ESG report #25: Grüne Waffen? | Überraschende Personalwechsel

Liebe Leserinnen und Leser,

wir konnten uns das Schmunzeln nicht verkneifen, als wir dieser Tage auf die Headline „Waffenbranche will nachhaltig sein“ gestoßen sind. Nach der Atom- und Gaslobby versucht nun auch die deutsche Rüstungslobby ihr Glück in Brüssel. Die Forderung: Waffen sollen in der sozialen Taxonomie als „nachhaltig“ eingestuft werden.

Die Verwirrung bei ESG-Anlegern ist maximal: Sehen wir künftig grüne Panzer mit Elektromotor übers Feld rollen und Soldaten Mehrweg-Munition einsammeln? Über das Thema haben wir uns mit dem Sustainable-Finance-Professor Christian Klein unterhalten. Das Interview sowie Handlungsempfehlungen, wie Sie mit dem immer größer werdenden ESG-Desaster im Kundengespräch umgehen, lesen Sie hier.

Ihre ESG-Redaktion

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Das Gespräch der Woche

Im Gespräch mit...

Dr. Christian Klein, Professor für Sustainable Finance an der Universität Kassel und Keynotespeaker

Dr. Christian Klein (c) Privat

Herr Klein, war die Aufnahme von Atomkraft und Gas in die EU-Taxonomie ein Fehler?

Sie kam zumindest überraschend. Die Taxonomie wurde ja von einem Expertengremium aus Wissenschaftlern, Finanzmarktakteuren und Zivilgesellschaft entwickelt. Dass Gas und Atom da hineingelangt sind, war jedoch eine politische Entscheidung, quasi auf den letzten Metern. Aber die Tatsache, wie sehr sich die Politik hier engagiert hat, um dies möglich zu machen, zeigt doch auch, wie ernst die Taxonomie inzwischen genommen wird und wie wichtig Nachhaltigkeitskriterien inzwischen bei Investitionsentscheidungen sind.

Sie haben bereits auf LinkedIn Ihren Unmut zur Causa "nachhaltige Waffen" geäußert: Nimmt sich die Rüstungslobby nun den Atom-Entscheid als Vorbild?

Es klingt wie ein Scherz, aber tatsächlich ist die Rüstungsindustrie bereits in Brüssel vorstellig geworden und will in die soziale Taxonomie aufgenommen werden. Ich bin gespannt, wie diese Diskussionen laufen werden. Dem Endkunden wäre es zumindest sehr schwer vermittelbar, dass Waffenproduktion das Prädikat „Nachhaltig“ bekommt. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass das kommen wird.

Der Branchenverband BDSV moniert, dass Banken kaum noch Geschäfte mit seinen Mitgliedern machen wollen. Indexanbieter schließen Rüstungsunternehmen aus. Reicht aus Ihrer Sicht ein Ausschluss des "großen Übels" bereits für das grüne Label?

Ausschlusskriterien sind der einfachste und populärste Weg, um Nachhaltigkeitsaspekte bei der Portfoliozusammensetzung zu berücksichtigen. Die Frage ist, was man mit einem nachhaltigen Fonds erreichen will: Will ich nur sichergehen, dass mein Geld nicht in Themen investiert wird, die mit meinen Wertvorstellungen nicht übereinstimmen? Dann sind Ausschlusskriterien sicher gerechtfertigt. Wenn ich allerdings den Anspruch habe, dass mein Geld bewirkt, dass unsere Welt wirklich ein bisschen nachhaltiger wird, könnte es komplexer werden.

Andererseits, wenn den „Schmuddelbranchen“ suggeriert wird: Bei euch ist sowieso nichts zu retten, läuft man dann nicht Gefahr, ihre Motivation zu ersticken, wenigstens ein bisschen besser zu werden? Reduziert ein Rüstungskonzern Emissionen, ist das doch besser als nichts.

