ESG report #28: Aufrüsten wieder salonfähig I Verantwortung der Banken
Liebe Leserinnen und Leser,
vor wenigen Wochen haben wir hier über den Versuch der Rüstungslobby berichtet, Waffen in der EU-Taxonomie als nachhaltige Geldanlage einzustufen. Damals klang dieses Ansinnen noch wie ein schlechter Scherz. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine hat sich die Welt allerdings um 180 Grad gedreht .
Die Bundesregierung investiert 100 Milliarden in die Bundeswehr. Und Kriegsaktien sind plötzlich wieder en vogue. Was das mit ESG-Anlagen macht, dem widmen wir uns in der heutigen Ausgabe.
Atom- und Erdgasenergie stehen nachhaltig orientierte Anleger jedenfalls weiterhin kritisch gegenüber, wie unsere Zahl der Woche zeigt – Taxonomie-Debatten und Kriegsfolgen hin oder her. Im letzten Schluck erfahren Sie, wie Banken aus dem Angriffskrieg auf die Ukraine Kapital schlagen.
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Einmal aufrüsten, bitte
Die Waffenbranche hat bei grünen Geldanlagen nichts verloren – vor ein paar Wochen wären sich die meisten Anlegerinnen da noch einig gewesen. Doch seit Wladimir Putins Angriffskrieg auf die Ukraine steht die kritische Haltung gegenüber der Rüstungsindustrie auf der Kippe.
Waffen bedeuten immerhin nicht nur Angriff, sondern auch Verteidigung – und die hat aus Sicht der Bundesbürger offenbar an Relevanz gewonnen . Laut Umfragen befürworten drei Viertel der Deutschen das Vorhaben von Bundeskanzler Olaf Scholz, 100 Milliarden Euro in die Aufrüstung der Bundeswehr zu investieren. Kürzlich hat sich zudem eine Mehrheit für eine Rückkehr zur Wehrpflicht ausgesprochen.
Aufrüsten ist also nicht mehr verpönt. Das zeigen auch die jüngsten Entwicklungen an den Finanzmärkten. So stiegen die Kurse internationaler Rüstungsunternehmen in den vergangenen Tagen rasant. Die Aktie des deutschen Kampfpanzer-Herstellers Rheinmetall legte innerhalb weniger Tage von 90 Euro auf rund 143 Euro zu. Das Wertpapier des Rüstungskonzerns Hensoldt konnte sich seit Kriegsbeginn verdoppeln. Aktien des israelischen Rüstungs-Exporteurs Elbit Systems machten am 25. Februar ebenfalls einen Satz nach oben.
Rendite machen mit Waffen, die Menschen töten: Diese Entwicklung steht im starken Kontrast zum ESG-Trend der vergangenen Jahre. In der Regel schließen ESG-Investoren die Rüstungsindustrie als allererstes aus. Bisher. Den wenn die gesellschaftliche Stimmung kippt, könnten sich auch die Ausschlusskriterien in ESG-Investments ändern. Andernfalls würde der ESG-Anlageboom womöglich auf eine harte realpolitische Probe gestellt. Die zuletzt beschworene Zeitenwende schließt eben auch eine Wende der Moralvorstellungen ein.
Zynischerweise profitieren nachhaltige Anlegerinnen ohnehin jetzt schon vom Krieg. Aktien von Unternehmen aus der Erneuerbare-Energien-Branche stehen derzeit nämlich ebenso Hoch im Kurs. Die Nachfrage nach Windrädern und Solarzellen dürfte nämlich künftig nicht mehr nur aus Umweltgründen steigen, sondern auch aus einem sicherheitspolitischem Kalkül.

62 Prozent
der Deutschen, Schweizer und Österreicher sind der Ansicht, dass als nachhaltig eingestufte Finanzprodukte nicht in Atom- oder Erdgasenergie investieren sollten. Das hat eine Umfrage der Strategieberatung Simon-Kucher & Partners unter mehr als 1.000 Anlegerinnen und Anlegern ergeben. Damit positioniert sich eine überwiegende Mehrheit gegen den jüngsten Entschluss der EU-Kommission, die die beiden Industrien in ihren ESG-Katalog aufnahm. 57 Prozent der deutschen und österreichischen Umfrageteilnehmer sagten, sie würden an der Glaubwürdigkeit ihrer Bank zweifeln, wenn diese in Atomenergie und Erdgas investierte Fonds als nachhaltig ausgäbe.


