ESG report #30: Zeichen setzen I Russland-Boykott I Selbstüberschätzung

Liebe Leserinnen und Leser,

wir haben am Mittwoch ein Zeichen gesetzt. Entsprechend unserer Expertise haben wir eine Benefiz-Lesung aufgezeichnet, die wir in Kürze veröffentlichen – mit solidarischen Gedanken und Gedichten. Nun ist es nicht in jeder Branche so einfach und klar, sich solidarisch zu zeigen.

Auch Sie fragen sich vielleicht, wie Sie ein solches Zeichen in Ihrer Arbeit unterbringen können. Darauf wollen wir in dieser Ausgabe gemeinsam mit Sascha Görlitz vom Forum Nachhaltige Geldanlage eine Antwort geben. Er sagt: "Die Rolle von Finanzberaterinnen und -beratern wird politischer." Im Letzten Schluck erfahren Sie außerdem, warum aktuelle Studien ein bisschen zu rosig in die Zukunft von ESG-Fonds blicken.

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Thema der Woche

Die richtige Seite in einem falschen Krieg

Ebay, Amazon, Apple, Netflix – die Liste der Unternehmen, die sich zuletzt aus Russland zurückgezogen haben, ist lang. Selbst Playmobil verkauft sein Spielzeug dort nicht mehr. Hinter dem Rückzug steht die Frage nach der Verantwortung eines einzelnen: Welche Rolle spiele ich in diesem Krieg? Mache ich mich zum Komplizen, wenn ich Geschäfte in und mit Russland tätige? Wie können Unternehmen, aber auch Investoren und Finanzberaterinnen ein Zeichen setzen?

Dieses "Zeichen" ist ein Akt, der von vielen in der Finanzbranche aktuell erwartet wird. Vergangene Woche bezog das European Sustainable Investment Forum (EUROSIF), der Dachverband des Forums Nachhaltige Geldanlage (FNG), Position zum Krieg in der Ukraine und forderte Akteure aus dem ESG-Bereich zum Handeln auf. In einer Presseerklärung heißt es:

Obwohl wir bescheiden anerkennen, dass die Rolle verantwortungsvoller und nachhaltiger Investoren bei den sich entwickelnden Ereignissen möglicherweise begrenzt ist, ermutigen wir alle verantwortungsbewussten Investoren nachdrücklich, ihre Anlageorientierungen zu klären, um die direkte oder indirekte Finanzierung der Aggression nicht zu unterstützen.

Klar, von ESG-Investoren wird eine sozial-ethische Einstellung bei ihren Investments erwartet. Ein Zusammenschluss verschiedener Banken – darunter die Triodos und die Umweltbank – geht noch einen Schritt weiter und fordert „alle Akteure des Finanzmarktes auf, Verantwortung zu übernehmen und ein Zeichen zu setzen.“ Alle Wirtschaftsteilnehmer sollen jetzt ihre Geschäftsbeziehungen hinterfragen und genau prüfen, was noch vertretbar ist.

Ein Zeichen zu setzen ist in vielen Bereichen einfach: Wer ein Yogastudio hat, gibt eine Spendenstunde und überweist die Kollekte an eine Hilfsorganisation. Wer musiziert, schreibt einen Song. In der Finanzwelt ist das etwas komplizierter. Was Finanzberaterinnen und -vermittler nun tun können, haben wir den Geschäftsführer des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG), Sascha Görlitz, gefragt. Im Interview spricht er über die Erwartungen, die FNG an ESG-Vermittler und -Investorinnen in der jetzigen Lage hat.

Sascha Görlitz (c) FNG

Herr Görlitz, was erwarten Sie derzeit von ESG-Investorinnen und -Investoren?

Sascha Görlitz: Unsere Forderung richtet sich vor allem an institutionelle Investoren. Wir fordern diese auf, ihre Investmentstrategien zu überprüfen, um grundsätzlich eine direkte oder indirekte Finanzierung der russischen Aggression sowie von Waffen und Rüstungsgütern zu vermeiden. Aber auch Privatanlegerinnen und Finanzberater können dazu beitragen.

Wie konkret?

Konkrete Erwartungen haben wir keine. Wir vertreten aber die Meinung, dass alle einen entsprechenden Beitrag leisten können. Entscheidend ist für Vermittler, mit der Kundschaft über Nachhaltigkeit sowie ökologische, soziale und Governance-Kriterien bei der Geldanlage ins Gespräch zu kommen. In diesem Jahr soll die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen in der Anlageberatung verpflichtend werden. Nachhaltige Geldanlagen sind im Mainstream angekommen und damit auch in der Politik. Die Rolle von Finanzberaterinnen und -beratern wird daher zunehmend politischer.

