ESG report #40: Päferenzabfrage: Für wen gilt was? I Weltumwelttag I Davos

Liebe Leserinnen und Leser,

ab dem 2. August ist es soweit: Finanz-Vertriebler müssen ihre Kunden nach deren Nachhaltigkeitswünschen befragen und Angebote danach ausrichten. So wollen es die neuen EU-Vorschriften zur Nachhaltigkeit. Doch bei der konkreten Umsetzung herrscht noch große Unsicherheit. Spekulationen, dass 34fler von den Änderungen der MiFID II-Richtlinie ausgenommen sind, scheinen mittlerweile überholt. Aber für wen gilt jetzt eigentlich was? Und welche EU-Richtlinie greift? In unserem Hauptstück entwirren wir das Chaos und fassen den aktuellen Stand kompakt für Sie zusammen.

Ein weiterer wichtiger Termin ist der Weltumwelttag am 5. Juni, der in diesem Jahr seinen 50. Jahrestag feiert. Die Partylaune trüben können allerdings sieben Risiken und Probleme, die nach dem Weltwirtschaftsforum in Davos aktuell bleiben. Dazu mehr in unserem Letzten Schluck.

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Thema der Woche

Nachhaltige Beratung mit Abstrichen

Was gilt denn jetzt eigentlich genau...?

Ab dem 2. August treten die neuen EU-Verordnungen zur Nachhaltigkeitspräferenzabfrage in Kraft. Heißt: Künftig müssen Berater ihre Kunden im Beratungsprozess gezielt nach ihren ESG-Präferenzen befragen und diese beim Produktangebot verbindlich berücksichtigen und protokollieren. So weit die Theorie, mit der die EU Greenwashing vorbeugen will. Doch in der Praxis geraten etliche Vertriebler dadurch in die Bredouille. Und zwar aus zwei Gründen:

  • Zum einen, weil parallel zur Aufnahme von Nachhaltigkeit in die Anlageberatung zwei EU-Gesetzesinitiativen im Rennen sind – die Offenlegungs-/Transparenzverordnung (TVO/SFDR – seit März 2021) und das aktuelle Taxonomie-Regelwerk. Damit treffen zwei Konzepte zur Nachhaltigkeit aufeinander, die sich mitunter eher behindern als ergänzen.
  • Zum anderen, weil es keine verbindliche Nachhaltigkeits-Präferenz-Vorlage gibt, die Berater für ihre Abfrage nutzen könnten. Das eröffnet Spielräume: Passt kein Produkt zu den Wünschen, können Kunden ihre Nachhaltigkeitspräferenzen nachträglich anpassen. Diese Korrektur muss aber – inklusive Begründung – von Beraterinnen und Beratern aufgezeichnet werden.

Trotzdem dürfte die Verpflichtung zur ESG-Beratung das Alltagsgeschäft für viele deutlich differenzierter und komplizierter machen, denn Berater müssen ohne offizielle Vorlage Empfehlungen geben und Aufklärung bieten. Vom protokollarischen Bürokratiemonster ganz zu schweigen. Der dafür notwendige technische Regulierungsstandard (TRS) zur einheitlichen Bestimmung von Nachhaltigkeitskriterien kommt erst Anfang 2023 – ein Jahr später als ursprünglich von der EU angedacht.

Damit Sie nachhaltigkeitsinteressierten Kunden Finanzprodukte anbieten und verkaufen können, müssen diese einer der passenden Produktkategorien zugeordnet werden können (hier zu finden ab S. 6) und alle damit einhergehenden Kriterien in ihre Anlagestrategie integrieren. Eine mögliche Folge der neuen EU-Verordnungen zur Nachhaltigkeit: Fonds, die nach SFDR unter Artikel 8 gelistet sind, könnten beim nachhaltigkeitsinteressierten Kunden möglicherweise aus dem Produkt-Universum fallen, weil sie die höher gesteckten Anforderungen der Taxonomie-Richtlinie oft nicht erfüllen können.

