ESG report #42: DWS-Nachlese | 8 Tipps vom Juristen | Grün, Blau + Pink ärgern

Liebe Leserinnen und Leser,

es kommt schon mal vor, dass sich die großen Medien in ihren Analysen des Tagesgeschehens nicht ganz einig sind. Aber bei der Bewertung der Hauptversammlung der DWS in der vergangenen Woche gingen die Meinungen dann doch bemerkenswert weit auseinander. Während die Süddeutsche Zeitung schrieb, der deutsche Fonds-Primus habe eine Klatsche kassiert, notierte die FAZ das genaue Gegenteil: "Kein Traumergebnis, aber eben auch keine Ohrfeige." Für uns Anlass genug, noch mal bei Bankenkritiker Thomas Küchenmeister nachzuhorchen. Sein Urteil: "Ein guter Anfang, das Problembewusstsein ist da." Wie er darauf kommt und welche Blue- und Pinkwashing-Probleme sonst noch so bestehen, lesen Sie heute am Mittwoch vor Fronleichnam im ESG-report.

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Thema der Woche

War das jetzt eine Klatsche für die DWS?

So richtig schlau werden konnte man aus der Hauptversammlung der Deutsche-Bank-Tochter DWS am 9. Juni nicht. Wenige Tage nachdem bekannt wurde, dass CEO Asoka Wöhrmann die Fondsgesellschaft nach heftigen Greenwashing-Vorwürfen nebst Razzia von Staatsanwaltschaft, Bundeskriminalamt und Finanzaufsicht verlassen wird, hielt der Mann bei der virtuellen Hauptversammlung seine Abschiedsrede. Die war geprägt von zweierlei: Erstens vom stolzen Hinweis auf das "erfolgreichste Jahr für die DWS überhaupt" mit einem Bilanzgewinn von 620,2 Millionen Euro. Und zweitens von der Schilderung "persönlicher Angriffe und Drohungen":

Wie unbegründet oder unhaltbar sie auch alle sein mögen – sie haben ihre Spuren hinterlassen.

Hat die DWS tatsächlich falsche Versprechen abgegeben und Fonds in Prospekten mit ESG-Faktoren beworben, obwohl diese tatsächlich nur sehr selten zur Geltung kamen? Zu dieser Kernfrage gab es inhaltlich wenig Neues. Die Vorwürfe zum Prospekt- und Kapitalanlagebetrug würden geprüft, man arbeite mit den Behörden zusammen, ein Sonderausschuss berichte regelmäßig an den Aufsichtsrat, bislang lägen aber keine weiteren Erkenntnisse vor – so die vagen Auskünfte in der Sache.

Die anwesenden Minderheitsaktionäre überzeugte das offensichtlich nur teilweise. Bei den anschließenden Abstimmungen zur Entlastung kassierten die Geschäftsführung um Wöhrmann und der Aufsichtsrat 17,6 beziehungsweise 18,2 Prozent Nein-Stimmen. Weil rund 80 Prozent der DWS der Deutschen Bank gehören, die in beiden Fällen nicht mitstimmen durfte, bezogen sich diese Ablehnungen zwar nur auf 9,85 Prozent des Grundkapitals. So vertreten die Dissidenten weniger als 1,8 Prozent des Eigenkapitals. Darunter war neben Kleinaktionären aber auch Konkurrent Union Investment, der mehr als 1 Prozent der Aktien des Wettbewerbers besitzt.

Was sagen Bankenkritiker?

Verbraucherschützer betrachten die Vorgänge um Marktführer DWS mit besonderer Aufmerksamkeit. Mit einem von ihnen haben wir  gesprochen: Thomas Küchenmeister hat vor acht Jahren die gemeinnützige Organisation Facing Finance gegründet, die für einen verantwortungsbewussten und nachhaltigen Umgang mit Geld einstehen soll. Das Unternehmen veröffentlicht seither jedes Jahr einen “Dirty Profits Report” und prangert Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Umweltzerstörung global agierender Unternehmen an. Dabei steht insbesondere auch das Engagement deutschen Banken in der Kritik.

Facing Finance betreibt auch das Portal Faire-Fonds.info. Hier kann man Fonds großer Anbieter vergleichen und nachsehen, wie sehr an nicht ESG-konformen Unternehmen beteiligt sind. Bereits früher kritisierte Faire Fonds auch einige DWS-Fonds. Wir wollten wissen: Was hat der DWS-Fall in den Köpfen der Menschen verändert? Warum ist das Greenwashing-Problem noch lange nicht aus der Welt geschafft? Welche Auswirkungen hat der Skandal auf die Branche?

