ESG report #31 Ukraine-Krieg: Konsequenzen der Fondshäuser I Zwei Gesichter Chinas

Liebe Leserinnen und Leser,

der Krieg in der Ukraine hat geopolitische Risiken in den Fokus gerückt und die Kurse für Rüstungs- und Öl-Titel stark in die Höhe getrieben. Angesichts der weiterhin unsicheren Lage und aktueller Entwicklungen stellt sich gerade bei ESG-Produkten die Frage, inwieweit sie Federn lassen müssen und welche Veränderungen hier möglicherweise zu erwarten sind. Bei geopolitischen Risiken etwa, oder auch bei der Titel-Wahl selbst – werden ESG-Kriterien künftig laxer ausgelegt, aufgeweicht oder weniger stark gewichtet?

Sicher ist, dass in betroffenen Portfolios und Ratings bereits Veränderungen erfolgen. So hat unter anderem die Morningstar-Tochter Sustainalytics ihr ESG-Risk-Rating um zwei neue Indikatoren erweitert, die sich konkret auf den Ukraine-Konflikt und seine Auswirkungen beziehen. Wir haben bei Fonds- und Rating-Häusern nachgefragt, welche konkreten Konsequenzen sie gezogen haben.

Auch unser "Letzter Schluck" dreht sich heute um geopolitische Risiken – in diesem Fall um die zwei Gesichter Chinas.

Eine gute Lektüre!

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Ihre ESG-Redaktion

Thema der Woche

Bäumchen-Wechsele-Dich in den Portfolios

Es ist verständlich, dass sich die Anbieter von Finanzprodukten im Moment mit ihren Aussagen zu Russland und Investitionen in russische Titel zurückhalten. Etliche Produkte sind aktuell vom Handel ausgesetzt und die Situation in der Ukraine ist nach wie vor unsicher und volatil.

ESG report hat sich umgehört, wie die verschiedenen Häuser mit der aktuellen Lage umgehen, und welche Änderungen sie beobachten oder selbst vorgenommen haben.

Laut Morningstar sind die Investitionen von europäischen Fonds in russische Anlagen und Titel wie Gazprom, Lukoil und Sberbank of Russia zwar gering. Doch bei Osteuropa-, BRIC- und anderen Schwellenländer-Portfolios spielen sie meist eine größere Rolle. Etliche Anbieter haben nun reagiert und – sofern möglich – Veränderungen vorgenommen oder diese geplant, wobei detaillierte Aussagen zu einzelnen Portfolios aber eher die Ausnahme sind.

  • So heißt es von Schroders Investment Management nur, dass man „auf absehbare Zeit nicht in russische oder weißrussische Aktien oder Anleihen investieren“ werde – das bisherige Engagement aber sowieso nur weniger als 0,1 Prozent des verwalteten Vermögens ausmache.
  • Auch von JP Morgan hier gibt es nur ein sehr generelles Statement zur Lage: Man habe das Engagement in russische Aktien und Anleihen aktiv reduziert „wo es möglich und angebracht“ sei. Auf globaler Ebene habe man aber nur ein relativ kleines Engagement und werde „die Märkte und Liquiditäts-Dynamiken“ aktiv und genau beobachten.
  • Bei East Capital sieht man zwei größere Veränderungen, die durch den Krieg ausgelöst wurden. So werde das S in ESG-Produkten in Zukunft wahrscheinlich stärker gewichtet werden – mit Blick auf Menschenrechte – ebenso wie die Sicherheit und Sicherstellung von Energie.
  • Konkreter ist da schon die Aussage der Morningstar-Tochter Sustainalytics, die ihr ESG-Risk-Rating um zwei neue Indikatoren – sogenannte Systemic Event Indicators (SEI) – erweitert hat, die sich konkret auf den Konflikt und seine Auswirkungen beziehen. Dadurch seien 66 Unternehmen identifiziert worden, die vom Krieg signifikant betroffen sind und die man jetzt – auch unter ESG-Gesichtspunkten – genauer untersuchen werde.


Es zeichnet sich ab, dass das Thema Nachhaltigkeit künftig anders und in einigen Punkten möglicherweise auch flexibler gedacht werden muss – an Bedeutung sollte es aber nicht verlieren.

To-Do der Woche

Bewerbung für den Sustainable Finance-Beirat

Lust auf einen neuen (Zusatz-)Job? Die Bundesregierung hat die Bewerbungsrunde für den Sustainable Finance-Beirat eröffnet. Expertinnen aus der Finanzwirtschaft können sich auf die Mitgliedschaft im Beirat bewerben, der die Bundesregierung dabei Unterstützen soll Deutschland zu "einem führenden Sustainable Finance-Standort zu machen", sagt Sven Giegold, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Die Bewerbungsfrist läuft noch bis zum 20. April. Auf der Website  finden sich alle Details zum "Interessenbekundungsverfahren", wie es in feinstem Amtsdeutsch heißt.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

Nachhaltigkeitsabfrage – ein Dilemma für Berater?