Sie sollten also von russischen Assets abraten?

Auch vor dem Angriff waren russische Staatsanleihen sowie staatliche und staatsnahe Unternehmen für nachhaltige Investoren eigentlich nicht investierbar und Waffen und Rüstung zählen zu den Top Ten der Ausschlusskriterien in Deutschland. Darüber hinaus lohnt sich hier auch noch eine Überprüfung des Nachhaltigkeitsansatzes, um auch eine direkte oder indirekte Finanzierung zu vermeiden.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

Der Krieg in der Ukraine bremst Pläne zur nachhaltigen Landwirtschaft aus

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Die Lebensmittelversorgung in der Welt könnte bald knapp werden, da Russland und die Ukraine rund 30 Prozent der weltweiten Weizenexporte vereinen. Die EU will daher nun brachliegende Ackerflächen wieder zur Bewirtschaftung nutzen – und den geplanten Rückbau zum Kilmaschutz verschieben, vorerst um ein Jahr.

KI meets ESG: So nutzt Indien künstliche Intelligenz zur Planung nachhaltiger Projekte

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KI und maschinelles Lernen können helfen, ESG-Projekte umzusetzen. Hier gibt's ein paar Beispiele für den Einsatz moderner Technik zum Wohle der ökologischen Nachhaltigkeit.

Klimaschutz meets Payback: Das Digitalministerium träumt von CO2-Apps

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Stefan Schnorr (FDP), Staatssekretär im Bundesministerium für Digitalisierung und Verkehr, träumt von einer App, die anzeigt, wer sich wie fortbewegt – und dabei wie viel CO2 verbraucht. Seine Idee dazu: Wer Verkehrsmittel mit einem geringeren Fußabdruck nutze, könnte Punkte sammeln und beispielsweise dafür eine Freifahrt mit der Bahn erhalten.

Ein letzter Schluck

Passiv Öko, oder was?

Die Mehrheit der ETFs in Europa wird in den kommenden Jahre eine ESG-Ausrichtung haben. Davon ist jedenfalls die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC überzeugt, die in einer neuen Studie den "nächsten großen Schritt" fürs passive Investment prognostiziert: Laut einer Umfrage unter 60 weltweiten ETF-Anbietern möchten die Unternehmen mit ihren Produktpaletten in den kommenden Jahren sowohl auf regulatorischen Druck reagieren als auch auf die Nachfrage der Investorinnen. 45 Prozent der Befragten wollen daher über die Hälfte ihrer neuen Produkte bereits in diesem Jahr mit einem ESG-Fokus versehen:

"Mit Blick auf die Zukunft könnten ESG-Anforderungen auch die Entwicklung aktiver und thematischer ETFs vorantreiben, die nicht an traditionelle, nach Marktkapitalisierung gewichtete Indizes gebunden sind."

Produktinnovationen sind ja immer schön, Prognosen für eine grüne Zukunft auch – und wenn beides zusammenpasst, warum nicht? Der einzige Schönheitsfehler an der Studie: Auch PwC muss zugeben, dass bei aller Mainstreamisierung des Themas bis heute keine richtigen Regeln dafür existieren, um grün und grau wirklich trennscharf zu unterschieden. So ordnete der österreichische PwC-Partner Thomas Steinbauer in einer begleitenden Pressemitteilung die Perspektive denn auch überraschend offen als das ein, was sie wohl vor allem ist: eine Wunschvorstellung:

„Das Fehlen eines vereinbarten, kohärenten und verbindlichen Rahmens für die Offenlegung, der mit den Rechnungslegungsstandards vergleichbar ist, hat hier zu Unsicherheit geführt. Emittenten stehen auch vor der Herausforderung, verlässliche und konsistente Daten zu beziehen, und treffen auf Unsicherheiten in Bezug auf ESG-Ratings und Scoring.“

Heißt: Nichts Genaues weiß man nicht. Solange aber niemand richtig hinschaut und schon gar niemand einen Fonds mit den drei Trend-Buchstaben mit harten Fakten zur reinen Luftnummer erklären kann, ist es nun wahrlich kein Wunder, dass in solche Studien das von der Branche formulierte Interesse wächst. Das wäre dann wohl klassischer Fall von Over-Confidence.

Diese Ausgabe stammt von:

Marilena Piesker & Olaf Wittrock

Marilena Piesker & Olaf Wittrock

Wir sind Redakteurin und Redakteur in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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