Thomas Küchenmeister, Gründer und Geschäftsführer Facing Finance e.V. (c) privat

Herr Küchenmeister, das Ergebnis der DWS-Hauptversammlung hat Sie sicher enttäuscht, oder? Sie haben bestimmt gehofft, dass niemand den Vorstand entlastet…

Thomas Küchenmeister: Wir wären natürlich glücklicher, wenn alle gegen die Entlastung gestimmt hätten, ja. Das haben wir bei der Tochterfirma der Deutschen Bank allerdings nicht erwartet. Insgesamt waren wir schon zufrieden – und sehr überrascht über das Ergebnis. Man könnte sagen: Es ist ein guter Anfang. Denn inzwischen ist ein Problembewusstsein da. Und die Investoren fangen an, negativ zu reagieren.

Hat die DWS etwas aus dem Greenwashing-Skandal gelernt, oder bleibt alles beim Alten?

Greenwashing bleibt auf alle Fälle ein Problem, und zwar so lange, bis es eine verbindliche Regulierung gibt. Der Wille einiger Anbieter zur verantwortungsbewussten Selbstregulierung fehlt und bis sich das ändert, wird das Problem nicht verschwinden. Ich persönlich finde das sehr schade, denn insgesamt wächst das Interesse am Thema Nachhaltigkeit. Auch Berater sollten sich daran orientieren und genau schauen, welche Produkte sie vermarkten. Denn so kurzfristig ausgelegte Geschäfte verursachen immer einen langfristigen Imageschaden für die gesamte Branche.

Wie groß ist das Greenwashing-Problem über die DWS hinaus in der Fondsindustrie?

Die DWS ist kein Einzelfall. Das Greenwashing-Problem wird aktuell in der gesamten Industrie immer größer. Es gibt gerade einen Marketingrausch, von dem alle profitieren wollen. Wir haben noch andere Fonds auf der Seite, die sich mit dem ESG-Siegel „selbst versorgen“ und in der Realität schädliche Geschäftsmodelle unterstützen. Darunter sind zahlreiche große deutsche Banken. Das Problem ist, dass der Markt einfach sehr groß ist. Die Menschen fragen nach nachhaltigen Fonds und Anbieter nutzen das aus. Mehr als 50 Prozent der DWS-Fonds hatten unserer Analyse zufolge ein ESG-Label, obwohl die Geschäftsmodelle der meisten damit in Konflikt standen. Aktuell gibt es außerdem ein Ermittlungsverfahren gegen Goldman Sachs. Natürlich gibt es auch „gute“ Fonds, bei denen wir keine Belastung feststellen konnten. Allerdings waren das laut unserer Recherche bei der DWS nur rund zehn Prozent von insgesamt 300 Fonds.

Wie schaffen Sie Transparenz in der Finanzindustrie?

NGOs sind eine wichtige unabhängige Kontrollinstanz. Sie schaffen die Grundlage, auf der Menschen ihr Vertrauen aufbauen können. Ganz ohne eine Regulierung wäre das nicht möglich. Wir von Facing Finance sehen uns ein Stück weit als Verbraucherschützer und Informationsgeber. Schon vor den Ermittlungen kritisierte unser Verbraucherportal Faire Fonds den grünen Anstrich einiger DWS-Fonds. Seit dem Jahr 2020 analysierten wir gemeinsam mit dem gemeinnützigen Verein Urgewald auf diesem Portal die Portfolios unterschiedlicher Publikumsfonds auf kontroverse Geschäftspraktiken. Unsere Analysen zeigten erhebliche Mängel bei der Beachtung sozial-ökologischer Kriterien auf. Im Grunde genommen bemühen wir uns, die Transparenzlücke zu schließen, die die Fondsanbieter offenlassen.

Fonds der Woche

Pax ESG Multi Asset


  • Unternehmen: Pax-Bank
  • Gattung: Offensiver Mischfonds (60 Prozent Aktien, 40 Prozent Anleihen)
  • Auflagedatum: 02.05.2022
  • ISIN: DE000A3C92R1
  • Fondsvolumen: 5 Millionen Euro
  • Gesamte laufende Kosten: 1,15 Prozent
  • Ausgabeaufschlag: 2 Prozent

Was macht den Fonds zum ESG-Investment?

Der Fonds setzt drei Schwerpunkte: ESG-Vorreiter, ESG-Aufsteiger und ein soziales ESG-Profil. Die erste Säule umfasst Unternehmen mit einem herausragenden Nachhaltigkeits-Rating. Dazu zählen Firmen mit einem AAA-, AA- oder A-Score laut MSCI-ESG-Wertung. Bei den Aufsteigern muss die prozentuale Veränderung dieses Scores zumindest positiv sein. Und schließlich muss der Social-Score mindestens im oberen MSCI-Mittelfeld liegen. Durch diese breite Abdeckung will die Pax-Bank ein insgesamt höherwertiges Nachhaltigkeitsprofil gegenüber konventionellen Fonds erreichen.

Was macht den Fonds noch interessant?

