ESG report #26: Vorsicht: ESG-Haftungsfallen I Ein bisschen Gendergaga

Liebe Leserinnen und Leser,

angesichts der Ereignisse in der Ukraine herrscht auch in unserer kölschen Redaktion heute fassungslose Stille statt eines launigen Auftakts der Weiberfastnacht. Es sei ein "dunkler Tag für Europa", twitterte Bundeskanzler Scholz. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Wäre die Weltlage weniger düster, stünden heute (zumindest im Rheinland) die Frauen im Mittelpunkt der üblicherweise wilden Feiern. Frauen im Mittelpunkt? Dass das in der Realität unserer Wirtschaftswelt noch immer deutlich anders aussieht, demonstriert unser Letzter Schluck am Ende des Newsletters.

Zuerst beschäftigen wir uns in dieser Woche aber mit einem anderen Thema: Wie steht es eigentlich um Haftungsfallen für Beraterinnen und Berater im Kontext von ESG? Unkonkrete Vorgaben treffen auf strenge Zeitpläne zur Umsetzung, beliebig wirkende Labels auf wachsende Ansprüche der Kundschaft... das alles klingt nach ziemlich viel Arbeit für die Juristenzunft. Auch wir haben uns Expertise an Bord geholt und die Anwältin Anna-Maja Schaefer befragt. sie gibt Hinweise darauf, was Sie künftig noch ungestraft sagen dürfen.

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Im Fokus

Vorsicht Haftung: Wie gefährlich ist ESG-Fehlberatung?

„Wir haben noch nicht alles unter Dach und Fach“, räumte Verena Ross, neue Chefin der EU-Wertpapieraufsicht ESMA jüngst im Interview mit der "Börsen-Zeitung" ein. Das stimmt, denn auch in puncto Präferenzabfrage klaffen in den Guidelines noch etliche Lücken. Bis zum Sommer müssen konkrete Angaben her, sonst stehen Sie als Beraterinnen und Berater vor großen Fragezeichen. Denn Sie müssen ab dem 2. August bei Ihrer Kundschaft Nachhaltigkeitsvorlieben nicht nur irgendwie abfragen, sondern ihnen dann auch mit passenden Produktempfehlungen nachkommen.

Aktuell ist die Situation so: Überall flirren Zeitpläne herum (eine besonders schöne Übersicht gibt es hier) darüber, was der Finanz- und Versicherungsvertrieb bis wann zu gewährleisten hat. Gleichzeitig sind die Vorgaben der Aufsichten hinreichend schwammig. Zu allem Überfluss schafft nicht nur jede Ratingagentur mit ihren ESG-Bewertungen handverlesene, aber leider nicht vergleichbare Einzelstücke, hin und wieder lösen sich ESG-Labels auch einfach so in Luft auf. So wie in der vergangenen Woche bei gleich 1.200 Fonds in der Bewertung des Analysehauses Morningstar: Eben noch grün, plötzlich grau. Als Begründung gab das Haus an, es sei nach umfassender Überprüfung der Fondsunterlagen erforderlich geworden, die ausgewiesene Zahl der nachhaltigen Fonds anzupassen. Laut Quartalsreport wird in den kommenden Wochen voraussichtlich noch weiteren Fonds das begehrte Label aberkannt.

Viele Vermittlerinnen sehnen sich nach einer klaren Linie – und damit einhergehend nach Rechtssicherheit. Der Finanzvertrieb ist es schließlich gewöhnt, sich an konkrete Vorgaben zu halten. Angesichts der aktuellen Unsicherheiten wabert, wie zuletzt in der Diskussion um die DIN-Norm zur Präferenzabfrage, nun aber verstärkt der verhasste Begriff von der Haftungsfalle durch den Raum. Können Kundinnen gegen ihre Berater vorgehen, wenn die gemäß ihrer Präferenzangaben ein ESG-Produkt vermittelt haben, das sich hinterher als leider doch nicht nachhaltig entpuppt?

