ESG report #29: RePUTINationsrisiken | Over-Compliance | Top-Fonds

Liebe Leserinnen und Leser,

der Krieg in er Ukraine macht fassungslos. Aber er macht nicht handlungsunfähig. Das beweisen dieser Tage die Staatenlenker der freien Welt, die die Bombardements mit den härtesten Wirtschaftssanktionen kontern, die es bisher gegen einen Staat gegeben hat. Aber nicht nur sie, sondern auch viele Unternehmen aus dem Westen machen mit, und zwar aus eigenen Stücken. McDonald's, Coca Cola, Starbucks und PepsiCo sagen нет und stoppten der Verkauf. Apple, Volkswagen, Samsung und Netflix sind raus, selbst die FIFA hat der russischen Nationalmannschaft die Freundschaft gekündigt.

Was ist davon zu halten? Muss jetzt ausgerechnet das russische Volk ausbaden, was sein Diktator angerichtet hat? Handeln die Konzerne in aufrechter Mission? Oder spricht es gar für deren Doppelmoral, ausgerechnet jetzt an Russland ein Exempel zu statuieren, wo sie doch auch in vielen anderen überaus fragwürdigen Regimen tätig sind?

Ob man es nun moralisch aufwertet oder nüchtern als Mittel der Unternehmen betrachtet, ein veritables RePUTINationsrisiko zu senken: So oder so erleben wir im Ergebnis gerade eine Sternstunde des G in ESG. Der Rückzug aus dem Geschäft in einem Land, das gerade einen Angriffskrieg führt, sollte Nachhaltigkeitsinvestoren in ihrem Tun bestärken. Denn womöglich ist das erst der Anfang.

Ihre ESG-Redaktion

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Over-Compliance mit ganz großen G: Wieso Konzerne Russland den Rücken kehren

Zucker, Mehl, Milch und Käse, Smartphones, Autos, Klamotten und Kaffee – in Russland an Waren aus dem Westen zu kommen, ist in diesen Tagen eine Herausforderung. Denn gleich dutzendweise habe Unternehmen aus Europa und den USA dem Land den Rücken gekehrt. Die Botschaft ist klar: Solange Russland Krieg gegen die Ukraine führt, bleiben die Läden geschlossen und die Lieferungen aus. Bei Volkswagen begründete man den Schritt in der offiziellen Pressemitteilung zunächst mit nüchterner Risikoanalyse:

Mit der weitgehenden Unterbrechung der Geschäftstätigkeit zieht der Konzernvorstand die Konsequenzen aus der von starker Unsicherheit und den aktuellen Verwerfungen geprägten Gesamtsituation.

Deutlicher wurden VW-Einkaufschef Murat Aksel, Personalvorstand Gunnar Kilian und Betriebsratschefin Daniela Cavallo in einem gemeinsamen Brief an die Beschäftigten:

Nach dem russischen Angriff hofft Volkswagen auf eine schnelle Einstellung der Kampfhandlungen und eine Rückkehr zur Diplomatie.

Der Satz steht exemplarisch für viele ähnliche Äußerungen aus der Wirtschaft in den vergangenen Wochen – und die Botschaft ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert:

  1. Der Konzern verknüpft seinen wirtschaftlichen Rückzug mit einem politischen Statement.
  2. Wenn das Management Hoffnung auf diplomatische Lösungen äußert, will es dann mit dem Boykott diese Hoffnung nähren?
  3. Volkswagen verzichtet wie viele andere freiwillig auf einen Absatzmarkt. Und das in einer Phase, in der das Geschäft wegen des Kriegs und fehlender Teile aus der Ukraine ohnehin schon massiv unter Druck gerät.

Es ist also ein deutliches Zeichen dafür, dass Wirtschaft weiter in die Sphäre der Politik eindringt. Verstöße gegen Menschenrechte und die Beteiligung an oder Unterstützung von Kriegshandlungen stehen bei vielen Nachhaltigkeitsinvestments seit ehedem auf dem Index. Aber dass nun so viele Unternehmen ein derart hohes Reputationsrisiko darin erkennen, sich in einem Absatzmarkt zu bewegen, dessen Konsumenten in überwiegender Zahl sicher keine Kriegstreiber sind – das hat schon eine neue Qualität.