Sein sozialer Fokus: "Soziales" ist im Bereich der nachhaltigen Investments immer noch unterrepräsentiert. Der Pax-Fonds will aus der ESG-Masse hervorstechen, indem er einen Schwerpunkt auf Unternehmen mit einem überdurchschnittlichen sozialen Profil legt. Darüber hinaus achten die Fondsmanager bei ihrer Titelauswahl auf überdurchschnittlich hohe Dividenden und Kupons.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

Die besten ESG-Fonds 2022

Die besten ESG-Fonds 2022

Das Institut für Vermögensaufbau (IVA) hat im Frühjahr 46 Artikel-9-Fonds getestet. Die Frage: Was ist wirklich „dunkelgrün“, was „hellgrün“ und was lediglich „grau“? Dabei erhielten 21 Fonds mindestens 80 von 100 möglichen Punkten, drei mussten sich mit der Note „befriedigend“ zufriedengeben. Die Pariser Sycomore ist als einzige Fondsgesellschaft sowohl bei den breit angelegten als auch bei den spezialisierten Fonds unter den Top-Drei vertreten.

SEC plant einheitliche ESG-Regelungen

SEC plant einheitliche ESG-Regelungen

Die US-Wertpapieraufsichtsbehörde SEC geht gegen übertriebene ESG-Werbeaussagen bei Anlageprodukten vor. Geplant sind einheitliche Standards darüber, was als „ESG“, „nachhaltig“ und „kohlenstoffarm“ deklariert werden darf. „Es gibt derzeit eine große Bandbreite an Begriffen und Kriterien, die Vermögensverwalter verwenden können“, sagt SEC-Vorsitzender Gary Gensler. Es sei an der Zeit, dass Anleger leichter erkennen können, ob ein Fonds auch wirklich das ist, was er vorgibt zu sein.

Acht juristische ESG-Tipps für Banken

Acht juristische ESG-Tipps für Banken

Matthias Geurts, Rechtsanwalt und Partner bei Schalast, warnt in diesem Blog-Beitrag vor zu pauschalen ESG-Regelungen im Anlageprospekt. Sind Kriterien zu breit gefasst, können diese nicht immer vollumfänglich eingehalten werden – und das birgt rechtliche Probleme. Acht Schritte für Banken und Vermögensverwalter, um diese Risiken zu minimieren. Diese Tipps hätte die DWS gut gebrauchen können...

Ein letzter Schluck

Die Frage nach der weißen Weste

Unser Interviewpartner Thomas Küchenmeister hat es bereits angesprochen: Das Greenwashing-Problem hat sich in der gesamten Industrie ausgebreitet. Nicht nur die DWS hat sich Klimaschutz womöglich zu selbstbewusst auf die Fahne geschrieben. Die US-Börsenaufsicht untersucht aktuell auch „grüne“ Fonds von Goldman Sachs. Wir könnten nahezu wöchentlich von derartigen Fällen berichten.

Irreführende PR-Kommunikation ist allerdings nicht exklusiv unserer Branche vorbehalten. Falsche Fairsprechen gibt es leider zuhauf und in allen (farblichen) Facetten:

Bluewashing funktioniert ganz ähnlich, konzentriert sich jedoch nicht auf nachhaltige, sondern soziale Teilaspekte. Der Begriff entstand in Anspielung auf die blaue Farbe der Vereinten Nationen. Zahlreiche Unternehmen schmücken sich gerne als Partner des UN-Global-Compact-Programms zur verantwortungsvollen Unternehmensführung. Blaufärberei findet sich besonders häufig in der Textilbranche, die mit fairen Löhnen und Arbeitsbedingungen wirbt. Immer wieder neue Berichte über Kinderarbeit und Sweatshops widerlegen zahlreiche dieser Imagekampagnen.

Pinkwashing betrifft ganz aktuell den Monat Juni, der weltweit als Pride Month gefeiert wird. Auf Straßenumzügen demonstriert die queere Gemeinschaft für gleiche Rechte, feiert ihre Sichtbarkeit. Für viele Unternehmen gehört es mittlerweile zum guten Ton, sich mit Regenbogen-Flaggen zu schmücken und am Christopher Street Day mit eigenem Wagen vorzufahren. Das Problem an der demonstrierten Weltoffenheit: Häufig geht dieses Engagement nicht über Lippenbekenntnisse hinaus. So manche Unternehmenspraxis steht dazu sogar klar im Widerspruch. Statt sich tatsächlich für bessere Arbeitsbedingungen ihrer LGBTIQ+-Beschäftigten einzusetzen, nutzen sie die Demonstrationen einfach nur als Werbefläche.

Diese Ausgabe stammt von:

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Wir sind Redakteure in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Das Interview mit Thomas Küchenmeister hat unsere Volontärin Johanna Stein geführt. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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