ESG report #20: EU-Atomkraft-Entwurf weckt Frust der Anleger I Neujahrsvorsätze
Liebe Leserinnen und Leser,
zwei Wochen lang befand sich unser Newsletter im Winterschlaf. Nicht aber die ESG-Debatte – die schaffte es mit Erwachen des neuen Jahres gleich prominent in die wichtigsten Medienberichte des Landes. „Atomkraft? Nein danke!“ – der Slogan aus den siebziger Jahren und die lachende rote Sonne haben neue Strahlkraft bekommen. Der Grund: Atomkraft soll von der EU-Kommission einen grünen Nachhaltigkeits-Stempel bekommen. Allen voran die Deutschen hatten laut polternd für einen ambitionierteren Kurs bei der sogenannten Taxonomie plädiert. Nun sind sie frustriert bis entsetzt über die Einladung der EU zum Energie-Greenwashing.
Hat sich bei Ihnen jüngst auch schon jemand über das laxe Nachhaltigkeitsverständnis beklagt? Wie Sie damit umgehen können, erfahren Sie in der heutigen Ausgabe. Außerdem: Von Konsumgüterkonzern an die Spitze des ISSB – wer ist eigentlich Emmanuel Faber?
Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre – und natürlich ein erfolgreiches neues Jahr!
Ihre ESG-Redaktion
Wir freuen uns über Ihr Feedback an redaktion@esg-report.de – und natürlich über Ihre Weiterempfehlung.

Atomkraft-Debatte: Wie begegnen Berater dem Anleger-Frust?
Unter gewissen Bedingungen können Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke als klimafreundlich eingestuft werden. So lautete die Kernbotschaft eines Entwurfs der EU-Kommission zur Taxonomie, der in manchem Mitgliedsstaat für Unmut sorgt. Vor allem in Frankreich freut man sich, dass Investitionen in neue Atomkraftwerke mit modernen Standards dort nun die grüne Karte bekommen können.
Hierzulande ist es anders. Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck hält die Entscheidung für falsch. Gegenüber der ARD sagte er, es gehe darum, "einen finanziellen Anlagemarkt zu schaffen und den als grün und nachhaltig zu qualifizieren – und das ist ein Etikettenschwindel". Bis zum gestrigen Mittwoch durften die Mitgliedstaaten den Entwurf kommentieren. Dass sich danach noch Grundlegendes ändert, gilt als nahezu ausgeschlossen. Dazu bräuchte es schon ein Veto von mindestens 20 Staaten. Den deutschen Ruf nach Ausschluss teilen aber nur eine Handvoll Länder, nur Österreich, Luxemburg, Dänemark und Portugal solidarisieren sich mit der neu aufgelegten Anti-Atomkraft-Bewegung. Umgekehrt kommt die EU auch einem deutschen Wunsch zum Greenwashing entgegen: Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen nämlich übergangsweise ebenfalls als grün eingestuft werden können – das freut nicht nur Verfechter der neuen Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland.
Wie bitte – Atom und Gas als grüne Energien?! Auch Anleger und Investorinnen, die ihr Erspartes mit gutem Gewissen anlegen möchten, reiben sich dieser Tage die Augen. Einige zweifeln angesichts der Intransparenz und teils unterirdischer Standards am Sinn des nachhaltigen Investierens. So wächst auch bei Beraterinnen der Frust: Eine wachsende Zielgruppe verlangt nach nachhaltigen Produkten, es gibt ein riesiges Angebot und einen großen Willen zur grünen Tat – nur leider klaffen am Ende die Vorstellungen von ESG und die Investmentchancen auseinander.
Was also tun? Wir haben bei Jörg Weber nachgefragt. Er ist Chefredakteur des Magazins ECOreporter und ausgewiesener ESG-Experte. Die an das Magazin angegliederte Akademie bietet auch einen Fernlehrgang zur ESG-Beratung an.

