagen gehören laut FNG jene, bei denen Asset Manager ESG-Kriterien in ihren Anlagestrategien berücksichtigen. Nachhaltige Geldanlagen sind konkret als solche ausgewiesen, dazu gehören vor allem die Produkte, die nach Artikel 8 oder Artikel 9 der Offenlegungsverordnung klassifiziert sind. Hier lag das Investitionsvolumen bei 51,4 Milliarden Euro. Insbesondere Privatanleger haben im vergangenen Jahr verstärkt in grüne Assets investiert.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

Kein ESG mit China

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Ein niederländisches Investmenthaus zieht sich aus seinen China-Assets zurück. Der Grund: Das hauseigene Nachhaltigkeitstool setzt die Wirtschaftsmacht auf die rote Liste.

Diese Fondspolicen sind besonders nachhaltig

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Das Institut für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP) hat insgesamt 64 Fondspolicen bewertet. Die Höchstnote erhalten unter anderem Angebote der Allianz, Ergo Life S.A. und der Axa.

Defino legt Nachhaltigkeits-Fragebogen vor

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Ab August müssen Banken ihre Kunden explizit zu ihren Wünschen beim Thema Nachhaltigkeit befragen. Ein Fragebogen des Instituts für Finanzreform soll dabei helfen.

Ein letzter Schluck

Wo kein Wille ist ...

Wenn viel Geld im Spiel ist, liegt der Fokus allermeistens auf Sicherheit, Gewinn – und dann, irgendwann, kommt der Gedanke an die Welt außerhalb der persönlichen Betroffenheit, beispielsweise das Thema Nachhaltigkeit. Die Finanzbranche hat eine ganze Weile gebraucht, um sich der Ernsthaftigkeit und Relevanz von ESG bewusst zu werden. Und noch länger hat es gedauert, bis erste Regulierungen in Kraft getreten sind. Auf freiwilliger Basis ist in Sachen Nachhaltigkeit nur in Ausnahmefällen wirklich etwas passiert.

Deswegen sind Banken ab August gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Kundschaft zu fragen, ob diese nachhaltig investieren möchten – und müssen ihr Angebot entsprechend anpassen. Nun sind Banken nicht die einzigen Akteure am Markt, die die Anlageentscheidungen von Verbrauchern beeinflussen. Berater, genauer gesagt Finanzanlagenvermittler mit Erlaubnis gemäß Paragraf 34f Gewerbeordnung (GewO) und Honorar-Finanzanlagenberater nach Paragraf 34h GewO, gehören ebenfalls zu wichtigen Ansprechpartnern für Anleger. Genau diese 34f-Vermittler sind von der gesetzlichen Verpflichtung jedoch ausgenommen. Das hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) kürzlich bekannt gegeben. Gleichzeitig hat das Ministerium die Hoffnung geäußert, dass "die Finanzanlagenvermittler die neuen Anforderungen freiwillig erfüllen".

Das Prinzip Freiwilligkeit hat beim Thema Nachhaltigkeit noch nie wirklich funktioniert. Das werden auch noch so große Hoffnungen des BMWK nicht ändern. Viel wahrscheinlicher: Vermittler passen sich den Anforderungen an, weil sie auf lange Sicht nicht daran vorbei kommen werden.

Diese Ausgabe stammt von:

Imke Reiher + Lilian Fiala

Imke Reiher + Lilian Fiala

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