ESG report #33: Teurer Energieausschluss | M, F und X | Emotionale Gewissheit

Liebe Leserinnen und Leser,

seit mittlerweile 33 Ausgaben informieren wir Sie jeden Donnerstag über die wichtigsten Ereignisse in der grünen Finanzwelt. Heute werfen wir einen Blick zurück und fragen, was die nachhaltige Kapitalanlage eigentlich gebracht hat.

Seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands boomt die weltweite Nachfrage nach konventionellen Energietiteln. Öl- und Gas-Investoren freuen sich über sprudelnde Gewinne. Haben wir unseren Kunden mit ESG-Produkten am Ende noch einen Bärendienst erwiesen?

Beim Blick nach vorn kommen wir um die Zeitenwende nicht herum, die im August für die Nachhaltigkeitsberatung ansteht: Ab dann müssen Sie Ihre Kunden nach deren Nachhaltigkeitspräferenzen befragen. Aber wissen die überhaupt, was sie antworten sollen? Psychologen haben da ernste Zweifel. Und Sie eine neue Aufgabe: Fragen nicht nur stellen – sondern gleich auch noch beantworten.

Viel Spaß bei der Lektüre (und keine offenen Fragen) wünscht,

Ihre ESG-Redaktion

Wie immer freuen uns über Ihr Feedback an redaktion@esg-report.de – und natürlich über Ihre Weiterempfehlung.

Thema der Woche

Erst das Fressen, dann die Moral?

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat drastische Folgen für den Energiemarkt. Die Preise für Öl und Gas sind seit Jahresbeginn um rund 30 Prozent gestiegen. Genauso jagen Roh- und Grundstoffe von einem Rekordhoch zum nächsten.

All das geht nicht spurlos an der Finanzwelt vorbei. Drehte sich noch vor wenigen Wochen alles rund um das Thema Nachhaltigkeit, scheinen die grünen Gedanken jetzt verflogen: Plus 42 Prozent für den Ölmulti Chevron, 41 Prozent für den Gaskonzern Equinor und 36 Prozent für den Minenbetreiber Glencore – ganz abgesehen von den satten Börsengewinnen der Waffenhersteller.

Es ist allerdings nicht die YTD-Performance dieser Dreckschleudern, die uns verblüfft. Viel mehr sind es die zahlreichen ESG-Strategien, die im selben Zeitraum nicht einfach nur schlechter abgeschnitten haben, sondern schlichtweg abgeschmiert sind.

Nachhaltigkeitsstrategien, die sich mit Negativlisten begnügen, verloren bis Ende März gegenüber dem Vorjahresquartal und der Benchmark MSCI ACWI 26 Prozentpunkte Rendite. Sie schließen alle Unternehmen aus, die Öl und Gas fördern, Energie aus der Kohleverstromung gewinnen oder in den Grundstoffbranchen tätig sind. Genau jene Titel also, die nun die größten Überschussrenditen abwerfen. Ähnlich übel erging es SDG-Ansätzen, die sich an den Nachhaltigkeitszielen der UN oder dem Pariser Klimaabkommen orientieren. Energie- und Grundstoffwerte fallen hier kaum ins Gewicht.

ESG ist kein No-Brainer

Sieht das für Sie nicht auch aus wie ein Konstruktionsfehler? Anleger, die auf erneuerbare Energien setzen und stolz verkünden können, nicht von Putins Gas abhängig zu sein, werden abgestraft. Konventionelle Investoren hingegen machen ordentlich Kohle – mit Kohle, Öl und Gas. Wir fragen uns:

Müsste ESG nicht jetzt erst recht boomen?

Die simple Antwort: Das tut es – allerdings ist ESG kein Selbstläufer. Zu simple Ansätze, die einfach nur „raus aus dem konventionellen Energiesektor“ postulieren, resultieren in gewaltigen Opportunitätskosten. Komplexere Methoden, die ESG-Vorbilder der jeweiligen Branche hochhalten, schnitten deutlich besser ab. Best-in-Class-Ansätze schlugen ihre Benchmark im Anfangsquartal um 6 Prozentpunkte. Das bedeutet aber auch, dass sich im ESG-Portfolio der ein oder andere Ölkonzern wiederfindet.

Darum hier eine steile These für das nächste Kundengespräch: Gerade die Öl- und Gaskonzerne sind es nun mal, die gerade dafür sorgen, dass die Lichter an bleiben. Wer daher die Besten unter den Konventionellen im Portfolio meidet, untergräbt Stand und Entwicklung der Energiewende.