Herr Weber, der Frust bei vielen ESG-Anlegerinnen ist groß, wenn sie sehen, dass in ihren Produkten teils Branchen enthalten sind, die nicht ihrem Nachhaltigkeitsverständnis entsprechen – etwa im Fall von Atomkraft. Was empfehlen Sie Beratern, bei denen jetzt empörte Anleger auf der Matte stehen?
Jörg Weber: Sehr viele nachhaltige Fonds schließen aktuell Atomkraft-Aktien komplett aus. Wir erwarten, dass die entsprechenden Anbieter sich hier treu bleiben werden – egal, wie die Europäische Kommission sich verhält. In unseren Fondstests hat sich zudem gezeigt: Die Fonds halten ihre eigenen Richtlinien zu 99,9 Prozent ein. In der Beratung sollte man also nun verdeutlichen, dass es weiterhin atomkraftfreie Fonds gibt. Die muss man natürlich als Beraterin oder Berater kennen. Und man muss Anlegenden leider klar machen: Wenn ein Fonds Begriffe wie „nachhaltig“ oder „sustainable“ im Namen führt, kann er trotzdem in Atomenergie-Konzerne investiert haben. Fondsnamen sind, was Nachhaltigkeit angeht, Schall und Rauch. Insofern ist nachhaltiger Beratungssachverstand jetzt noch wichtiger geworden.
Welche Alternativen gibt es, um wirklich nachhaltig zu investieren – ist ausschließlich zu aktiv gemanagten Impact-Fonds zu raten?
Jörg Weber: Wenn man die Ergebnisse unserer ETF-Tests und unsere Fondstests stark vereinfacht, dann ist eine Erkenntnis: Bei nachhaltigen ETFs ist die Gefahr von Greenwashing wesentlich größer als bei nachhaltigen Fonds. Nur: Es gibt eben auch Fonds, die sich nachhaltig nennen und eigentlich so nicht heißen sollten. Und es gibt einige wenige nachhaltige ETFs, die in Ordnung sind. Letztlich bleibt nichts anderes übrig, als sich jedes einzelne nachhaltige Finanzprodukt genau anzuschauen und erst dann zu entscheiden.
Wie viel Verantwortung liegt aus Ihrer Sicht bei den Finanzberatern?
Jörg Weber: Nachhaltige Finanzberatung bedeutet, die Nachhaltigkeits-Wünsche der Kunden mit den angebotenen Finanzprodukten in Einklang zu bringen. Der Berater soll sicherstellen können, dass die Nachhaltigkeitskriterien genau dem entsprechen, was die Kunden wollen. Das ist nicht nur eine moralische Pflicht, es ist mittlerweile auch eine rechtliche. "Rechtssichere Beratung" umfasst eben immer mehr das Thema Nachhaltigkeit, ist aber alles mit vertretbarem Aufwand und auch mit Freude hinzubekommen. Denn wir sehen immer mehr Beraterinnen und Berater, die über das Thema Nachhaltigkeit eine tiefere und befriedigendere Kundenbeziehung aufbauen.

Was uns diese Woche noch auffiel

Gas als grüne Anlage: Investoren warnen EU
Es kommt nicht alle Tage vor, dass die Investmentbranche darum bittet, strenger reguliert zu werden. Doch nun ist es so geschehen: Die Institutional Investors Group on Climate Change (IIGCC) kritisiert die Europäische Kommission für ihren Plan, Gas- und Atominvestitionen in der EU-Taxonomie als grün zu kennzeichnen. Die Aufnahme von Erdgas in der EU-Taxonomie würde Europas Status als treibende Kraft in der nachhaltigen Finanzwelt gefährden und einen Wettlauf nach unten nach sich ziehen, warnt die IIGCC in einem offenen Brief an die EU. Zu den 370 Mitgliedern der Investorenvereinigung zählen unter anderem Vermögensverwaltergrößen wie Blackrock und Vanguard.

