ESG report #34 Grünes Crowdinvesting I ESG als Luxusproblem?
Liebe Leserinnen und Leser,
das Thema "Grüne Rendite" spielt auch im Crowdinvesting-Bereich eine immer größere Rolle: Plattformen wie Bettervest, Wiwin und Co. schreiben sich auf die Fahne, dass Anleger und Investorinnen bei ihnen in nachhaltige und sozial-ökologische Projekte investieren können. Die Palette reicht vom Funding für den Bau von Solaranlagen und Waldinvestments über erneuerbare Energien bis hin zu Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern.
Das klingt alles gut, hat aber dennoch seine Tücken – sogar ein Totalverlust der eingesammelten Gelder ist möglich. Über die potenziellen Risiken und Stolperfallen von grünen Schwarm-Investments und worauf Sie Ihre Kunden hinweisen sollten, lesen Sie in unserem Wochenschwerpunkt.
In unserem “Letzten Schluck” geht es derweil um die Tendenz, in den aktuellen Krisenzeiten das Thema Nachhaltigkeit eher nachrangig zu behandeln.
Eine gute Lektüre!
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Grüne Schwarm-Investments mit Tücken
Nachhaltig investieren – diese Philosophie verfolgen offenbar auch immer mehr Crowdinvesting-Plattformen. Dabei stehen die unterschiedlichsten öko-sozialen Projekte zur Auswahl, die auf den verschiedenen Marktplätzen von den jeweiligen Anbietern beworben werden. Zum Beispiel:
- Grüne Solaranlagen für Unternehmen in Kenia (Bettervest – Ariya Emissions UG (haftungsbeschränkt))
- eine Solaranlage in Vietnam (Ecoligo – MP Pack)
- Energetisches Wohnen auf Sylt (Wiwin – GVG Connaught Verwaltungsgesellschaft bmH)
- eine Bioraffinerie in Venlo (LeihDeinerUmweltGeld)
- und umweltfreundliche Paketstationen in Deutschland per se (GLS Crowd – Smartmile Crowd One GmbH).
Eine Beteiligung ist schon ab 50 Euro möglich (Bettervest) und die Renditeprognosen reichen bis zu 8,25 Prozent (LeihDeinerUmweltGeld). Das klingt nicht schlecht.
Und auch die Ideen hinter den einzelnen Angeboten sind sicher gut – doch nicht jedes Projekt wird tatsächlich realisiert. Wird die Fundingschwelle im angepeilten Zeitraum nicht erreicht, werden die eingenommenen Gelder den Investoren zurückgezahlt. Das mag für manchen Investor-in-spe enttäuschend oder sogar ärgerlich sein, doch immerhin erleidet er keinen finanziellen Verlust. Es kann aber auch anders ausgehen. Etwa wenn es bei der Projekt-Umsetzung zu Verzögerungen kommt oder Währungsrisiken entstehen. Beides kann zu gekürzten oder sogar gestrichenen Zinszahlungen führen.
Wenn Ihnen nun ESG-begeisterte Kunden berichten, ihr Geld unbedingt in solche wohlklingenden Projekte stecken zu wollen, sollten Sie ihnen zuerst die folgenden drei Fragen stellen:
- Haben Sie schon im Vorfeld zum Anbieter und seinen bisher realisierten Angeboten recherchiert?
- Können Sie das Projekt nachvollziehen und sich vorstellen, wie Ihr Geld eingesetzt wird?
- Haben Sie sich die Risikokennziffern des ausgeschriebenen Projekts genau angesehen?
Gerade die letzte Frage ist wichtig, da auch ein Totalverlust der Anlage möglich ist. Denn Umweltinvestments und riskante Geldanlage schließen sich nun mal nicht aus und beim Gros der beworbenen Projekte gibt es eine Achillesferse: die Rechtsform. Auf diese Besonderheit sollten Berater ihre Kunden gezielt hinweisen, denn in der Regel handelt es sich bei den Offerten um Nachrangdarlehen, die zum grauen Kapitalmarkt zählen. Im Fall einer Pleite oder Insolvenz des Anbieters, werden die Investoren in der Gläubiger-Reihenfolge also erst nachrangig bedient. Dass sie also im schlimmsten Fall ihr ganzes Geld verlieren können, offenbart der entsprechende Passus in § 12 Abs. 2 Vermögensanlagegesetz: „Der Erwerb dieser Vermögensanlage ist mit erheblichen Risiken verbunden und kann zum vollständigen Verlust des eingesetzten Vermögens führen.“
Auch wenn die Erfolgsquote bei den ausgeschriebenen Projekten teils hoch ist und viele bereits fristgerecht umgesetzt wurden oder noch werden, sollten Interessierte nur Geld investieren, das sie längerfristig entbehren können. Denn es gibt derzeit oft noch keinen sekundären Markt, auf dem sich Beteiligungen vorzeitig verkaufen lassen – ein kurzfristiges "Ans-Geld-Kommen" ist insofern schwer möglich. Für manch sicherheitsorientierten Anleger mag vor diesem Hintergrund ein Impact-Fonds die bessere Alternative sein.

83 Prozent ...
... der Investorinnen und Investoren wünschen sich aussagekräftige und detaillierte ESG-Berichte. Das zeigt eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC, unter 325 Personen aus 42 Ländern. Diesem Wunsch werden bislang allerdings nur wenige Unternehmen gerecht. Nur ein Drittel der Befragten schätzte die durchschnittliche Qualität der Nachhaltigkeitsberichterstattung als „gut“ ein.