Wir haben der Rechtsanwältin Dr. Anna-Maja Schaefer, Counsel bei CMS Deutschland mit Schwerpunkt im Bereich Sustainable Finance, zu diesem brisanten Thema befragt.

Anna-Maja Schaefer (c) Wendy Stephan Photography

Frau Schaefer, ab August müssen Finanzberater ihre Kunden aktiv auf das Thema Nachhaltigkeit ansprechen. Wie spezifisch müssen sie klären, was „Nachhaltigkeit“ für sie bedeutet?

Anna-Maja Schaefer: Wenn ein Kunde die Frage, ob ihm Nachhaltigkeit wichtig ist, bejaht, dann muss der Anlageberater dessen individuellen Präferenzen dazu abfragen.

Das heißt: Er muss fragen, ob der Kunde Produkte einbeziehen will, die

  • einen Mindestanteil ökologisch nachhaltige Inves­titionen im Sinne der Taxonomie-Verordnung enthalten;
  • einen Mindestanteil nachhaltige Investitionen im Sinne der Offenlegungs-Verordnung enthalten;
  • oder die nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigen.

Angaben dazu muss der Berater dann in die Anlageempfehlung integrieren. Beratende dürfen also nur die Produkte empfehlen, die den Präferenzen entsprechen. Im Einzelnen ist allerdings vieles noch offen, nicht zuletzt, weil zur Offenlegungsverordnung und Taxonomie-Verordnung noch weitere Konkretisierungen durch die sogenannten Level-2-Maßnahmen ausstehen. Aktuell läuft zudem noch ein Konsultationsverfahren der ESMA, die ihre Mifid-II-Guidelines zur Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen anpassen will. Darin soll es auch Praxisbeispiele zur Umsetzung der erweiterten Geeignetheitsprüfung geben.

Wenn der Kunde nun beispielsweise Atomkraft komplett ausschließen möchte, später aber herausfindet, dass ihm ein Finanzprodukt vermittelt wurde, das zu einem geringen Prozentsatz Kernenergie enthält – handelt es sich dann um eine Fehlberatung, für die der Berater haftbar gemacht werden kann?

Das ist vom Einzelfall abhängig. Fehlende oder fehlerhafte Nachhaltigkeitsangaben im Prospekt könnten eine Prospekthaftung der Kapitalverwaltungsgesellschaften auslösen. Der Portfolioverwalter oder der Anlageberater könnten Beratungspflichten verletzt haben, wodurch der Kunde ein Produkt in einer Zusammensetzung erworben hat, das er so nicht haben wollte. Da in dem geschilderten Fall typischerweise aber zumindest kein Vermögensschaden erwächst, wäre der Haftungsanspruch auf die Rückgängigmachung des Erwerbs gerichtet.

Das Ratinghaus Morningstar hat vor wenigen Tagen auf einen Schlag zahlreichen vormals als ESG gelabelten Fonds die Nachhaltigkeit abgesprochen. Wie können Berater künftig mit solchen Situationen umgehen: Sie haben dem Kundenwunsch entsprochen und ihm ein ESG-Produkt vermittelt, später wird es umdeklariert. Ist das eine potenzielle Haftungsfalle?

Auch hier kommt es auf den Einzelfall an. Entscheidend für die Beurteilung einer Anlageempfehlung ist, ob sie zum Zeitpunkt ihrer Erteilung für den Kunden geeignet war. In die Geeignetheitsprüfung und -erklärung sollen Angaben einfließen, warum das Finanzinstrument für den Kunden geeignet ist. Wichtig ist, dass Anlageberater hier sorgfältig dokumentieren. Keine Falschberatung liegt vor, wenn die entsprechenden Fonds zum Zeitpunkt der Anlageempfehlung für die vom Kunden kommunizierten ESG-Anlageziele passend waren, sich aber aufgrund neuer Umstände im Nachhinein herausstellt, dass die Anlageempfehlung besser nicht oder anders abgegeben worden wäre.