Die Sanktionsforscherin Cornelia Fehl vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) hat das jüngst in einem Gespräch mit Business Insider prägnant als neuen Trend zur „Over-Compliance“ beschrieben. Die Unternehmen, sagt sie, fürchten sich so sehr vor Strafen gegen den Bruch von Sanktionen, dass sie lieber gleich freiwillig auf Geschäft verzichten. Zudem geht es aber offenbar auch darum, Reputationsschaden abzuwenden. Denn die Kunden im Westen, so die Vermutung, schätzen es nicht, wenn die Unternehmen noch in Russland tätig bleiben. Diesen Schaden bewertet man offenbar höher als den Verzicht aufs dortige Geschäft.

Tatsächlich ist der Druck, sich aus Russland zu verabschieden, gerade in den USA besonders hoch. Das zeigt eine Liste, die dort inzwischen überaus populär geworden ist, und die nicht aus der Politik stammt, sondern aus dem Kreis der Elite-Wissenschaftler des Landes. Unter dem Titel:

400 Companies Have Withdrawn from Russia—But Some Remain

führt die Yale School of Management akkurat Buch darüber, welche Konzerne Putins Reich verlassen haben – und welche noch immer dort aktiv sind. Die Liste habe "dazu beigetragen, den massenhaften Exodus von Unternehmen aus Russland zu katalysieren", schreiben die Macher nicht ohne Stolz, entstanden sei daraus ein kraftvolle Bewegung von historischem Ausmaß.

Wir halten fest: Der moralische Druck auf die Wirtschaft wächst. Und das G in ESG wird gerade ganz schön groß geschrieben.

Grafik der Woche

PwC-Studie: Globales ETF-Vermögen wird sich in fünf Jahren mehr als verdoppeln

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC hat 60 führende Vermögensverwalter zu deren ETF-Prognosen befragt. Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Executives ist überzeugt, dass das weltweit verwaltete ETF-Vermögen (AuM) bis zum Jahr 2026 mindestens 18 Mrd. USD erreichen wird. Das würde einer jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 14,6 Prozent zwischen 2021 und 2026 entsprechen.

PwC selbst rechnet mit einem noch schwindelerregenderen Höhenflug: Angesichts der jährlichen Wachstumsrate von 22 Prozent in den vergangenen fünf Jahren kommt PwC zum Schluss, dass es bis 2026 sogar mehr als 20 Mrd. USD sein könnten. Damit würden sich die heutigen ETF-AuM mehr als verdoppeln.

Besonders erfreulich: Laut der Studie wird die Mehrheit der ETFs, die 2022 in Europa aufgelegt werden, einen ökologischen, sozialen oder Governance-Ansatz haben. 80 Prozent der in Europa befragten ETF-Anbieter gaben an, dass sie mehr als die Hälfte ihrer Produkte mit einem ESG-Ansatz investieren werden.

Fonds der Woche

Der klimafreundlichste EU-Aktienfonds?

AGIF - Allianz Euroland Equity SRI

  • Unternehmen: Allianz Global Investors
  • Gattung: Aktienfonds
  • Auflagedatum: 26.10.2010
  • ISIN: LU0542502157
  • Fondsvolumen: 208,67 Millionen Euro
  • Gesamte laufende Kosten: 1,87 %
  • Ausgabeaufschlag: 5,00 %

Was macht den Fonds zum Klima-Investment?

Climetrics, das Fonds-Klimarating der gemeinnützigen Organisation Carbon Disclosure Project (CDP), hat die weltweit 20 klimafreundlichsten Fonds ausgezeichnet. Dabei haben die Klimaexpertinnen insgesamt 18.000 Aktienfonds mit einem verwalteten Vermögen von zusammen 15 Billionen Euro unter ihre grüne Lupe genommen. Bewertet wurden dabei einzig und allein ökologische Kriterien, das E in ESG.

Auf Platz eins in der Kategorie Aktienfonds Europa schaffte es der Euroland Equity SRI von Allianz Global Investors. Managerin Christine CletMessadi investiert in All Caps der Eurozone mit besonders gutem SRI-Rating, sprich sozial verantwortliche Anlagen. Das verwundert uns allerdings ein klein wenig, findet sich doch mit Diageo ein britischer Alkoholproduzent unter den Top-Portfolio-Positionen. Vielleicht werden Smirnoff, Johnnie Walker und Captain Morgan tatsächlich umweltschonend hergestellt und finden deshalb ihren gerechten Platz im Öko-Ranking. Die vonseiten der Allianz proklamierte soziale Verantwortung sei allerdings mal dahingestellt.

Was macht den Fonds noch interessant?

