ESG report #21: Irreführende Werbung? I Frauen-Fonds I Filmtipp
Liebe Leserinnen und Leser,
vielleicht ist es ein bisschen überinterpretiert, aber wenn unsere Beobachtung stimmt, kippt gerade die Stimmung in Sachen ESG-Kommunikation bei den Asset-Managern. Wie sonst ist zu erklären, mit welchen Argumenten Allianz Global Investors in diesen Tagen die Auflage des Mischfonds "Capital Plus Global" (LU2337294180) feiert – und vor allem, auf welche Argumente das Haus verzichtet:
Bewährter Ansatz, Diversifikation, ein Klassiker, einfach, transparent, belastbares Risiko, "der Name ist Programm"
– so klingt die etwas fade Story.
Eines geht dabei völlig unter: Dass der Fonds nachhaltig anlegt. Noch vor wenigen Monaten, so unser Eindruck, wären ESG-konforme Anlagekriterien ein Argument fürs Schaufenster gewesen. Nun aber referiert man bloß noch verschämt am Ende der Pressemittelung, dass der Fonds unter Artikel 8 der neuen EU-Offenlegungsverordnung (SFDR) falle.
So wandert ESG-Konformität von Absatz eins vor den Disclaimer. Wir fragen uns: Ist das die neue Normalität? Liegt es daran, dass alle nachhaltig sind, und daher keine große Story mehr dahintersteckt? Oder haben die Anbieter Angst, dass ihnen allzu lautstarke Werbung zu Umweltschutz und sozialem Engagement um die Ohren fliegt?
Dass diese Sorge nicht ganz unbegründet ist, erlebt gerade die Commerzbank-Tochter Commerz Real, die vor Gericht um Werbebotschaften für ihren Klimavest-Fonds streitet. Worum es den Klägern dabei geht, darum dreht sich der heutige ESG report.
Wie immer freuen uns über Ihr Feedback an redaktion@esg-report.de – und natürlich über Ihre Weiterempfehlung.
Ihre ESG-Redaktion

Verbraucherschützer vs. Klimavest
In der vergangenen Woche musste sich die Commerz Real vor dem Landgericht Stuttgart mit einer Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg befassen. Die Verbraucherschützer hatten das Unternehmen schon im Herbst wegen dessen Werbung für den Klimavest Impact Fonds abgemahnt: Commerz Real erweckt auf der Produktwebsite den nach Einschätzung der Verbraucherschützer irreführenden Eindruck, Kunden könnten mit der Geldanlage ihren individuellen CO2-Fußabdruck konkret verbessern.
Besonders ein CO2-Rechner auf der Klimavest-Website ist den Verbraucherschützern ein Dorn im Auge. Die Argumentation der Beschwerde: Es sei zwar möglich, dass über den Kapitalmarkt direkte CO2-Effekte eintreten, diese seien aber derzeit nicht so konkret nachweisbar, wie es der Rechner verspreche.
Die Commerz Real weigerte sich, eine entsprechende Unterlassungsverpflichtungserklärung zu unterschreiben, und so landete die Sache nun vor Gericht. Am 10. Januar trafen sich die Parteien in Stuttgart zu einer Anhörung, am 31. Januar soll das Urteil fallen. Der Richter ließ nach einem Bericht in der FAZ aber schon mal wissen, dass er finde, man müsse bei umweltbezogenen Angaben genau und streng sein.
Die Sache ist noch nicht entschieden, aber die Commerz Real hat schon gehandelt. Hinweise auf einen direkten Zusammenhang zwischen einer Investition in den Fonds und einer Reduzierung des persönlichen CO2-Fußabdrucks hat man von der Website inzwischen entfernt. Wie steht es nun um den weiteren Fortgang in der Sache? Und vor allem: Was hat das für Auswirkungen auf den Finanzvertrieb und die Kunden? Darüber haben wir mit Niels Nauhauser gesprochen. Er vertritt als Abteilungsleiter Altersvorsorge, Banken, Kredite bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg die Seite des Klägers.