Die Konventionellen sind nicht alternativlos, auch das ist klar. Wer partout auf Öl und Gas verzichten möchte, greift daher zum ESG-Strategie-Krisengewinner Impact Investing. Dieser besonders komplexe ESG-Ansatz sucht aktiv nach Unternehmen, die einen positiven und messbaren Beitrag zu ökologischen oder sozialen Zielen leisten. Und das mit Erfolg, auch während des Krieges.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

Rohstoffpreisexplosion: Nicht (allein) Putins Werk

Rohstoffpreisexplosion: Nicht (allein) Putins Werk

Die stark steigenden Energiekosten sind für Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies weniger eine Kriegsfolge als ein Ergebnis eines Schweinezyklus, strengerer ESG-Richtlinien und des gestiegenen Verantwortungsbewusstseins bei Investoren, schreibt er. Mit anderen Worten: Die Preise sollen steigen – und Verbraucher sollten nicht für ihre verlorene Kaufkraft entschädigt werden.

Nahrungsmittel: 500 Millionen Kleinbauern im Blick der Konzerne

Nahrungsmittel: 500 Millionen Kleinbauern im Blick der Konzerne

Rund 70 Prozent unserer Lebensmittel werden von einer halben Milliarde Kleinbauern in aller Welt produziert, die Rohstoffe im Wert von 1,5 Billionen US-Dollar produzieren. Klimawandel, Pandemie und Krieg machen ihnen besonders zu schaffen. Daher ist es eine gute Nachricht, dass Lebensmittelmultis wie Danone, Unilever und Nestlé nun massiv in die Widerstandsfähigkeit ihrer Lieferanten investieren.

Geschlechtervielfalt: Die USA gehen voran

Geschlechtervielfalt: Die USA gehen voran

Seit Montag ist es so weit: Die USA stellen Reisepässe mit einer dritten Geschlechtsoption aus. Zu „M“ für „male“ und „F“ für „female“ kommt ein „X“ für alle, die sich nicht den binären Kategorien zugehörig fühlen. Die USA sind erst das 19. Land, das diesen Schritt geht. Der eigentliche Meilenstein: JedeR kann dort seine Geschlechtsangabe durch das X ersetzen – ohne Attest oder irgendeine andere Hürde.

Ein letzter Schluck

What is it, exactly, that they want?

Gute Frage: Was wollen Ihre Kunden wirklich? Beziehungsweise: Wissen sie überhaupt, was sie wollen? Was wir wissen ist: Ab August müssen Sie als Vermögensberater Ihre Kunden nach ihren ESG-Präferenzen fragen. Heißt: Zu all den Fragen rund um Erfahrungen und Vermögen kommen auch noch die nach den Wünschen rund um gute oder grüne Geldanlage.

Da kommt eine neue Analyse des britischen Fintechs Oxford Risk gerade recht, die gleich mit mehreren Mythen zur Bewertung von ESG-Präferenzen aufräumt. Oxford Risk hat sich auf Behavioral Finance spezialisiert, also darauf, wie uns psychologische Verhaltensmuster bei der Geldanlage prägen, täuschen und im Wege stehen. Und nun kommt's: Die meisten Anleger wollen laut Oxford Risk vor allem die emotionale Gewissheit haben, dass ESG-Investitionen das tun, was sie versprechen. Bloß wissen sie nicht, wie sie die erreichen sollen:

"Die Nachfrage der Anleger nach Investitionen mit einer Art sozialem Bewusstsein nimmt offensichtlich zu. Aber bei der Frage: 'Was wollen sie eigentlich genau?' fangen die Schwierigkeiten an."

Letztlich, so die Botschaft, sind die Anleger hoffnungslos überfordert. Sie haben überaus individuelle Präferenzen, die zudem auch noch oft widersprüchlich sind. Noch schlimmer: Sie werden in dieser Lage auch noch konfrontiert mit immer mehr Produkten, auf denen ein ESG-Etikett klebt, das "so bedeutungslos ist wie das Wort 'natürlich' auf einem Lebensmitteletikett".

Nun kommen Sie ins Spiel, liebe Berater: Denn wer überfordert ist, sucht Rat bei einer möglichst vertrauensvollen und unabhängigen Person. Mit anderen Worten: Während der Gesetzgeber will, dass Sie die Kunden danach fragen, was sie wollen, empfiehlt Ihnen Oxford Risk dringend, diese Frage auch gleich für Ihre Kunden zu beantworten – und zu bestimmen, wie viel ESG diese wirklich wollen und welche Risiken sie bereit sind, dafür einzugehen. Klingt nach einer Aufgabe für echte Profis.

Autoren dieser Ausgabe:

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Wir sind Redakteure in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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