ESG report #3: ESG konzentriert sich zu sehr auf Gefahrenabwehr
Liebe Leserinnen und Leser,
viele Asset Manager haben die vergangene Woche mit einer besonderen Form der Due Diligence verbracht: Nämlich mit der sorgfältigen Überprüfung ihrer eigenen Nachhaltigkeitsstrategie. Der Elefant im Raum heißt Greenwashing. Schönfärberei. Warum das Thema auf einmal alle so nervös macht? Nun: Die US-Börsenaufsicht SEC und ihr deutsches Pendant Bafin sollen nach Medienberichten aus der vorigen Woche Ermittlungen gegen die Deutsche-Bank-Tochter DWS aufgenommen haben.
Es geht darum, ob sich die Fondsgesellschaft in der Nachhaltigkeitsberichterstattung an gesetzliche Vorgaben gehalten oder ihren Investoren falsche Versprechungen gemacht hat. Der Kurs der DWS-Aktie krachte um 14 Prozent ein. Und so entpuppt sich das Trend-Vertriebsthema ESG auf einmal als veritables Reputations- und Anlage-Risiko.
Die Verunsicherung in der Branche ist jedenfalls groß, das klingt in Gesprächen mit Fondsanbietern dieser Tage immer wieder an. Denn wer hat schon eine weiße Weste? Die Antwort auf diese Frage ist kompliziert, wenn nicht gar unmöglich. So sehr ESG auch in Mode gekommen ist, bisher fehlen eindeutige, einheitliche und messbare Standards für den Reinheitsgrad. Und so wäscht jeder mit seinen eigenen Mitteln – ob man die Wäsche für sauber genug befindet, das ist und bleibt ein Stück weit Ansichtssache.
Genau das könnte sich künftig ändern. Das ist die eigentliche, man möchte fast sagen nachhaltige Botschaft der Causa DWS.
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ESG konzentriert sich zu sehr auf Gefahrenabwehr
Hat die DWS Angaben zu Anlageprodukten geschönt, um sie als ESG-Investments zu verkaufen? Diese Frage beschäftigt nach Medienberichten seit einigen Tagen die US-amerikanische und die deutsche Börsenaufsicht. Hintergrund der Ermittlungen dürften unter anderem öffentlich gewordene interne E-Mails sowie explizite Vorwürfe der ehemaligen DWS-Nachhaltigkeitschefin Desiree Fixler sein. Fixler wirft ihrem Ex-Arbeitgeber unter anderem Ambitionslosigkeit, lückenhafte und fragmentarische ESG-Regelwerke und Intransparenz vor. Im Interview mit dem Nachrichtensender n-tv nannte sie das Ganze sogar einen Betrug.
Die DWS hat in einer Erklärung die Anschuldigungen inzwischen „entschieden“ zurückgewiesen. Sie schreibt dort aber auch:
Wir sind bestrebt, dem Markt, unseren Kunden und Stakeholdern stets transparent zu zeigen, dass der Weg in eine nachhaltige Zukunft lang und herausfordernd ist; für die gesamte Branche und auch für die DWS.
Und: Sie verweist darauf, dass sie sich an die Offenlegungsverordnung der EU halte, im Englischen Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR). Hinter diesem Wortungetüm steckt mehr als bloß ein weiteres Stück Bürokratie für den Finanzvertrieb. Im Kern verpflichtet das erst im März in Kraft getretene Regelwerk die gesamte Branche dazu, Anleger darüber aufzuklären, dass ein Verzicht auf Nachhaltigkeit in Nachteiligkeit enden kann.
Comply or explain nennen die Angelsachsen dieses Prinzip der Regulierung: Befolge die Regeln des nachhaltigen Investierens – oder erkläre, was passieren kann, falls du es nicht tun willst oder kannst. Vermögensverwalter müssen also detailliert und in möglichst harten Zahlen darlegen, wie sie bei der Kapitalanlage wesentliche nachteilige Auswirkungen berücksichtigen – und bei ESG-konformen Anlagen ausschließen. Der Indikatoren-Katalog der EU ist lang, grün und gründlich. Er wirkt durchaus: So hat die Global Sustainable Investment Alliance zuletzt zwei Billionen US-Dollar aus dem europäischen Markt für nachhaltige Investments streichen müssen, schlicht weil diese an den neuen Anti-Greenwashing-Regeln der SFDR scheitern.
Die Branche steckt mit dem neuerlichen EU-Regulierungsschub in einer kritischen Phase. Denn nicht nur der Gesetzgeber konzentriert sich beim Thema ESG vor allem auf Gefahrenabwehr, also auf Nachhaltigkeitsrisiken und die wesentlichen nachteiligen Auswirkungen, die entstehen, wenn man nicht nachhaltig handelt. Auch die Industrie wird nach wie vor beherrscht von dem Gedanken, bei ESG gehe es vor allem darum, umweltschädliche Branchen, Kinderarbeit und andere zweifelhafte Geschäftspraktiken zu meiden.