"Aussagen zur Klimawirkung werden noch schwammiger und emotionaler"
Herr Nauhauser, Sie werfen der Commerz Real irreführende Werbung vor, weil sie Kunden im Internet konkret ausrechnen ließ, wie viel CO2 sie per Kapitalanlage in den Klimavest-Fonds sparen können. Nun hat der Anbieter die Website aber verändert. Sind Sie zufrieden damit?
Niels Nauhauser: Die Commerz Real hat ihre Werbung in der Tat teilweise geändert und die Umweltwirkung deutlich relativiert. Die Werbeaussagen, die Gegenstand unserer Unterlassungsklage sind, hat sie entfernt. Geändert hat der Anbieter etwa folgende Punkte:
- Die Aussage auf die Klimawirkung bezieht sich nur noch auf den Teil des Anlagebetrages, der in erneuerbare Energien investiert wird. Bislang wurde die Klimawirkung für die Anlagesumme insgesamt in Aussicht gestellt. Wir werden nun prüfen, ob das eine wesentliche Information ist, auf die in der Werbung auch deutlich hingewiesen werden muss.
- Die Werbeaussage wurde dahingehend relativiert, dass eine Wirkung auf den persönlichen CO2-Fußabdruck nicht mehr ausdrücklich versprochen wird. Dafür ist die Werbung nun noch schwammiger geworden.
- Schließlich werden interessierte Anleger nun darüber informiert, dass die Anlagegesellschaft mit dem Klimavest lediglich das Ziel verfolgt, CO2 zu vermeiden. Ob und wie sie dieses Ziel tatsächlich erreicht und dafür valide Berechnungsmethoden angewendet werden, bleibt weiterhin im Unklaren.
Das Täuschungspotenzial der korrigierten Werbung werden wir uns nach Urteilsverkündigung ansehen.
Über den Fall hinaus: Wie können Finanzvertriebe denn prüfen, ob Werbeversprechen mit Wirkungsaussagen ordentlich belegt sind? Und ist es gefährlich, Kunden konkrete Versprechen zu machen?
Es gibt keine klaren gesetzlichen Regelungen für zuverlässige Aussagen zur Klimaschutzwirkung von Finanzprodukten und es existieren bislang keine belastbaren Methoden zur Wirkungsmessung. Solange sich das nicht ändert, ist die Werbung mit derlei Wirkungsversprechen nichts anderes als eine Marketingmasche. Ob die Gerichte Verbraucherinnen Schadenersatzansprüche zusprechen werden, wenn ihnen Produkte mit Wirkungsversprechen verkauft wurden, die sich als haltlos herausstellen, wird sich erst noch zeigen. Es spricht aber einiges dafür, dass Gerichte bei der Frage, ob eine Anlageberatung anlegergerecht war, künftig auch Nachhaltigkeitseigenschaften zu berücksichtigen haben.
Und kann es die Finanzindustrie dann überhaupt schaffen, die Klimawirkung von Investments so auszuweisen, dass Kunden nicht getäuscht werden?
Was wir jetzt möglicherweise beobachten werden ist, dass die Aussagen zur Klimawirkung noch schwammiger und emotionaler werden.
Das ist aus Kundensicht aber kein Fortschritt, oder? Denn allzu pauschale Aussagen zur Klimawirkung sind ja nun für Kundinnen und Kunden auch keine relevante Information. Wonach sollten sie denn dann entscheiden?
Aus ihrer Perspektive ist entscheidend, dass die empfohlene Anlage bedarfsgerecht ist. Das schließt auch ein, dass die Geldanlage ihren Erwartungen hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitseigenschaften entspricht. Diese Erwartungen sind im Einzelfall sorgfältig und wahrheitsgemäß zu erheben, was für sich schon ein anspruchsvolles Ziel ist, da eine Befragung bei diesem Thema das Problem der sozialen Erwünschtheit überwinden muss.
Okay, die Kunden sagen also womöglich im Beratungsgespräch gar nicht, was sie wirklich denken. Könnte das auch daran liegen, dass Anlageprodukte, die wirklich stringent Nachhaltigkeitsziele verfolgen, am Ende doch eine geringere Rendite erwirtschaften?
Das hängt davon ab, wie man Nachhaltigkeitsziele definiert. Und dann muss die Messung der Zielerreichung auch noch auf validen Informationen beruhen. Diese existieren aber bislang nicht, weil es noch kein gesetzliches Kennzeichnungssystem für nachhaltige Geldanlagen gibt, das auf validen Informationen beruht und behördlich kontrolliert wird.
Die EU will das ändern.
Ja, bloß leistet die geplante EU-Taxonomie der Irreführung weiteren Vorschub, statt sie zuverlässig zu beseitigen. Solange die Daten, die den ESG-Ratings zugrunde liegen, auf nicht verifizierbaren Selbstauskünften der Unternehmen beruhen, können diese nicht als zuverlässige Informationsquelle gelten.

Von Frau zu Frau
DWS Invest ESG Women for Women
- Unternehmen: DWS
- Gattung: Aktienfonds
- ISIN: LU2420981966
- Fondsvolumen: 50,14 Mio. EUR
- Gesamte laufende Kosten: 1,066 %
- Ausgabeaufschlag: -
- Performance Fee: -
Was macht den Fonds zum ESG-Investment?
Beim DWS Invest ESG Women for Women sitzen ausschließlich Managerinnen am Steuer. Sie analysieren den Markt aus ihrer Perspektive. Das Ziel: auf die speziellen Bedürfnisse von Frauen beim Thema Geldanlage eingehen, und dabei eine überdurchschnittliche Rendite erzielen. Welche Titel dafür infrage kommen? Das Team rund um Katharina Seiler, Valerie Schüler und Lilian Haag nutzt für die Auswahl den DWS-internen "Social Commitment Score". Das Punktesystem berücksichtigt Unternehmensaspekte wie etwa den Frauenanteil in Führungspositionen, flexible Arbeitsbedingungen, Betreuungsmöglichkeiten und Geschlechterdiskriminierung entlang der Lieferkette.
Was man und frau sonst noch wissen muss?
Frauen stellen fast die Hälfte der Erwerbstätigen in Deutschland. Mehr als die Hälfte aller Börsenunternehmen hierzulande hat allerdings nach wie vor gar keine Frau auf der obersten Managementebene. Unter den 40 Dax-Konzernen gibt es mit Belen Garijo vom Pharmariesen Merck überhaupt nur eine einzige Vorstandschefin. Das muss sich ändern. Dementsprechend auch der DWS-Fokus auf das S in ESG. Fondsmanagerin Schüler hebt hervor: Über einen Betrachtungszeitraum von fünf Jahren hätten S&P 500-Unternehmen mit gutem "S-Faktor" besser abgeschnitten als der breite Markt. Bevor sich nun jemand diskriminiert fühlt: Trotz des Fondstitels dürfen auch Männer investieren.