USA ist Rekordexporteur von Erdgas
Die Welt dekarbonisiert und die USA machen… nur teilweise mit. Denn die Vereinigten Staaten haben sich im vergangenen Jahrzehnt zum führenden Exporteur von verflüssigtem Erdgas gemausert, zeigen aktuelle Bloomberg-Daten. Ein wichtiger Absatzmarkt war zuletzt Europa – die USA ersetzten im vergangenen Jahr die ein oder andere ausgebliebene Gaslieferung aus Russland. Gleichzeitig stiegen damit die CO2-Emmissionen in den Vereinigten Staaten selbst: Da die Gaspreise dort nun gewachsen sind, steigen viele Energieproduzenten wieder auf Kohle um. 2021 ist der Kohleverbrauch demnach verglichen zum Vorjahr um 22 Prozent gestiegen.

Nebenwerte haben das Nachsehen
Bei einer Titelauswahl nach ESG-Kriterien geraten Nebenwerte schnell ins Hintertreffen. Oft fallen sie bei Fondsmanagern unter den Radar, weil Agenturen sie bei ESG-Scores und -Ratings schwächer bewerten, zeigt eine aktuelle Auswertung des Bankhauses Metzler. Der Grund: Den Unternehmen fehlen im Gegensatz zu Großkonzernen die Ressourcen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, sagte Metzler-Nachhaltigkeitsexperte Jan Rabe gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Das bedeute allerdings nicht, dass die Titel weniger nachhaltig sind. Rabes Tipp: Nicht nur auf Ratingscores verlassen, sondern sich die Titel selbst genau anschauen. Meiden würde er vor allem Unternehmen mit einer kontroversen Reputation.

Köpfe, die Sie sich merken sollten
Ex-Danone-Chef Emmanuel Faber wird ISSB-Leiter
Erst wenige Wochen liegt der Jubel um Frankfurt als neuen Finanzplatz für das International Sustainability Standards Board (ISSB) zurück, nun steht auch der Leiter der neuen ESG-Behörde fest: Den Posten bekommt kein geringerer als der ehemalige Danone-Vorstandsvorsitzende Emmanuel Faber. Der Franzose soll das Amt nun für drei Jahre begleiten. Das ISSB begründet die Auswahl mit Fabers Leidenschaft für Nachhaltigkeitsthemen und seiner jahrelangen Führungserfahrung. 20 Jahre lang war Faber bei Danone tätig, davon acht Jahre als Vorstandsvorsitzender und vier Jahre als Verwaltungspräsident. Und tatsächlich ist er in Frankreich für seine nachhaltigen Ideale bekannt.
Ja, Faber sprach immer wieder von sozialer und ökologischer Verantwortung – doch Danone zu einem Öko-Unternehmen umzubauen, gelang ihm in seiner Amtszeit nicht. Die Finanzwelt darf gespannt bleiben, ob er seine Predigten im Rahmen der neuen Stelle erfolgreicher in die Tat umsetzen kann. Wer die übrigen 14 Stühle im ISSB-Verwaltungsrat besetzen wird, steht im Übrigen noch nicht fest. Die IFRS-Stiftung, unter deren Dach die ESG-Behörde angesiedelt ist, will die Mitglieder in Kürze verkünden.

Neues Jahr, grünes Ich
Bei guten Vorsätzen scheiden sich die Geister: Manche hören jedes Jahr zum 1.1. von Neuem mit dem Rauchen auf, andere etablieren Yoga, Lesen oder Zuckerverzicht, manch einer verzichtet auch komplett aufs Aufhören und Anfangen. Unter denen, die noch an den Neujahrszauber glauben, wollen 60 Prozent sich 2022 umweltbewusster verhalten, zeigt eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Krankenkasse DAK.
Müll reduzieren, weniger Fleisch essen, Kleidung aus zweiter Hand kaufen – alles schön und gut. Wie groß dagegen der eigene Hebel beim Thema Geldanlage ist, dürfte vielen Kunden nicht so bewusst sein. Unser Tipp: Nutzen Sie die Januar-Motivation im Gespräch mit Kundinnen und appellieren Sie daran, die ökologischen Vorsätze im Depot umzusetzen. Der ein oder andere will gerade sicherlich nicht nur im Leben, sondern auch im Portfolio einen Reset-Button drücken – vielleicht ja in Richtung Nachhaltigkeit.
Autorinnen dieser Ausgabe:

Anne Hünninghaus + Mariam Misakian
Wir sind Redakteurinnen in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.