„Es gibt sehr sanfte Ansätze, die lediglich Ausschlusskriterien verwenden, um ein gewisses ESG-Risiko zu mindern und moderate Ansätze, die den besten ESG-Performern innerhalb jedes Sektors Priorität einräumen“, so beschreibt Christian Roessing, Manager nachhaltiger Themenfonds beim Schweizer Vermögensverwalter Pictet, den Status quo: „Aber dann investiert man immer noch in Öl- und Gasunternehmen oder andere Unternehmen mit nicht überzeugenden ESG-Profilen."
Selbst unter den Fondsmanagern, die für sich in Anspruch nehmen, einen Unterschied zu machen und echten „Impact“ zu erzielen, bleibt die Beschreibung des positiven Beitrags häufig schwammig – und das Angebot eine Nische. Hier wird die Branche nacharbeiten müssen. Denn ESG ist ein „moving target“, wie der langjährige Morningstar-Analyst Ali Masarwah, inzwischen Chefredakteur und Partner bei der Fondsplattform envestor.de, auf Twitter so treffend kommentierte:
Schließlich müssen nach der EU-Offenlegungsverordnung in naher Zukunft auch die Anlageberater ran: Ab Mitte kommenden Jahres müssen sie im Beratungsgespräch stets Präferenzen ihrer Kunden zu ökologischen Fragen, sozialen Aspekten und guter Unternehmensführung abfragen. Die aber werden sich kaum zufriedengeben, wenn einfach die zehn Prozent der größten Dreckschleudern aus dem Depot fliegen. Dafür braucht die Industrie eine Antwort, die mehr leistet als nur regulative Gefahrenabwehr.

Ausschlüsse sind das Mittel der Wahl

Gemeinsam brachten es alle nachhaltigen Fonds und Mandate in Deutschland im vergangenen Jahr auf ein verwaltetes Vermögen in Höhe von 248 Milliarden Euro. Unsere Grafik, die auf Zahlen des Forums Nachhaltige Geldanlagen fußt, veranschaulicht, welch Anlagestrategien das Management dabei am häufigsten wählt. 93 Prozent nutzen Ausschlusskriterien, bei 92 Prozent erfolgt zudem ein normbasiertes Screening, also die Überprüfung, ob Standards eingehalten werden. Eine systematische ESG-Integration findet bei 81 Prozent der Fonds statt. Zu den häufigsten Gründen, warum ein Investment ausgeschlossen wird, zählen Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Bestechung sowie Zugehörigkeit zur Kohleindustrie.
Auch wenn Ausschlüsse nach wie vor das Mittel der Wahl sind, um einen Fonds als nachhaltig zu titulieren, liegt die Wachstumsrate dieser Strategie mit 27 Prozent hinter dem Gesamtwachstum aller nachhaltigen Fonds von 35 Prozent. Dahingegen verzeichnen Impact Investments, also Investitionen mit einem klar messbaren ESG-Anlageziel, und die Ausübung von Stimmrechten bei Aktionärsversammlungen einen deutlich positiveren Trend.