Was uns diese Woche noch auffiel

Wer grün investieren will, ist verloren
Eine steile These, welche die Redaktion des Nachrichtensenders n-tv da aufstellt. Mehr als 335 Milliarden Euro haben die Deutschen in grüne Geldanlagen gesteckt. Dass sich die meisten der vermeintlich nachhaltigen Fonds leider bloß einen blassgrünen Anstrich verpasst haben, zeigt eine neue Studie. Studienautorin Magdalena Senn von der Bürgerbewegung Finanzwende kommt zum Schluss: Viele ESG-Fonds betreiben Greenwashing im großen Stil.

Die vier Säulen des Green-Deals
Die Abschlusserklärung der teilnehmenden Staaten an der UN-Klimakonferenz in Glasgow ist, sagen wir es mal so, ambitioniert. Sie sieht eine Reduktion der globalen Kohlenstoffemissionen von heute jährlich 52 Gigatonnen auf etwa 25 Gigatonnen bis zum Jahr 2030 vor. Das ist mit dem vereinbarten Kompromiss jedoch nicht zu stemmen, schreibt Emmanuel Guerin von der European Climate Foundation. Die Staatenunion müsse sich verstärkt auf Handel, Klimafinanzierung, Multilateralismus und die innerstaatliche Umsetzung des Abkommens konzentrieren.

Amundi drückt aufs Tempo
Der größte europäische Asset Manager will die ESG-Transformation beschleunigen und hat dafür jetzt einen neuen Maßnahmenplan veröffentlicht: 20 Milliarden Euro sollen gezielt in Impact-Fonds fließen; in allen Anlageklassen sollen offene Fonds mit dem Ziel "Net Zero 2050" angeboten werden; und Unternehmen, die mehr als 30 Prozent ihrer Aktivitäten mit unkonventioneller Energieförderung erwirtschaften, werden künftig ausgeschlossen. Zudem wird Amundi einen Teil der Manager-Boni an das Erreichen von ESG-Zielen koppeln. Wir sagen: gut so.

Don't Look Up
Der neueste Netflix-Hit Don't Look Up nutzt einen auf die Erde zurasenden Kometen als streitbare Metapher für den Klimawandel. 152,3 Millionen Stunden haben Netflix-User das Weltuntergangsdrama in seiner Erscheinungswoche gestreamt. Ein neuer Rekord. Dass wir unser Haupt tatsächlich nicht gen Himmel richten müssen, verdeutlicht die aktuelle Faktenlage. Der Komet hat längst eingeschlagen.
Star-Regisseur Adam McKay versteht es, hoch brisante Themen dramatisch, teils schon irrwitzig, aber stets humoristisch in Szene zu setzen. Das hat er bereits mehrfach unter Beweis gestellt, etwa mit dem Hedgefonds-Drama The Big Short. Zwei Filme, die Sie, liebe Leserinnen und Leser, auf jeden Fall gesehen haben sollten. Daher gibt es zur Abwechslung jetzt mal von uns einen ESG-Filmtipp, vielleicht für heute Abend.
Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) und Dr. Randall Mindy (Leonardo DiCaprio) entdecken einen gigantischen Kometen, der schnurstracks auf unseren kleinen blauen Planeten zusteuert. Der Weltbevölkerung bleiben noch exakt sechs Monate und vierzehn Tage. Was folgt, ist Sinnbild der heutigen Social-Media-Kultur und Persiflage auf die Regentschaft des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Die Rolle des Staatsoberhaupts übernimmt bei Don't Look Up die großartige Meryl Streep, die des Trump Junior Jonah Hill.
Trotz der dringlichen Lage und entgegen aller wissenschaftlichen Fakten will die US-Präsidentin die Stimmung in der Bevölkerung nicht trüben, schließlich stehen Wahlen an. Dibiasky und Mindy werden in den Massenmedien durchgereicht und verspottet, im Internet tauchen die ersten Verschwörungstheorien auf. Verleugnungen, Sexskandale und kapitalistische Verwertungslogik begleiten uns bis zum großen Finale. Viel Spaß!
Autoren dieser Ausgabe:

Udo Trichtl + Olaf Wittrock
Wir sind Redakteure in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.