Aktuell wird eine DIN-Norm zur Präferenzabfrage erarbeitet. Hilft das Befolgen einer solchen Norm Beratern, sich zu schützen?

Brancheninitiativen können gerade im Hinblick auf noch bestehende Unklarheiten sinnvoll sein und Berater unterstützen. Auch wenn im Bereich der gesetzlichen Mindestanforderungen noch Konkretisierungen zu erwarten sind, unter anderem durch die angesprochenen ESMA-Guidelines zur Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen, bleibt vieles offen. Marktstandards können hier eine gute Ergänzung sein und gesetzliche Lücken füllen, sollten aber eng mit den regulatorischen Vorgaben abgestimmt sein, um keine weiteren Unklarheiten und Fragmentierung herbeizuführen.

Zahl der Woche

0 von 19 Sachversicherern erfüllen Rating-Vorgaben

Kunden wollen nicht mehr nur bei ihrer Geldanlage nachhaltig sein, sondern legen auch beim Versicherungsschutz wert auf ESG-Kriterien. Sachversicherer haben sich bei einem aktuellen Test in Sachen Nachhaltigkeit allerdings nicht gerade mit Ruhm bekleckert: Die Greensurance-Stiftung hat gemeinsam mit der Hochschule für Technik Stuttgart (HFTS) 19 Sachversicherer unter die Lupe genommen und dabei die Nachhaltigkeitskriterien des NATIVE-Ratings berücksichtigt. Zum Beispiel haben die Tester untersucht, ob der Versicherer bei Hausratsschäden klimafreundliche Ersatzgeräte bereitgestellt hat.

Ergebnis: Kein einziger der getesteten Versicherer konnte die Rating-Vorgaben auch nur zur Hälfte erfüllen. Am besten schnitt noch die Ostangler Versicherung ab (42,17 Prozent der Kriterien erfüllt). Schlusslicht war die VHV Allgemeine Versicherung (10,15 Prozent).

Da ist noch viel Luft nach oben.

Fonds im Fokus

Sieger beim Sustainable Performance Award

ÖkoWorld Klima C

  • Unternehmen: Ökoworld Lux SA
  • Gattung: Aktienfonds
  • Auflagedatum: 30.07.2007
  • ISIN: LU0301152442
  • Fondsvolumen: 731,75 Millionen Euro
  • Gesamte laufende Kosten: 2,25 %
  • Ausgabeaufschlag: 5,00 %

Was macht den Fonds zum ESG-Investment?

Der Fonds ÖkoWorld Klima investiert weltweit in Unternehmen, die mit ihren Technologien und Dienstleistungen zur Behebung der Ursachen des Treibhauseffekts beitragen. Zu den Anlageschwerpunkten gehören Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Recycling, neue Werkstoffe, nachhaltige Land- und Forstwirtschaft, Anpassung an den Klimawandel durch Erhalt der natürlichen Artenvielfalt, nachhaltige Wassernutzung sowie Verringerung der Schadstoffbelastung von Luft, Böden und Gewässern. Der Fonds erfüllt die Kriterien von Artikel 9 der Offenlegungsverordnung und hat von MSCI das ESG-Fund Rating „A“ bekommen.

Was macht den Fonds noch interessant?

Über drei Jahre konnte der Fonds eine Performance von 55,6 Prozent erzielen, über fünf Jahre liegt er 89 Prozent im Plus. Beim Sustainable Performance Award, einem neuen Gütesiegel für ESG-Fonds des Finanzdienstleiters ProVita, schnitt er über fünf Jahre als bester ESG-Fonds mit dem Anlageziel Welt ab. Größte Werte im Portfolio sind derzeit unter anderem der US-amerikanische KFZ-Ersatzteile-Anbieter LKQ Corporation und das Abfallwirtschaftsunternehmen Waste Management.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

EU plant eigenes Lieferkettengesetz

EU plant eigenes Lieferkettengesetz

Viele kritisierten das Lieferkettengesetz der Bundesregierung aus dem vergangenen Jahr als zu lax und Lobby-getrieben. Die EU geht nun mit einem eigenen, strengeren Gesetz an den Start. Es soll Unternehmen dazu verpflichten, in ihren Lieferketten Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten. Betroffen wären Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mehr als 150 Millionen Euro Umsatz im Jahr – beim deutschen Lieferkettengesetz liegt die Schwelle bei Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern. Die Kommission wird über den Gesetzesentwurf  noch beraten.