Doch das ist erstmal alles noch Zukunftsmusik. Es bleibt abzuwarten, ob ein vom Votum-Verband geforderter Aufschub um ein Jahr für die Beratungspflicht zu Nachhaltigkeitspräferenzen gewährt wird.

...und für wen gilt das?

Die verbindliche Nachhaltigkeitspräferenzabfrage ab dem 2. August greift nach aktuellem Stand für:

  • § 34 d GewO: Vertrieb von Versicherungsprodukten (IDD)
  • § 34 f GewO: Finanzanlagenberater (FinVermV / MiFID II – ggf. mit Einschränkungen)
  • §34 h GewO – Honorar-Finanzanlagenvermittler (FinVermV / MiFID II – ggf. mit Einschränkungen)

Allerdings ist noch unklar, ob es Ausnahmen geben wird. So könnten gewerbliche und Honorar-Finanzanlageberater von der Pflicht zur Präferenzabfrage zunächst ausgenommen werden. Grund hierfür ist, dass sich die ursprüngliche MiFID-Richtlinie explizit nur auf Banken und Wertpapierinstitute bezieht. 34 f- und 34-h-Vermittler bilden eine so genannte Bereichsausnahme. Zwar findet sich in der Finanzanlagenvermittlungsverordnung (FinVermV) ein Verweis, dass die MiFID-Richtlinie beachtet werden muss. Allerdings ist aktuell wohl nicht klar, ob sich das nur auf die Ursprungsfassung bezieht, oder auch für Veränderungen der Richtlinie greift. Die finale Entscheidung steht noch aus.

Doch selbst wenn diese darauf hinauslaufen sollte, dass es sich im Passus der FinVermV um keinen "dynamischen", sondern um einen "statischen Verweis" handelt – so der juristische Fachterminus – und 34fler ebenso wie ihre Honorar-Kollegen damit noch von der ESG-Beratungs-Pflicht ausgenommen sind: Letztlich wäre es doch nur eine – wahrscheinlich absehbar kurze – Frage der Zeit, bis hier nachgebessert werden dürfte. In puncto Nachhaltigkeit inaktiv zu bleiben, ist derweil keine besonders nachhaltige Option. Denn das Thema wird in Zukunft nur noch dominanter werden.

Termin der Woche

Internationaler Tag der Umwelt

Am kommenden Sonntag ist nicht nur Pfingsten, sondern auch der 5. Juni – Weltumwelttag. Dieses Jahr heißt das Motto "Natürlich Klima schützen: Moore, Wälder und Meere erhalten!". Verschiedene Events und Aktionen in insgesamt 150 Ländern sollen an diesem Tag den Einsatz für unsere Umwelt fördern. 2022 steht der Tag international unter dem Hashtag #OnlyOneEarth und wird von Schweden ausgetragen. Ein guter Anstoß, der Politiker, Unternehmen und die Bürger dieser Erde dazu anregen soll, mehr für die Welt zu tun, in der wir leben. Ein Ansatz, der sich – wie wir schon lange wissen – auch auf die Finanzwelt übertragen lässt. Vielleicht ein Aufhänger fürs nächste Kundengespräch?

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

DWS-Chef muss wegen Greenwashing-Vorwürfen gehen

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Die Deutsche Bank trennt sich nach einer Razzia von Asoka Wöhrmann, dem DWS-Chef. Der Verdacht: Kapitalanlagebetrug. Die DWS soll ihre Fonds absichtlich "grüner" dargestellt haben als sie sind.

US-Finanzaufsicht verklagt BNY Mellon wegen falscher ESG-Angaben

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Die Investmentgesellschaft hat laut SEC bei den Angaben zu den ESG-Kriterien ihrer verwalteten Fonds geschummelt. Anscheinend sind die Vorwürfe nicht ganz unberechtigt: Um die beizulegen ist BNY Mellon bereit, 1,5 Millionen Dollar Strafe zu zahlen.