Die urbane Zukunft soll grüner werden – so lautet das Motto der Floriade Expo 2022. Die Internationale Gartenbau-Ausstellung wurde vergangene Woche im niederländischen Almere von König Willem-Alexander eröffnet. Bis zum 9. Oktober präsentieren hier hunderte Aussteller ihre Ideen zum Thema "Wachsende Grüne Städte". Auf der Agenda stehen unter anderem biologische Baumaterialien, vertikale Gärten, technische Neuheiten und Best-Practice-Beispiele. Deutschland ist mit einem Garten vertreten. Die Veranstaltung taugt als El Dorado der Inspiration für den ESG-Bereich und auch darüber hinaus: Denn nach Abschluss soll auf dem Areal ein neues ökologisches Stadtviertel inklusive einer Hochschule entstehen.

Namen, die Sie sich merken sollten
Bei der Fondsgesellschaft Comgest wurden gleich zwei Stellen neu besetzt. Das ESG-Team wächst: Alix Faure, die ehemalige Leiterin der Abteilung Sustainable Investment bei AFG, dem französischen Verband der Vermögensverwaltungsbranche, besetzt die neu geschaffene Position Head of Responsible Development. Marie Gauthier, ehemalige Vizepräsidentin für nachhaltige Finanzen beim World Wide Fund for Nature (WWF) in Singapur, verstärkt das Team als ESG-Spezialistin. Beide haben künftig ihren Sitz in der Pariser Zentrale der Gesellschaft, wo sie sich auf die Umsetzung und Kommunikation der Nachhaltigkeitsanlagestrategie von Comgest sowie die Koordinierung der Zusammenarbeit mit dem Anlageteam konzentrieren werden.
Die LBBW Asset Management hat unterdessen Dr. Heiko Bailer in einer neu geschaffenen Position eingestellt, und zwar als Head ESG Investment & Research. Bailer soll in der neuen Position die ESG-Bemühungen der Bank weiter vorantreiben. Erfahrung bringt er in jedem Fall mit: Zuvor war der Investmentexperte bei Unternehmen wie der Deutschen Bank, ABN AMRO und Credit Suisse tätig. Vor der Stelle bei der LBBW war er Head of ESG Quantitative Investments bei RepRisk in der Schweiz, einem Research-Unternehmen für ESG. Daneben ist er in der akademischen Forschung tätig.

Was uns diese Woche noch auffiel

Zum ESG-Experten der Zukunft werden
Und wieder gibt es Neues vom grünen Aus- und Weiterbildungsmarkt: Die FH Wien startet ein MBA-Programm in Sustainable Finance Management. Das berufsbegleitende Studium bereitet darauf vor, den Wandel hin zu einer ökologisch und sozial nachhaltigen Wirtschaft mitzugestalten.

Bei Aktien sind Fondsanbieter weniger streng
Zweierlei Nachhaltigkeits-Maß? Während es für Anleihen oft eindeutige und strenge Regeln gibt, wollen sich die Institutionellen bei Aktien ihre Anlagechancen nur ungern grundsätzlich verbauen, speziell was China angeht.

Blackrock auf ESG-Kurs
Die Investmentgesellschaft prognostiziert, dass bis 2030 mindestens drei Viertel der Investitionen in Unternehmen und Regierungen an Emittenten gebunden sein werden, die sich das Ziel gesetzt haben, die Netto-Treibhausgas-Emissionen bis 2050 auf Null zu senken.

Klimaschutz nur in guten Zeiten
Die Situation ist verzwickt: Die Inflation treibt die Preise, Versorgungsengpässe durch den Krieg in der Ukraine legen noch eine Schippe oben drauf. Das bekommen Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nur bei Öl und Gas zu spüren, sondern auch auf dem Teller. Gerade Anbieter von Bioprodukten, die sowieso in den allermeisten Supermärkten eher zu den teureren Angeboten gehören, haben jetzt doppelt zu kämpfen. Denn durch die aktuelle Lage sinkt nicht nur die Kaufkraft der Konsumenten. Auch das Image der Biolandbauern bekommt Kratzer – und zwar unter anderem dank Politikern wie Steffen Bilger, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der CDU Nordwürttemberg. In einer Diskussion im Bundestag über die Förderung des Biolandbaus sagte er:
„Wir wollen keine Abkehr von den Nachhaltigkeitszielen. Aber jetzt gehört die Ernährungssicherheit in den Mittelpunkt.“
Der Subtext wird deutlich – Bio ist nichts für Krisenzeiten. Dabei ist der Biolandbau genau das, was uns und kommenden Generationen Ernährungssicherheit ermöglicht. Ökolandbau ist ein essentieller Bestandteil des Klimaschutzes und leistet zudem einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt. Wenn wir in Krisenzeiten aufhören, in unsere Zukunft zu investieren, schaden wir uns selbst. Und: Nur indem ökologisch nachhaltig produzierte Lebensmittel gefördert werden, werden sie auch für mehr Menschen zugänglich. Wer Klimaschutz als ein Luxusproblem betrachtet, um das man sich in besseren Zeiten kümmern kann, der sollte fürchten, dass diese besseren Zeiten vielleicht niemals anbrechen werden.
Diese Ausgabe stammt von:

Lilian Fiala und Imke Reiher
Wir sind Redakteurinnen in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.