Wie man ESG-Gegner zähmt
Wirkungslos, alle gleich, Blasengefahr – trotz der wachsenden Beliebtheit von ESG-Finanzprodukten gibt es sie, die Meckerer. Wie man ESG-Skeptikern argumentativ den Wind aus den Segeln nehmen kann, das hat der Investmentstratege Dan Roarty hier zusammengefasst. Es fehlen allerdings Hinweise dazu, wie sich auch jenseits aller rationalen Argumente Unverbesserliche kommunikativ einfangen lassen.

Russische Anteile loswerden
Die wenigsten deutschen Anlegerinnen sind in nennenswerten Maß in Russland investiert. Aber was bedeutet es, wenn ihr EM-Fonds oder Osteuropa-ETF russische Papiere enthält, zum Beispiel Rosneft oder Gazprom? Die Aktien sind wegen der Börsenschließung nicht mehr handelbar. Diese Frage treibt aktuell viele Privatanleger um. Ihnen kann man diese FAZ-Podcast-Folge ans Herz legen, hier werden auch gängige betroffene Fonds genannt.

Aufatmen bei Kryptofans
Das US-Finanzministerium hat am Mittwoch für kurze Zeit eine Nachricht zur Regulierung des Kryptomarktes veröffentlicht, die Befürworterinnen von Bitcoin und Co. aufatmen lässt. Anders als befürchtet, plant die US-Regierung offenbar kein Verbot. Cyberdevisen sollten vielmehr in das Finanzsystem integriert werden. Die Debatte um eine strengere Regulierung läuft in den USA schon länger. Sie zielt vor allem auf Risiken im Zusammenhang mit illegaler Finanzierung ab. Der Bitcoin-Kurs reagierte mit einem Freudensprung und kletterte zwischenzeitlich auf 42.250 US-Dollar.

Banken in der Pflicht
Nach Auto- und Konsumgüterkonzernen sind es nun große Gastroketten, die sich zumindest zeitweise aus dem russischen Markt verabschieden: McDonald’s und Starbucks zum Beispiel schließen vorerst alle Filialen im Land. Ein anderer Sektor fällt gerade negativ auf: die eigentlich so ESG-umtriebige Bankenbranche. Nachdem vor wenigen Tagen Bloomberg berichtete, dass JP Morgan, Goldman Sachs und mehrere Hedgefonds in den vergangenen Tagen des Kriegs Anleihen von Unternehmen kauften, die für ihren Bezug zu Russland abgestraft wurden, ließ der Shitstorm nicht lang auf sich warten. „Große Wall-Street-Banken verpassen nie eine Gelegenheit, um reicher zu werden. Auch wenn es bedeutet, aus Russlands Invasion der Ukraine Kapital zu schlagen und die Sanktionen, die für russische Unternehmen gelten, zu unterminieren“, schimpfte US-Senatorin Elizabeth Warren über die eher zynische Schnäppchenjagd bei Bonds. Kapitalmarktexpertin Mayra Rodriguez Valladares konstatierte in einem bei Forbes erschienenen Beitrag, die Banken, die jetzt in Russland investierten, verspielten ihr Recht darauf, sich in einen "ESG-Mantel zu hüllen". Bankenaufsichtsbehörden und Rating-Agenturen auf der ganzen Welt müssten anfangen, mehr von den Banken zu verlangen, so die Forderung.
ESG-Lippenbekenntnisse sind schon in „normalen Zeiten“ keine Option. Jetzt aber sticht noch einmal mehr heraus, wenn eine Bank wie JP Morgan – erst im vergangenen Jahr von der US-amerikanischen International Financial Review zum „ESG-Finanzhaus des Jahres“ gekürt – versuchen, die US-Sanktionen gegenüber Russland zu umschiffen und ihren Nutzen aus dem Krieg zu schlagen. Anlegerinnen, die nachhaltig investieren möchten, werden genau jetzt ein Auge auf das Verhalten ihrer Bank haben. Und sich beim nächsten Investment vielleicht lieber für ein anderes Haus entscheiden. Der ESG-Mantel erweist sich als Lumpen.
Autorinnen dieser Ausgabe:

Anne Hünninghaus + Mariam Misakian
Wir sind Redakteurinnen in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.