ESG report #39: Teslas ESG-Rauswurf | Wo bleiben die Frauen? | HSBC im Shitstorm

Liebe Leserinnen und Leser,

was für eine Woche: Tesla-Chef Elon Musk bügelt die Ratingagenturen ab, der Nachhaltigkeitschef von Europas größter Bank HSBC feuert gegen die, die vor der Klimakatastrophe warnen. Hinzu kommen die Langzeitprobleme, zum Beispiel, dass Frauen in den Führungsetagen des deutschen Mittelstands immer noch die Ausnahme sind.

Also doch nichts dran an dem ganzen ESG-Gerede? Alles bloß Show, bizarr überzeichnet und sowieso unnötig? Weit gefehlt. Denn es ist ja längst bekannt, dass gemischte Teams innovativer arbeiten. Dass HSBC sich solche Lästereien nicht mehr leisten kann. Und dass Elon Musk – nun ja: Elon Musk ist. Aber lesen Sie selbst...

Wir wünschen Ihnen nach all den Krawall-News erst einmal einen schönen Feiertag. Nächste Woche sind wir wie gewohnt am Donnerstag für Sie da.

Viel Spaß bei der Lektüre

Ihre ESG-Redaktion

Thema der Woche

Tesla fliegt aus Nachhaltigkeitsindex

Sie haben es sicherlich mitbekommen: Tesla wurde vergangene Woche von der ESG-Version des S&P 500-Index ausgeschlossen. Viele Anleger fragen sich nun: Warum um alles in der Welt fliegt der Elektroauto-Pionier aus einem Nachhaltigkeitsindex? Die einfache Antwort: ESG ist ein Scam, also blanker Schwindel. Moment – das ist natürlich nicht unsere Meinung. Aber die von Tesla-Chef und Twitter-Schreihals Elon Musk:

Spaß beiseite: Hinter dem Rausschmiss steckt ein gut begründetes Urteil. Wir zeigen Ihnen, liebe Berater, auf welche Punkte Sie bei kritischen Fragen aufmerksam machen sollten.

Das steckt wirklich dahinter

Auf den ersten Blick erscheint es zugegebenermaßen merkwürdig, dass der weltweit führende E-Autobauer seinen Platz im ESG-Index räumen muss. Auf den zweiten Blick offenbart die spezifische Indexkonstruktion die wahren Beweggründe:

S&P DJI errechnet für jedes Unternehmen im Mutterindex S&P 500 einen eigenen ESG-Score. Von vornherein ausgesiebt werden kontroverse Branchen wie Tabak. Der Score umfasst Variablen wie beispielsweise Nutzung erneuerbarer Energien, aber auch faire Löhne und ethische Lieferketten. Die Punkte setzen die Analysten in einem nächsten Schritt in Relation zur Konkurrenz. Die schlechtesten 25 Prozent fliegen raus.

Zwar ist Teslas Nachhaltigkeitsrating absolut betrachtet stabil geblieben. Allerdings haben andere Autobauer Tesla in diesem Jahr überholt. Wer genau von der Konkurrenz sich in welchen Bereichen derart verbessern konnte, geht aus der Stellungnahme von S&P DJI allerdings nicht hervor. In Sachen Transparenz können die Index-Anbieter also selbst noch einiges lernen.

Die Messmethodik erklärt also, weshalb Tesla weichen muss, aber der Ölkonzern ExxonMobil und Gewerkschaftsfeind Amazon im ESG-Index bleiben dürfen. Innerhalb ihrer jeweiligen Branche schneiden sie schlichtweg besser ab. Auch wenn Musk das nicht gefallen mag:

Mangelnde Transparenz und auch der Ansatz, die Klassenbesten je Branche zu belohnen – all das darf man durchaus kritisieren. Klar ist aber auch, dass Musks pauschales Abstrafen des Labels ESG zu kurz gedacht ist. Hinzu kommt, dass das Imperium des umstrittenen Visionärs Schwächen hat. Zwar könnte man die Innovationskraft in Sachen “E” auch im Vergleich mit manch anderem Autobauer lobend hervorheben. Aber da wären nun einmal auch noch “S” und “G”.

schreibt Margaret Dorn

Das schauen wir uns genauer an:

Social

Musk musste sich bereits mehrfach wegen arbeitsrechtlicher Verstöße verantworten. So hat Tesla beispielsweise im Vorjahr einen Mitarbeiter entlassen, der sich für die Gründung einer Gewerkschaft eingesetzt hatte. Weil das nicht legal ist, musste Musk einen Tweet löschen, in dem er gedroht hatte, dass Tesla-Beschäftigte ihre Aktienoptionen verlieren würden, sollten sie sich von der Gewerkschaft vertreten lassen. Außerdem warfen Hunderte Beschäftigte des Flaggschiff-Montagewerks Fremont dem Unternehmen Anfang dieses Jahres Rassismus vor. Der Staat Kalifornien hat Tesla daraufhin wegen Diskriminierung afroamerikanischer Beschäftigter verklagt. Bereits zuvor musste Tesla wegen rassistischer Vorfälle Schadenersatzzahlungen in Millionenhöhe leisten.

Governance

Damit sind wir auch schon bei der Ebene der Unternehmensführung. Musks Twitter-Tiraden wurden bereits 2018 von der US-Börsenaufsicht SEC als Marktmanipulation verurteilt. Musk habe Investoren mit Aussagen über eine mögliche Privatisierung von Tesla in die Irre geführt.

S&P DJI nennt zudem Teslas mangelhafte Untersuchungen von tödlichen Unfällen, die in Verbindung mit seinem Autopiloten gebracht werden, als konkreten Governance-Mangel.

