ESG report #41: Renditeplus dank ESG I Sustainable-Finance-Beirat I Kleine Schritte, kleine Wirkung

Liebe Leserinnen und Leser,

wer im Bioladen um die Ecke oder in der Boutique für nachhaltige Kleidung shoppt, weiß: Das gute Gewissen kostet extra. An dieses Denken sind die meisten gewöhnt – und projizieren das Muster auf die ESG-Anlage. Motto: Gewinne ein paar Punkte Karma, verliere Rendite. Analysen zeigen allerdings, dass sich die Rendite durch hohe ESG-Qualität oft sogar steigern lässt. Nur wo liegen die strategischen und konzeptionellen Vorteile nachhaltiger Finanzprodukte, die für besonders gute Performance sorgen? Und gibt es in diesem Jahr womöglich einen Rückschritt? Darum geht es heute in unserem Schwerpunkt.

Außerdem stellen wir den neuen Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung vor. Im letzten Schluck verdienen sich schließlich jene Banken und Investmenthäuser eine Runde Spott, die sich schon für Öko-Pioniere halten, wenn sie nur auf Recycling-Klopapier und Mülltrennung achten.

Wir wünschen eine anregende Lektüre, freuen uns über Ihr Feedback an redaktion@esg-report.de – und natürlich über Ihre Weiterempfehlung.

Ihre ESG-Redaktion

Thema der Woche

Warum ESG-Produkte oft gut performen

Sie kennen das: Deusche Anlegerinnen und Anleger setzen bei Investitionen vor allem auf Sicherheit. In zweiter Linie dann auf Rendite. Nachhaltigkeit kommt irgendwann danach, solange sie nicht wehtut. Viele Anleger halten es nämlich für eine Entweder-Oder-Entscheidung, ihre Geldanlage nach Rendite oder gutem Gewissen zu optimieren. Das Denkmuster stützen Erfahrungen im Alltag: Eier von glücklichen Hühnern sind teurer, auch Mode aus nachhaltigen Textilien muss man sich erst mal leisten können. Schließlich kostet es die Produzenten ja auch etwas, Tieren mehr Platz einzuräumen und Felder ohne Pestizide zu bestellen. An diesen Kosten beteiligen sie ihre Kundschaft.

Bei nachhaltigen Finanzprodukten fallen durch Ausschlusskriterien und ESG-Risk-Ratings wiederum allerlei Unternehmen aus den Portfolios. Wer schmutzige hohe Gewinne verspricht, fliegt. Auch die Prüfung auf Nachhaltigkeit im Portfolio macht Arbeit, kostet also Geld, genauso wie der Zwang, sich an die immer neuen Gesetzgebungen anzupassen. Das alles führt zu der Annahme, dass auch Privatanlegerinnen sich den Ethikfaktor etwas kosten lassen müssen – nämlich Rendite.

Erstaunlich: Zuletzt häuften sich Studien und Berichte, die genau in die andere Richtung deuten: Je höher die ESG-Qualität von Titeln, desto höher sind die Erträge, die sie abwerfen. Aktuell kommt mal wieder eine Performanceanalyse für das Jahr 2021 von Axa Investment Management zu genau diesem empirischen Ergebnis. Durch Ausschluss von Aktien aufgrund von ESG-Faktoren konnte das Axa-Musterportfolio im Jahr 2021 insgesamt 57 Basispunkte Mehrertrag gegenüber der Benchmark erzielen:

Unsere Studie widerlegt das Vorurteil, dass sich ESG-Anlagen und Performance ausschließen. Die Analysen zeigen, dass eine ESG-Vorauswahl Anleiheportfolios stabilisieren kann – im Aktienbereich können Investoren sogar mit einer deutlichen Mehrrendite rechnen.

So lassen sich Hina Varsani und William Mahoney, Investmentanalysten bei Axa IM, zitieren.

Klingt nach einer Win-Win-Situation.

Aber woran liegt es denn nun, dass ESG-Produkte oft besonders gut performen? Hier vier wichtige Gründe:


  1. Moderne und fortschrittliche Unternehmen werden identifiziert: Ein sorgfältiges ESG-Screening gibt tieferen Einblick in die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. Statt über Finanzwerte nur die Spitze des Eisbergs eines Unternehmenszustands zu erkennen, lässt sich über die nicht-finanziellen Kriterien sehr viel mehr herauslesen: Ist das Geschäftsmodell zukunftstauglich? Stimmen die Governance-Faktoren?
  2. Das schafft Zuverlässigkeit, auch was den Schutz gegen Klimarisiken und Stranded Assets anbelangt. Risiken werden früher und genauer erfasst.
  3. Auch Kursverwerfungen bei Green Bonds fallen geringer aus: Die Unternehmen mussten schließlich zuvor die Nachhaltigkeit und Stabilität ihres Geschäfts unter Beweis stellen.
  4. Bei Staatsanleihen lassen sich geopolitische Risiken verringern, wenn die jeweiligen Länder die entscheidenden internationalen Vereinbarungen ratifiziert haben und sich globalen Kodizes verpflichten.


All diese Faktoren verringern tendenziell die Volatilität, gerade bei Marktturbulenzen. Klar ist aber auch: Es ist kein Naturgesetz, dass ESG-Produkte grundsätzlich besser abschneiden als konventionelle. In diesem Jahr etwa ging es für Technologie-Werte bergab und für Rüstungskonzerne und traditionelle Versorger und Big-Oil-Companies bergauf. Die Ergebnisse für 2022 könnten also anders aussehen als die Auswertung des vergangenen Jahres – ein aktueller Bericht im Handelsblatt (siehe unten) deutet bereits darauf hin.