Neuer Klimabonds-Fonds
BayernInvest ESG Corporate Bond Klimaschutz
- Unternehmen: BayernInvest
- Gattung: Anleihefonds
- ISIN: DE000A2QMJ33
- Fondsvolumen: 33,30 Mio. EUR
- Laufende Kosten: 1,00 % p.a.
- Ausgabeaufschlag: 3,50 %
- Performance Fee: -
Was macht den Fonds zum ESG-Investment?
Fondsmanager Thomas Ahner orientiert sich bei seiner Arbeit an den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens. Er schließt sämtliche Emittenten aus, die ihren Umsatz wesentlich mit der Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen erzielen. Die CO2-Schleudern der übrig gebliebenen Branchen werden untergewichtet. Damit startet das Anleiheportfolio mit einer CO2-Intensität, die zumindest 50 Prozent unter seiner Benchmark, dem iBoxx Euro Corporate Bond Index, liegt. Das Ziel: Bis 2050 die Netto-Null erreichen.
Was man sonst noch wissen muss?
Ganz so pauschal ist der Ausschluss dann doch nicht. Der Fonds möchte willige Investment-Grade-Unternehmen bei der Transformation unterstützen und inkludiert deshalb Sustainability-Linked sowie Green Bonds. Es können also durchaus Positionen im Öl- und Gassektor auftauchen – ambitionierte Einsparungsziele und Kuponsteigerungen bei Zielverfehlung vorausgesetzt. Außerdem wird der aktive Publikumsfonds in zwei Anlageklassen aufgelegt: Retail (DE000A2QMJ33) und Institutionell (DE000A2QMJ25).

Was uns diese Woche noch auffiel

1.) Gefährliche ESG-Industrie?
Mehr Finanzprodukte gegen die steigende Erderwärmung? Klingt irgendwie nach „Mehr Waffen gegen Waffengewalt“, schrieb ein BlackRock-Dissident in einem viel beachteten Essay. Nun antwortet der FT-Journalist Robert Armstrong mit einem zustimmenden Anti-ESG-Kommentar: Wenn es um den Klimawandel geht, seien first and foremost Bürger und Regierungen gefragt – nicht die Finanzindustrie. Ob das die DWS hören möchte?

2.) Europas Banken schlafen bei ESG
Zu lasche Vorschriften, kein einheitliches Verständnis: So lautet das enttäuschende Ergebnis einer von der EU in Auftrag gegebenen ESG-Studie der US-Finanzberater FMA. Primär fehle es Behörden sowie Geldhäusern an einer gemeinsamen ESG-Definition. Maßstäbe würden zu langsam umgesetzt. Die Kommission will jetzt nachbessern. Worüber wir beim Lesen schmunzeln mussten: FMA ist eine Tochterfirma von BlackRock.

3.) Ökologisch, wenn auch nicht formal
361 Milliarden Euro. So viel wurde zu Jahresmitte in nachhaltigen Fonds verwaltet. Was auf den ersten Blick zuversichtlich stimmt, relativiert sich schnell angesichts der vier Billionen Euro, die insgesamt in deutschen Fonds stecken. Ein Grund für die miese Statistik: Fondsgesellschaften klassifizieren ihre Spezialfonds nicht immer formal als nachhaltig, da sie Anlagestrategien individuell ausgestalten. Es fehlen die Anreize, sagt der Fondsverband.

Kopf hoch!
Blassgrüne DWS-Anlagen, Ölproduzenten in Nachhaltigkeitsfonds, fehlende Standards. Am Ende der Kaffeepause der Gedanke: ESG – weder Fisch noch Fleisch. Doch ganz so ist es natürlich nicht. Es gibt sie, die ökologisch und sozial verantwortungsvollen Investments. Die Frage ist nur, wie wir sie finden – und wie wir nur scheinbar saubere Produkte ausschließen können.
Eine erste Orientierung bietet sicherlich die EU-Offenlegungsverordnung SFDR. Darin werden formale Kriterien festgelegt, wann sich ein Fonds nachhaltig nennen darf. Unterschieden wird zwischen Fonds mit einzelnen ESG-Merkmalen (Artikel 8) und solchen, die bewusst ein nachhaltiges Investmentziel verfolgen (Artikel 9). Beachten Sie dabei, dass sich die Fondsgesellschaften selbst bewerten. Die behördliche Kontrolle folgt erst im Nachhinein.
Es liegt also primär an uns selbst, nicht blind den Bio-Gütesiegeln zu vertrauen, sondern einen genauen Blick ins Innere der Verpackung zu werfen. Die aktuellen Turbulenzen zeigen, dass sich da was tut am ESG-Markt. Es besteht die keineswegs naive Hoffnung, dass wir schon bald mit strengeren Vorgaben und einheitlichen Standards rechnen dürfen.
Autoren dieser Ausgabe:

Udo Trichtl + Olaf Wittrock
Wir sind Redakteure in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.