ESG report #22: Taxonomie-Debatte geht weiter I Purplewashing
Liebe Leserinnen und Leser,
die EU-Kommission musste zuletzt ordentlich Kritik einstecken. Egal ob Verbraucherschutz oder Rüstungsindustrie – erstaunlich viele Parteien haben eine Meinung zur neuen Taxonomie. Diese Woche bezog ein weltweites Gremium aus 57 Nachhaltigkeitsfachleuten aus Finanzwirtschaft, Industrie und Umweltgruppen Stellung. Der Tenor:
"Die meisten Beiratsmitglieder sehen ein ernsthaftes Risiko, dass eine nachhaltige Taxonomie untergraben wird. "
So steht es in der offiziellen Stellungnahme der Initiative zum Kommissionsentwurf, die dem NDR vorliegt. Wir folgen der Analyse und fragen: Könnte die Taxonomie das Greenwashing verstärken? Unsere Antwort erfahren Sie in dieser Ausgabe des ESG-Reports.
Außerdem warten auf Sie Antworten auf die Fragen: Was haben Damen-Hygieneprodukte mit einem neuen Fonds gemein? Warum schaden selbst gut gemeinte, nachhaltige Finanzprodukte manchmal eher als sie nützen? Und was ist eigentlich Purple Washing?
Wie immer freuen uns über Ihr Feedback an redaktion@esg-report.de – und natürlich über Ihre Weiterempfehlung.
Ihre ESG-Redaktion

Die EU-Taxonomie befeuert das Greenwashing
Die neue EU-Taxonomie hat viel Kritik eingesteckt: Dürfen Investoren und Anlegerinnen Atomenergie und Erdgas künftig als nachhaltige Investments betrachten? Womöglich kratzt diese Debatte nur an der Oberfläche eines viel tiefergehenden Problems: Der Verbraucherschutz befürchtet jedenfalls, dass die Taxonomie die Gefahr des Greenwashings deutlich erhöhen könnte.
Dabei sollte sie das eigentlich verhindern, schließlich ist ihr wichtigstes Ziel, Kapital in nachhaltige Aktivitäten umzuleiten, und nicht in Unternehmen, die bloß vorgeben, grün zu handeln. Leider mangelt es an der Umsetzung. „Das zentrale Problem, das auch die Taxonomie nicht lösen wird, ist die Informationsgrundlage“, sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, mit dem wir schon in der vergangenen Woche darüber sprachen, dass es in der Branche an verlässlichen Informationen mangelt.
Nun verlässt sich die EU, wenn sie Unternehmen in nachhaltig und weniger nachhaltig unterteilt, größtenteils auf ESG-Ratings großer Agenturen wie MSCI oder FTSE. Allerdings arbeiten die meisten Ratings mit Selbstauskünften. Hier darf man sich schon fragen, wie valide die Selbstauskunft eines Unternehmens ist, dessen Hauptziel Profite sind, denen der Umweltschutz durchaus im Weg stehen kann. So kommen dann Bewertungen wie im Fall Tesla zustande: Während der Elektroautobauer in einem Nachhaltigkeitsranking von MSCI einen Top-Platz belegte, landete er bei FTSE auf einem der hinteren Ränge. Darüber hinaus bemängeln Fachleute fehlende Sanktionen, etwa wenn ein Unternehmen Angaben verfälscht oder verheimlicht.
Denn – und genau darin liegt das Problem – der Anreiz für Falschangaben steigt. Schließlich wird das Label „Taxonomie-konform“ zu einem veritablen Wettbewerbsvorteil. Analysen zeigen zwar, dass nur wenige Unternehmen derzeit den Test bestehen und als taxonomie-konform gelten düften – insgesamt deutlich weniger als fünf Prozent des MSCI- World-Index. Das macht diese kleine Gruppe aber noch attraktiver für Anleger und Fondsmanagerinnen.
Damit sind wir keinen Schritt weiter: Solange regulatorische Legitimation fehlt, es an Standards und Kontrollen mangelt, heben sich positive und negative Auswirkungen der Taxonomie bestenfalls auf. So kann die Taxonomie blinde Flecken nicht aufhellen, sondern schafft weitere Graubereiche.
Über dieses Dilemma haben wir mit Dr. Henry Schäfer gesprochen. Als Experte für Responsible Investing forscht und berät er zur EU-Taxonomie und der Umsetzung von Nachhaltigkeit im Finanzsektor.
"Für Privatanleger bleibt es schwierig"