Der Allianz-Fonds schafft nicht nur Bestnoten im Klimazeugnis von Climetrics. Das Portfolio kommt auch im Morningstar Sustainability Rating auf vier der begehrten fünf Globen. Darüber hinaus handelt es sich hier um einen ESG-Fonds nach Artikel 8 SFDR. Wer also auf der Suche nach einem tiefgrünen Investment ist und das soziale Verantwortungsbewusstsein von Alkoholherstellern nicht infrage stellt, kann guten Gewissens zugreifen.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

Wie der Ukraine-Krieg die ESG-Landschaft verändert

Wie der Ukraine-Krieg die ESG-Landschaft verändert

Passend zu unserem heutigen Leitgedanken ein spannender Gastbeitrag in der "Schweizer Handelszeitun"g: ESG-Spezialistin Maria Drew, vormals Goldman Sachs, analysiert, wie Russlands Angriffskrieg zu einer Beschleunigung der Energiewende beitragen könnte. Dafür müsse man das "Energie-Trilemma" lösen: Versorgungssicherheit, Kosten und Umweltauswirkungen.

Podcast-Tipp: Nachhaltiges Investieren

Podcast-Tipp: Nachhaltiges Investieren

„Nachhaltiges Investieren“ ist ein alle 14 Tage erscheinender Podcast der "Börsen-Zeitung". Darin diskutieren Investoren, Regulierer und fondsnahe Dienstleister Themen rund um ESG-Investments. Episode 11 wirft einen Blick auf den Kampf David versus Goliath: Neben den großen und allbekannten ESG-Indizes von MSCI oder Dow Jones existieren auch kleinere wie der ÖkoDax mit nur acht oder neun Titeln. Wie setzen sich die Zwerge von den Marktführern ab? Und birgt das eingeschränkte Anlageuniversum Risiken für Anlegerinnen?

Macht die ESG-Abfragepflicht Finanzprodukte nachhaltiger?

Macht die ESG-Abfragepflicht Finanzprodukte nachhaltiger?

Führt die verpflichtende Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen auch zu einem Wandel bei Finanzprodukten? Darüber diskutieren bei "Procontra" Norman Wirth, Vorstandsmitglied des Vermittlerverbandes AfW, und Alfred Platow, Gründer von Ökoworld. Wirth sieht die Sache positiv: Die neuen Beraterpflichten werden zu mehr Aufklärung und in weiterer Folge einer höheren ESG-Nachfrage führen. Platow ist sich da nicht ganz so sicher.

Ein letzter Schluck

Wahnsinnig heuchlerisch

Elon Musk sorgt mit seinen Twitter-Tiraden immer wieder für Aufsehen – und mitunter für Verwirrung. Gut und gerne 30 Kurznachrichten haut der Chef von Tesla und SpaceX an einem Tag raus und lässt dabei seinem Ärger freien Lauf. Jüngste Zielscheibe: ESG.

„Die ESG-Regeln wurden bis zum Wahnsinn verdreht", twitterte Musk vergangene Woche. Seine einerseits berechtigte Kritik traf eine Diskussion rund um Waffenhersteller und ESG-Indizes. Aus einem Marktkommentar von Citigroup-Analysten geht hervor, dass diese künftig wohl auch Rüstungsunternehmen als ESG-konform deklarieren wollen. Schließlich zeige Russlands Angriffskrieg, dass Waffen in den richtigen Händen vor allem auch eines seien: Instrumente für Frieden und Stabilität. Was wir in Ausgabe 25 des ESG report noch als schlechten Scherz abgetan haben, eine laut EU-Taxonomie nachhaltige Rüstungsindustrie, wird nun tatsächlich aktiv beworben.

Musk legte – weniger differenziert – ein paar Stunden später nochmal nach: Das ganze ESG-System solle besser abgeschafft werden, wenn es sich nicht reparieren lasse. Dieser bockige Tweet fällt nicht unbedingt in die Kategorie "berechtigte Kritik". Denn hier geht es womöglich weniger ums Weltverbessern, sondern um etwas anderes: Teslas ESG-Rating ist ganz schön grottig. Zwar wurde der Elektroauto-Pionier im vergangenen Jahr in die ESG-Auswahl von S&P 500 aufgenommen. Doch das geschah nicht aufgrund Teslas ESG-Score, sondern viel mehr trotz dessen.

Wie S&P Global bekannt gab, kommt Tesla mit 22 von 100 möglichen Punkten auf den mit Abstand schlechtesten Score unter den fünf börsennotierten US-Autobauern. Zum Vergleich: GM schafft 95, Ford immerhin 36 Punkte. Um allerdings die Marktkapitalisierung des Mutterindexes zumindest annähernd abbilden zu können, musste Tesla mit seinem alles überragenden Börsenwert schlichtweg aufgenommen werden, so die Begründung.

Autoren dieser Ausgabe:

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Wir sind Redakteure in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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