Das ist tatsächlich ein sehr guter Punkt und genau über solche Argumente müssen wir jetzt diskutieren. Wir wissen aus unserer Forschung, dass es für Unternehmen aus bestimmten Branchen tatsächlich schwer ist, bei ihren Nachhaltigkeitsbemühungen überhaupt gesehen zu werden. Das gilt nicht nur für die Rüstung, das gilt beispielsweise auch für die Pharmaindustrie.

To Do

Jetzt sind Sie gefragt, liebe Leserinnen und Leser!

Nach Gas und Atom jetzt also auch noch Waffen. Angesichts der Verwässerung macht sich Resignation unter vielen Kundinnen breit: Ist auf nichts und niemanden mehr Verlass? Makler sollten hier ansetzen: wenn schon nicht auf die Unternehmen und staatlichen Regulierer, dann wenigstens auf Sie. Im Vertrieb stellen Sie alle notwendigen Informationen bereit, fragen Wünsche und Sorgen der Kundinnen ab. Und dafür sollten Sie sich mit gewissen Fragen auseinandergesetzt haben – auch zum Thema Rüstung.

Gehen Sie im Beratungsgespräch proaktiv vor und auf diese unangenehmen Themen ein. Gemeinsam mit Ihren Kunden werfen Sie einen kritischen Blick auf die Indexzusammensetzung, evaluieren, ob es mit Ausschlusskriterien getan ist oder die Transformation doch aktiv mitgestaltet werden soll. Schließlich ist das Nachhaltigkeitsprofil eines jeden Kunden individuell.

In diesem Zusammenhang vielleicht auch noch interessant: MSCI ESG, der weltweit größte Anbieter von Nachhaltigkeitsanalysen, unterscheidet in seiner Indexzusammensetzung zwischen:

  • Kontroversen Waffen (Diese Waffen sind völkerrechtlich verboten, etwa Streumunition und Brandwaffen),
  • Nuklearwaffen,
  • Zivilen Schusswaffen und
  • Konventionellen Waffen (sämtliche Waffen, die nicht in die ersten drei Kategorien fallen, z. B. Bewaffnung von Polizei und Militär).

Während ESG-Indizes von MSCI kontroverse und nukleare Waffen ausschließen, enthalten manche von ihnen sehr wohl zivile und konventionelle Waffen. Als Vertriebler müssen Sie daher je nach Kundenpräferenz von Index zu Index unterscheiden!

Der Kopf der Woche

PwC holt sich nachhaltige Verstärkung

Angela McClellan (c) PricewaterhouseCoopers

Als Annalena Baerbock jüngst vermeldete, dass sie ausgerechnet Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan als Staatssekretärin ins Außenministerium gelockt hatte, da waren manche ob dieses überaus geschmeidigen Seitenwechsels von der aggressiven NGO zum diplomatischen Corps irritiert. Doch womöglich werden solche Wechsel bald alltäglich. Ein Beispiel dafür liefert Angela McClellan, die offenbar ähnlich virtuos auf ganz unterschiedlichen Instrumenten spielen kann. Sie ist seit Anfang dieses Monats Leiterin des Financial Services ESG Center of Excellence der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC). In dieser Funktion soll sie, so heißt es offiziell, die Leistungen des Unternehmens im Bereich Nachhaltigkeit "strategisch weiter vorantreiben".

Anders gesagt: PwC rüstet sich für die gestiegene Nachfrage in der Finanzindustrie, die sich inzwischen ja mit allerlei Regularien auseinandersetzen muss, von SDG bis Taxonomie.