Herr Schäfer – die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer sagte vor kurzem in einem Interview, dass die EU-Taxonomie das größte Greenwashing aller Zeiten ist. Stimmt das?
Henry Schäfer: Zunächst sollte man zwischen politischem Greenwashing und Greenwashing am Markt unterscheiden. Frau Neubauer will vermutlich auf das politische Greenwashing hinaus – das man der EU unterstellt, da sie Atomkraft und Erdgas als nachhaltig deklariert hat. Darüber hinaus ist und bleibt das Greenwashing des Marktes ein Problem: Fondsanbieter machen Versprechungen über die Nachhaltigkeit ihrer Fonds. Und Anlegerinnen und Anleger, können, wenn überhaupt, dann erst im Nachhinein feststellen, ob sie auch gehalten wurden. Das wird die EU-Taxonomie nicht grundlegend ändern: Für Privatanleger bleibt es schwierig zu kontrollieren, was ihr Geld wirklich bewirkt.
Also wird die Taxonomie keinen direkten Einfluss auf die Auswahl von Fondsanbietern nehmen?
Das kann man so nicht sagen. Es kommt darauf an, wie die Taxonomie letzten Endes umgesetzt wird. Es steht außer Frage, dass die Taxonomie zur Grundlage von Finanzgeschäften gemacht wird. Doch bis dahin ist ein langer Weg. Gerade weil Banken und Fondsgesellschaften Nachhaltigkeitsdaten fehlen, anhand derer sie Finanzprodukte ausrichten können.
Erübrigt sich hierzulande die Debatte um Atomenergie und Erdgas? Oder anders gefragt: Bestehen in Deutschland schon gewisse Mindeststandards, welche die der Taxonomie übertreffen?
Ja und Nein. Wir verbinden in Deutschland mit Atomkraft große Ängste, die Energiewende ist politisch beschlossen und es wurde viel Geld für den Ausstieg ausgegeben. Nachhaltigkeit ist bei vielen Menschen emotional belegt. Je mehr sich diese Diskussion verdichtet, sieht man allerdings auch, wie unterschiedlich die Atom-Vorstellungen in der EU sind. Insofern ist es wichtig, dass diese Debatte geführt wird. Die aktuelle Kontroverse zeigt auch, dass die vormalige Bundesregierung die politische Mitwirkung an der Taxonomie verschlafen hat oder sie nicht ernst nahm. Ich mache mir Sorgen, dass die ohnehin sehr angeschlagene EU mit dem Thema Atomkraft einen neuen sehr emotionalen Konfliktpunkt bekommt. Ich befürchte innerhalb der EU, aber auch in der Regierungskoalition ein ernstes politisches Problem.

83,95 Prozent ...
... der deutschen Investmentfonds sind aktuell noch in kontroversen Branchen investiert.
Befinden Sie sich zufällig gerade im "Dry January"? Verzichten Sie zugunsten der Gesundheit auf Spirituosen und Zigaretten? Die Fondsbranche sollten Sie sich dann besser nicht zum Vorbild nehmen. Denn Branchen wie Atomkraft, Tabak, Alkohol und Rüstung finden sich trotz des wachsenden ESG-Bewusstseins nach wie vor im Portfolio fast aller Fonds. Das zumindest ist Ergebnis einer neuen Studie des Datenanbieters FE Fundinfo. Disclaimer: Die folgenden Zahlen könnten Ihren Januar-Blues womöglich verstärken. 70,54 Prozent der untersuchten Fonds halten Beteiligungen an Unternehmen, die Atomkraftwerke besitzen oder betreiben. Bei Gentechnik-Produkten sind es 61,55 Prozent, und mehr als 60 Prozent der Fonds mit Sitz in Deutschland setzen unter anderem auf Unternehmen, die Umsatz mit Alkohol generieren. Die höchste Übeltäterdichte haben der Studie zufolge übrigens Mischfonds (hier sind es 93,25 Prozent).

Namen, die Sie sich merken sollten
Christensen leitet neue Einheit für Impact Investments bei AllianzGI
Bei den Allianz Global Investors beschäftigt sich eine neue zwölfköpfige Einheit mit Impact Investments. Unter der Leitung von Matt Christensen, Global Head of Sustainable and Impact Investing, werden damit die Bereiche Eigen- und Fremdkapitalinvestitionen für Private Markets mit einem neu geschaffenen Team für Wirkungsmessung und -management zusammengeführt.
Taneja steigt bei der Deutschen Bank auf
Die Deutsche Bank hat Trisha Taneja zur globalen ESG-Chefin der Investmentbanking-Einheit Origination & Advisory ernannt. Zuletzt war sie Leiterin des Sustainable-Finance-Teams.
Hansveden neu bei Ninety One
Die ehemalige Nordea-Managerin Juliana Hansveden heuert als Portfolio Manager Emerging Markets Sustainable Equity beim Vermögensverwalter Ninety One an. Sie wird sich in der neu geschaffenen Position um das Management nachhaltiger Schwellenländer-Fonds kümmern.