Billy 2.0: Ikea macht den Regalklassiker nachhaltig

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Geben Sie es zu – irgendwo steht (oder stand einst) auch in Ihrer Wohnung ein Billy-Regal. Bald gibt es den schwedischen Möbel-Klassiker auch in Öko: Das bisher verbaute Holzfurnier soll Papierfolie weichen, Kantenbänder aus Kunststoff sollen durch Papierprodukte ersetzt werden. Das nachhaltige Regal wird laut Ikea ab 2024 nach und nach auf den globalen Markt kommen.

Nachhaltigkeit spielt bei Investitionen nur eine Nebenrolle

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Den Deutschen geht es bei der Geldanlage vor allem um Sicherheit und Rendite – erst dann kommt der Gedanke an die Wirkung ihrer Anlage. Das zeigen zwei Studien, des Fondsverbands BVI und der Fondsgesellschaft Union Investment.

Ein letzter Schluck

Die Davoser Elite versus sieben ESG-Todsünden

Zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, den 17 Sustainable Development Goals (SDGs), gehört nicht nur der Kampf gegen den Klimawandel, sondern auch eine nachhaltige Transformation von Produktion und Konsum. Um entsprechend nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu erreichen, muss Geld fließen – insbesondere in Richtung ärmerer Länder, die, nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie, mit der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 hadern. Denn gerade in diesen Ländern ist die Finanzierungslücke in den vergangenen Jahren sogar größer geworden – und das obwohl hier am meisten Budget gebraucht wird.

Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos haben einflussreiche Politiker, Unternehmer und Aktivisten in der vergangenen Woche intensiv über die aktuellen Herausforderungen diskutiert. Das Ergebnis: Sieben Risiken und Probleme, deren Bekämpfung ab jetzt ganz oben auf der Prioritätenliste stehen soll.


  1. Globale Ungleichheiten beim Zugang zu Finanzierungsmitteln haben zugenommen.
  2. Die hohe Nachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten in Kombination mit steigender Inflation kann gerade ärmeren Ländern den Zugang zu Kapital erschweren.
  3. Der Ausstieg aus nicht nachhaltigen Projekten könnte erhebliche Auswirkungen auf die Mittelzuweisung und das geopolitische Gleichgewicht haben.
  4. Anhaltende Investitionshemmnisse und Kapazitätsengpässe hindern die Entwicklungsländer daran, von den Vorteilen nachhaltiger Entwicklung zu profitieren.
  5. In Entwicklungs- und Schwellenländern mangelt es an Informationen zu ESG-Investments.
  6. Trotz (oder gerade wegen) des Strebens nach Nachhaltigkeit könnte sich das Missverhältnis zwischen Bedarf und Angebot bei der nachhaltigen Finanzierung verschärfen.
  7. Die Verbreitung von Nachhaltigkeitsstandards könnte zusätzliche Hindernisse für Finanzierungen und Investitionen in Entwicklungsländern schaffen und die Kosten für die Einhaltung der Standards erheblich erhöhen.

Die sieben globalen ESG-Todsünden zu sammeln, reicht aber leider nicht. Die Davoser Elite schlägt zur Lösung vor: Innovative Finanzprodukte, eine "ganzheitliche Betrachtung der SDGs" , Kapazitätsaufbau, neue Strategien und das Etablieren internationaler Standards. Die Lösungsansätze bleiben aber leider vage, schwer operationalisierbar und wenig dynamisch. Das sind Kritikpunkte, die viele bereits gegenüber den eigentlichen SDGs äußern.

Was tatsächlich wirken kann: Wenn Industriestaaten, die für einen Großteil der CO2-Emissionen verantwortlich sind, eben diese Verantwortung tragennicht nur für den eigenen Vorgarten, sondern überall dort, wo die Auswirkungen des Klimawandels besonders spürbar sind.

Diese Ausgabe stammt von

Lilian Fiala + Imke Reiher

Lilian Fiala + Imke Reiher

Wir sind Redakteurinnen der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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