Environment

Selbst Teslas Nachhaltigkeit geriet zuletzt unter Kritik, vor allem hier bei uns: Die neue Fabrik in Brandenburg deckt 60 Prozent ihres Energieverbrauchs mit (russischem) Gas ab. Noch dazu verbraucht das Deutschland-Werk so viel Wasser wie eine 40.000-Einwohner-Stadt. Auch wenn manche Medien gerne darauf hingewiesen, dass andere Industriebetriebe ein Vielfaches davon verbrauchen. Whataboutism macht die Situation im ohnehin trockenen Brandenburg nicht besser.

Übrigens: Der Rauswurf bei S&P DJI ist indes nicht in Stein gemeißelt. Sollte Tesla nachbessern, steht einer Wiederaufnahme im nächsten Jahr nichts im Wege. Und das weiß Musk natürlich. Ihm geht es daher auch nicht um einen etwaigen finanziellen, sondern um einen Reputationsschaden.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

Frauen bleiben in Familienunternehmen exotisch

Frauen bleiben in Familienunternehmen exotisch

Anfang März 2022 arbeiteten in den Vorständen und Geschäftsführungen der 100 größten Familienunternehmen 408 Männer und nur 37 Frauen, zeigt eine neue Studie. Bei börsennotierten Familienunternehmen ist die Quote höher, anderswo führen weiterhin fast ausschließlich Männer.

Bayer will Hunger in der Welt bekämpfen

Bayer will Hunger in der Welt bekämpfen

Der Chemie- und Pharmakonzern Bayer hat den „Zero Hunger Private Sector Pledge“ unterzeichnet und sich damit einer Initiative aus dem Jahr 2021 angeschlossen, die im Rahmen eines UN-Gipfels zu Ernährungssystemen startete. Der "Pledge" ist mit einer Zusage in Höhe von 160 Millionen US-Dollar zur Bekämpfung des Hungers in der Welt verbunden, vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika. Der größte Teil des Geldes soll in Forschung und Entwicklung fließen, um Kleinbauern mit besserem Gemüsesaatgut etwa für Okra, Bittermelone und spezielle Tomaten zu versorgen.

Die Hitze raubt den Schlaf

Die Hitze raubt den Schlaf

Laut einer neuen Studie der Universität Kopenhagen könnte die Menschheit bis zum Ende des Jahrhunderts pro Jahr durchschnittlich 50 bis 60 Stunden weniger schlafen – weil es in der Nacht schlicht zu heiß bleibt. Die Folge: Herz-Kreislaufstörungen, ein geschwächtes Immunsystem, geringeres Denkvermögen und erhöhte Aggression. Übrigens: Frauen und ältere Menschen schlafen in heißen Nächten besonders schlecht.

Ein letzter Schluck

Geld vs. Moral vs. Meinungsfreiheit

Haben Sie die Geschichte von Stuart Kirk mitgekommen? Im Juli 2021 war der Mann bei Europas größtem Bankhaus HSBC als weltweiter Leiter für verantwortungsvolles Investieren gestartet. Nun ist er den Job schon wieder los. Und das hat mit einem – nun ja – speziellen Verständnis seiner Aufgabe zu tun. Kirk hatte am vergangenen Donnerstag auf der "Moral-Money"-Konferenz der Financial Times in London seinen großen Auftritt. In seiner viertelstündigen Präsentation (hier die Aufzeichnung der überaus sehenswerten Selbst-Demontage) wollte Kirk offenbar zeigen, warum Investoren sich wegen des Klimawandels nicht allzu große Sorgen machen sollten – und stattdessen besser Geschäfte mit der daraus folgenden Transformation.

Stuart Kirks Bitte um Entlassung: "Unbegründete, schrille, parteiische, eigennützige, apokalyptische Warnungen sind IMMER falsch.“

Vielleicht gar kein falscher Gedanke: Jedenfalls ist Panik nie ein guter Ratgeber, und der Kampf gegen die Erderwärmung ist sicherlich für manchen ein gutes Geschäft. Warum man dafür aber Institutionen wie die Bank of England oder das Intergovernmental Panel on Climate Chance (IPCC), immerhin die zentrale UN-Organisation zur Erforschung des Klimawandels, für irrelevant erklären und die vielen Mahner vor einer Klimakatastrophe als schrille Spinner diffamieren muss, das bleibt Kirks Geheimnis. Es kam einem Entlassungsgesuch gleich.

Der Vorstandsvorsitzende von HSBC Noel Quinn beeilte sich denn auch auf LinkedIn, dem eigenen Topmanager hart zu widersprechen ("I do not agree – at all.") und ließ Kirk suspendieren. Die Financial Times beschrieb Kirk daraufhin als

"The HSBC banker suspended for speaking his mind"

Der Mann, der gehen musste, weil er seine Meinung sagte. Echt jetzt? Dazu sollte man wissen, dass Kirk, bevor er bei der HSBC zum obersten Umweltschützer ernannt wurde, unter anderem auch mal als Redakteur für die Lex-Kolumne der britischen Zeitung tätig war.

Wir rücken das an dieser Stelle deshalb gerade: Kirk musste nicht gehen, weil er seine Meinung sagte. Sondern weil er diese Meinung hatte. Sein Rausschmiss ist daher legitim.

Diese Ausgabe stammt von:

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Wir sind Redakteure in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

_______________________________________________

Subscribe to ESG report

Don’t miss out on the latest issues. Sign up now to get access to the library of members-only issues.
jamie@example.com
Subscribe