Was uns diese Woche noch auffiel

Akuter ESG-Fachkräftemangel in Kanada
Zwei Drittel der Unternehmen des kanadischen Finanzsektors bekommen ihre Stellen im ESG-Bereich nicht besetzt, offenbart eine Deloitte-Studie. Auch der CEO der Royal Bank of Canada hatte jüngst erklärt, dass die Banken aufgrund der Konkurrenz aus anderen Branchen damit zu kämpfen haben, genügend Nachhaltigkeitsprofis zu finden. Zu den gefragtesten Qualifikationen gehören laut der Umfrage ESG-Risikomanagement, qualitative und quantitative Analyse und ESG-Auditierung. Nun befürchtet der Finanzplatz, abgehängt zu werden. Aber... Sieht es in anderen Ländern auf dem ESG-Arbeitsmarkt wirklich rosiger aus – oder fehlt es hier womöglich nur an entsprechenden Studien?

Sechs Gebote gegen Impact-Washing
Ist das Impact oder klingt es nur gut? Um herauszufinden, wie ein ESG-Fonds tatsächlich wirkt und ob seine Anbieter ihn redlich als Impact-Investment bewerben können, haben acht Banken und Vermögensverwalter nun "Leitlinien zur Darstellung von Impact im Bereich wirkungsorientierter Investments" vorgelegt. Darin finden sich simple aber sinnvolle Kontrollfragen ("Begrenzen Sie auch den negativen Impact Ihrer Investitionen?"), Klarstellungen ("Umsatzerlöse sind kein Impact") und Anweisungen ("Geben Sie nachvollziehbar an, wie die Indikatoren berechnet werden"). Lesen lohnt sich.

Purple is the new green
Erinnern Sie sich an die Pinky Gloves? Handschuhe für Frauen, die das Wechseln von Tampons hygienischer machen sollten? Zwei Männer hatten diese geniale Geschäftsidee und wollten vergangenes Jahr ihr Produkt bei der Show "Die Höhle der Löwen" vermarkten. Wussten Sie, dass es auch extra Toilettenpapier für Frauen gibt? Das ist besonders weich und hautverträglich.
Immer wieder kommen Produkte auf den Markt, die Gleichberechtigung ganz schön blass aussehen lassen. Endlich – Achtung, Ironie – ist dieser Trend nun auch in der Finanzbranche angekommen. Frauen sind dort in allen Bereichen unterrepräsentiert. Sie managen weniger Fonds. Die Fonds, die sie tatsächlich managen sind in der Regel kleiner als die ihrer männlichen Kollegen. Und wenn Frauen Teil eines Fondsmanagement-Teams sind erhalten sie im Durchschnitt immer die weniger verantwortungsvolle Position.
Zum Glück gibt es aber die DWS und ihren Einsatz für die Gleichberechtigung. In der vergangenen Ausgabe haben wir Ihnen mal wieder einen Fonds der Woche vorgestellt: der DWS Invest ESG Women for Women. Ein Fonds von Frauen für Frauen, heißt es. Tolle Idee! Frauen bekommen ihr eigenes, exklusives Produkt, und – das Beste – sie dürfen es sogar selbst managen. Das ist doch viel besser, und glücklicherweise auch bequemer, als den Anteil der Frauen in den Führungsetagen der Finanzwelt zu erhöhen. Bei der DWS werden die Aktienfonds zum Beispiel fast ausschließlich federführend von Männern betreut. Traurige 11 Prozent beträgt der Anteil der Frauen in der Fondsbranche, zeigt der Alpha Female Report von Citywire. Wenn das jetzige Tempo fortgesetzt wird, wird es schätzungsweise bis zum Jahr 2215 dauern, bis die Hälfte der Positionen von Frauen besetzt ist – ganz schön lange. Wenn Sie heute 40 Jahre alt sind, lieber Leser, liebe Leserin, wären Sie dann ungefähr 233.
Man könnte den Prozess aber auch beschleunigen. Nur eine Idee: Die DWS könnte zum Beispiel auch eine freiwillige, bindende Frauenquote von 50 Prozent in ihrem Unternehmen einführen. Aber das ist langweilig. Stattdessen gibt es einen neuen fancy Fonds – in pink, und mit Glitzer. Es nennt sich übrigens Purplewashing, wenn Unternehmen damit werben, sich für Gleichberechtigung einzusetzen, es aber eigentlich nicht tun. Unser Fazit: Der Fonds ist kein Fortschritt, sondern nur ein weiteres Feigenblatt.

Autorinnen dieser Ausgabe: Anne Hünninghaus + Marilena Piesker
Wir sind Redakteurinnen der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.