Nachhaltigkeitsabfrage – ein Dilemma für Berater?

Finanzkunden sollen ab August auch zu ihren Nachhaltigkeitsvorlieben befragt werden. „Wenn Berater alles so machen, wie die Esma es schreibt, wird das Beratungsgespräch doppelt so lang werden“, schätzt Rechtsanwalt Christian Waigel mit Blick auf die Beschlüsse der Aufsichtsbehörden. Trotz noch fehlender Detailvorschriften will man am Berliner DIN-Institut einen Standard für Berater setzen.

Geht Krypto auch nachhaltig?

Geht Krypto auch nachhaltig?

Bitcoin und Co. gelten bei Fans als verschlüsselte Währung der Zukunft. Ein Nachteil: Die Kryptowährungen verbrauchen eine Menge Energie. Eine Greenpeace-Initiative soll Abhilfe schaffen: Mit einer neuen Kampagne wirbt die Umweltschutzorganisation für das ökofreundlichere "Proof of Stake"-Verfahren.

Studie: Nachhaltigkeit kommt in den Unternehmen an

Studie: Nachhaltigkeit kommt in den Unternehmen an

Für einen Großteil der börsennotierten Unternehmen ist Nachhaltigkeit kein theoretisches Konzept mehr, sondern zur Aufgabe im Alltag geworden. Das zeigt eine Studie des Deutschen Aktieninstituts (DAI). Das Ergebnis: Die befragten Unternehmen setzen sich konkrete ESG-Ziele und nutzen ein breites Instrumentarium, um sicherzustellen, dass die Nachhaltigkeitsstrategie umgesetzt wird und die Ziele erreicht werden. Und auch um ihren Erfolg zu messen. Ratings und Benchmarking sind dabei die meistgenutzten Werkzeuge.

Ein letzter Schluck

China und die zwei Gesichter

Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat jüngst bewiesen: Die Strategie "Cooperation for Development" ist nur bedingt für die Zusammenarbeit mit Diktatoren geeignet. Die Hoffnung internationaler Player wie den USA, Frankreich und auch Deutschland, demokratischen Wandel durch wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit zu bewirken hat im Falle Putin nicht funktioniert. Die Erkenntnis kommt für die Kooperation mit Russland zu spät – doch der Kreml ist bei weitem nicht der einzige Handelspartner mit zwei Gesichtern. China, die stetig wachsende Wirtschaftsmacht, ist ebenfalls mit Vorsicht zu genießen. Während das Land auf der einen Seite von einer freieren Marktwirtschaft profitiert, hält es auf der anderen Seite an seiner protektionistischen Politik fest.

Zwei Gesichter hat China auch, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. Einerseits hat China ehrgeizige Ziele: Bis 2060 will das Land klimaneutral werden. Laut dem Magazin "Euromoney" und der Datenplattform Statista haben chinesische Unternehmen und Finanzinstitute im vergangenen Jahr grüne Anleihen im Wert von 68,1 Milliarden US-Dollar ausgegeben, übertroffen nur von den USA mit 81,9 Milliarden. Gleichzeitig produziert China pro Jahr 33 Millionen Wasserstoff. 80 Prozent davon werden aus Kohle und Erdgas gewonnen, der Rest ist ein Nebenprodukt der industriellen Produktion. Diese Mischung aus blauem und grauem Wasserstoff ist in der Herstellung zwar kostengünstig, aber die am wenigsten ESG-freundlich. Zudem zeigt ein Bericht von Global Energy Monitor und dem finnischen Centre for Research on Energy and Clean Air, dass China im Jahr 2021 mit dem Bau von Kohlekraftwerken mit einer Erzeugungskapazität von 33 Gigawatt beginnt. Dem Bericht zufolge sind Kohlekraft und Stahl "Chinas zwei größte Kohlendioxid-Emittenten, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Investitionen in kohlebasierte Kapazitäten trotz der Kohlenstoffneutralitätsziele des Landes zurückgefahren werden."

"Euromoney"-Autor Elliott Wilson fasst das Problem treffend zusammen:

Es ist eine deutliche Erinnerung daran, dass China ein Land mit zwei ESG-Gesichtern ist. Das eine, sauber und grün, ermutigt die Verbraucher, nachhaltiger zu leben, und macht große, kühne Versprechungen, um die Welt zu beeindrucken. Das andere, rußverschmiert, baut still und leise hunderte von neuen Kohlekraftwerken, die dazu verdammt sind, zu Stranded Assets zu werden.

Diese Ausgabe stammt von:

Lilian Fiala und Imke Reiher

Lilian Fiala und Imke Reiher

Wir sind Redakteurinnen in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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