Angela McClellan wiederum hat sich längere Zeit ihres beruflichen Lebens überaus kritisch mit denen auseinandergesetzt, die sie fortan beraten soll: Zehn Jahre lang hat sie für Transparency International im Bereich nachhaltige Unternehmensführung, Korruptionsbekämpfung und G20-Finanzsektorreform gearbeitet. Drei Jahre lang war sie danach Geschäftsführerin des Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG). Außerdem sitzt sie im Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung, einem durchaus einflussreichen Beratergremium. McClellan ist also bestens vernetzt. Jetzt darf man gespannt sein, wie sie den Seitenwechsel hinbekommt – und was die Stakeholder davon halten.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

Analysten bestrafen schmutzige Geschäfte

Analysten bestrafen schmutzige Geschäfte

Unternehmen, die wegen sozialer Verfehlungen oder Greenwashing-Vorwürfen in die Schlagzeilen geraten, werden am Kapitalmarkt abgestraft. Das zeigen zwei neue Studien, auf die Bloomberg hinweist. Analysten senken in solchen Fällen die Gewinnprognosen, auch die Marktkapitalisierung leidet unter dem schlechten Ruf. Interessant: Soziale Verfehlungen und Governance-Ausfälle wiegen sogar schwerer als Umweltsünden.

100 Prozent Kunstschnee: Chinas Lüge von den nachhaltigen Winterspielen

100 Prozent Kunstschnee: Chinas Lüge von den nachhaltigen Winterspielen

Peking ist der erste Ort der Welt, an dem olympische Sommer- und Winterspiele stattfanden. In den Bergen vor der Stadt ist es zwar saukalt. Es fehlt aber die wichtigste Unterlage für den Sport: Schnee. Denn die Berge liegen in der Wüste. Der künstliche Ersatz – mehr als je zuvor – stammt aus wichtigen Trinkwasserreservoiren.

Die Vögel fallen vom Himmel

Die Vögel fallen vom Himmel

Ist die Apokalypse nah? Seit Tagen kursiert im Internet ein Video aus der mexikanischen Stadt Cuauhtémoc. Es zeigt, wie Hunderte Vögel, präzise handelt es sich um Gelbkopfstärlinge, leblos vom Himmel fallen. Sofort kursierten Gerüchte über eine menschengemachte Naturkatastrophe: War es G5-Strahlung, tödliches Gas oder gar Hochspannung, die die Vögel vom Himmel holte? Die weitaus plausiblere Erklärung gaben nun Forscher: Der Schwarm hatte sich vermutlich erschreckt ("ein Oops-Moment"), weil ein Raubvogel angriff. Und dann in Panik ein paar folgenschwere Fehler gemacht. Die Vögel waren schlicht ineinander gekracht.

Ein letzter Schluck

Gewaltige Schieflage

Sie haben es mal wieder gesehen: Die Schlagzeilen sind voll von falschen Ratings, Greenwashing und einem seltsamen Verhältnis der Waffenindustrie zu ESG. Angesichts all der Verfehlungen ist man froh, dass es engagierte Beobachter gibt, die vollmundige Versprechungen nicht einfach glauben und den Unternehmen auf die Finger schauen. Die NGO Urgewald, selbsternannter "Anwalt für Umwelt & Menschenrechte", sticht dabei mit einer neuen Recherche heraus, die auch viele Asset Manager mit großem Respekt zur Kenntnis nehmen: Es geht um die jüngsten Datenanalysen der von Urgewald betriebenen Plattform Global Exit Coal List.

Und die zeigen: Deutsche Banken haben im vergangenen Jahr ihr finanzielles Engagement in Kohle nicht etwa zurückgefahren, sondern sogar ausgebaut. 6,07 Milliarden US-Dollar an Krediten und gezeichnetem Anleihekapital flossen 2021 von den größten Finanzinstituten des Landes in Kohleprojekte. Die Länderauswertung hat Urgewald für die Börsen-Zeitung angestellt, die darüber nun einigermaßen kopfschüttelnd berichtet – schließlich rühmen sich die Institute parallel diverser Nachhaltigkeitsinitiativen.

Wir schließen uns an und finden die Geschichte ganz schön schmutzig.

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Wir sind Redakteure in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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