Fazit: Es lohnt, sich und anderen die strategischen Vorzüge und die Robustheit von nachhaltigen Geldanlagen vor Augen zu führen. Auch um wegzukommen vom veralteten Denkmuster: Entweder grün – oder ertragreich. ESG-Anbieter sind eben nicht vergleichbar mit einem teuren Bioladen – exklusiv für Leute, die es sich leisten können.

Köpfe der Woche

Das ist der Sustainable-Finance-Beirat

Seit wenigen Tagen stehen die Mitglieder des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung fest. 34 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Vereinen und Verbänden wurden in das Gremium berufen. Gemeinsam sollen sie die Bundesregierung dabei unterstützen, den nachhaltigen Wandel der Volkswirtschaft voranzutreiben und Deutschland zu einem führenden Standort für nachhaltige Finanzen zu entwickeln. Dazu soll der Beirat die Bundesregierung und die Real- und Finanzwirtschaft beim Umsetzen und Weiterentwickeln von Vorgaben zu nachhaltigen Finanzen in nationalen und internationalen Diskussionen unterstützen. Was das genau bedeutet, werden wir hoffentlich in den kommenden Monaten erfahren.

Zu den Mitgliedern gehören jedenfalls unter anderem Martina Bentele von Siemens Energy, Matthias Kopp vom WWF Deutschland, Birigt Ludwig, Chief Operating Officer bei Blackrock Deutschland und Frank Scheidig, Global Head of Senior Executive Banking bei DZ Bank.

Die vollständige Liste der Mitglieder und ständigen Beobachter ist auf der Website der Bundesregierung einsehbar.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

Führt ESG zur Unwucht im Depot?

Führt ESG zur Unwucht im Depot?

Wer nachhaltig anlegt, ist besonders stark vom Tech-Ausverkauf betroffen, schreibt das Handelsblatt. Der Grund: Tech-Aktien seien hier häufig überrepräsentiert. Entgegen der Argumentation unseres heutigen Hauptstücks wird also vor zu hohen Risiken angesichts des geschrumpften Anlageuniversums gewarnt. Andererseits: Auch Grüne Energievorsorger sind überrepräsentiert in ESG-Portfolien. Und die werden zunehmend relevant.

DWS will weiter nachhaltig sein

DWS will weiter nachhaltig sein

Zuletzt hat sich die Fondstochter der Deutschen Bank nicht mit Ruhm bekleckert. Whistleblowing, Greenwashing-Affäre und dann auch noch der Rücktritt des CEOs. Trotz heftiger Image-Kratzer will das Haus an seinem Fokus auf Nachhaltigkeit festhalten, wie Bloomberg anlässlich der jüngsten Aktionärsversammlung berichtet.

Fondsanbieter koppeln Boni kaum an Nachhaltigkeitsziele

Fondsanbieter koppeln Boni kaum an Nachhaltigkeitsziele

Topmanager in der Investmentbranche sind wichtige ESG-Treiber. Daher wäre es nur logisch, wenn sich das auch in ihrer Vergütungsstruktur abbildet. Bislang ist das aber selten: "Konkret an ESG-Zielen ist momentan noch eher ein kleiner Teil der variablen Vergütung ausgerichtet", sagt ein Experte gegenüber Fonds Professionell.

Ein letzter Schluck

Mülltrennung statt Strategie: Besser als nix?

Es ist 2022, die ersten Schulstreiks fürs Klima von und mit Greta Thunberg sind immerhin schon vier Jahre her – und Unternehmen brüsten sich immer noch mit den absoluten Basics. Neulich war es wieder so weit: Ein bekannter Vermögensverwalter verkündet stolz "Ein Mülleimer für alles? Das war einmal!" Tatsächlich hat nun auch Citywire die Mülltrennung für sich entdeckt, ganz nach dem selbstgewählten Motto: "Kleine Schritte, große Wirkung." Immer wieder tun Finanzdienstleister, Vermögensverwalter und Banken stolz kund, wie sie Nachhaltigkeit jetzt dann doch in ihren Arbeitsalltag integrieren. Stückseife, recyceltes Klopapier und Ladestationen für E-Bikes gehören zu beliebten Aushängeschildern. Und E-Mails werden nur noch in Ausnahmefällen ausgedruckt.

Solche Fortschritte sind durchaus zu begrüßen. Bloß kommen sie im Jahr 2022 gefühlt einige Jahrzehnte zu spät. Wir wissen schließlich: "Kleine Schritte" reichen nicht, um die Wirkung zu erzielen, die die Welt wirklich braucht. Und der Klimawandel wartet nicht auf gute Absichten. Wer was bewegen will, muss also schleunigst große Schritte machen – und die sind nicht immer so schlicht wie anderes Toilettenpapier. Interne Change-Prozesse, Investitionen in ESG-Förderprojekte, das Großreinemachen im Unternehmensportfolio – all das und noch viel mehr zeigt weitaus mehr Wirkung. Wer dann auch noch den Müll trennt, ist tatsächlich ganz vorne mit dabei.

Diese Ausgabe stammt von

Anne Hünninghaus + Lilian Fiala

Anne Hünninghaus + Lilian Fiala

Wir sind Redakteurinnen der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

Subscribe to ESG report

Don’t miss out on the latest issues. Sign up now to get access to the library of members-only issues.
jamie@example.com
Subscribe