EZB erhöht Klimaschutz-Druck auf Banken

EZB erhöht Klimaschutz-Druck auf Banken

Die Europäische Zentralbank (EZB) zieht die Daumenschrauben an: Im Jahr 2022 wollen die Währungshüter bei den Banken auf Worte Taten folgen sehen, wenn es um den Klima- und Umweltschutz geht. Die Pillar-2-Anforderungen, die die Zentralbank als Mindestkapitalanforderung an die Kreditinstitute stellt, deckt im Rahmen des Risikomanagements auch Klimarisiken ab. Die Banken müssen nun Aktionspläne bei der EZB einreichen, inwiefern sie sich in diesem Punkt verbessern wollen. Die Zentralbank will die Geldhäuser im März außerdem per Fragebogen einem Klima-Stresstest aussetzen. Dabei testet sie, welche finanziellen Verluste den Banken bei ungünstigen Klimaszenarien drohen. Ergebnisse veröffentlicht die EZB im August.

EIn letzter Schluck

Ein Herrengedeck zur Weiberfastnacht

Die Ironie dieses Tweets des Grünen-Politikers und EU-Parlamentsabgeordneten Erik Marquardt erklärt sich von selbst mit Blick auf lange Tischreihen, an denen Dutzende ergraute Herren in Anzügen sitzen, keine einzige Frau weit und breit. Die Szene stammt aus dem CEO-Lunch am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Das Bild sagt mehr als tausend Worte: Die Chefetagen in der deutschen Wirtschaft sind nach wie vor ein Männerclub.

Eine Auswertung der Allbright-Stiftung aus dem Herbst 2021 bestätigt diesen Eindruck. Rund die Hälfte aller Unternehmen, die im Dax, SDax und MDax gelistet sind, hat keine einzige Frau im Vorstand. Lediglich fünf der börsennotierten Unternehmen finden sich in der Auswertung auf der Grünen Liste, haben also einen weiblichen Mindestanteil von 40 Prozent in den Vorständen, nämlich Pfeiffer Vacuum, Bilfinger, Hornbach Holding, LOKF Laser & Electronics ebenso wie Dermapharm. Die 74 Unternehmen auf Allbrights Gelber Liste haben einen Frauenanteil unter 40 Prozent, die auf der Roten Liste keine einzige Frau im Vorstand. Dazu zählen etwa die Deutsche Wohnen, ebenso wie Delivery Hero, 1&1 oder Linde. Einige Unternehmen auf der Roten Liste haben gleichzeitig keine einzige Frau in ihrem Aufsichtsrat.

Was lernen wir daraus?

Dass ein hoher Frauenanteil in der Chefetage zu einer besseren Performance von Unternehmen führt, ist längst erwiesen. Schade nur, dass diese Nachricht noch immer nicht in die Spitze der meisten börsennotierten deutschen Unternehmen vorgedrungen ist. Ohne Frauenquoten und den restlichen Gendergaga lassen sich die Glasdecken wohl doch nicht durchbrechen.

Für Sie, liebe Leserinnen und Leser, soll das eine Anregung sein, künftig genauer hinzuschauen. Welche der Unternehmen, die Diversity predigen, seit es en vogue ist, halten sich tatsächlich an ihr Wort? Offenbar in Deutschland noch nicht viele.

Autorinnen dieser Ausgabe:

Anne Hünninghaus + Mariam Misakian

Anne Hünninghaus + Mariam Misakian

Wir sind Redakteurinnen in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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