ESG report #19: Das ESG-Jahr: Was war, was kommt? I Bundesliga in Grün

Liebe Leserinnen und Leser,

„Dieses Jahr ist der Baum naturgrün und umweltfreundlich“, heißt es in Loriots Sketch „Weihnachten bei den Hoppenstedts“ von 1978. So reagiert der Hausherr auf Opas berühmte Klage mit den Worten „Früher war mehr Lametta“. Heute, 43 Jahre später, wird es wohl in vielen Wohnzimmern Diskussionen geben – über nachhaltige Geschenke und die Bio-Gans zum Beispiel.

Um das Thema ESG gab es 2021 kein Herumkommen, auch Corona konnte seine Brisanz nicht überdecken. Wir haben das im Sommer zum Anlass genommen, für Sie ein wöchentliches Briefing an den Start zu bringen und freuen uns, Ihr Begleiter geworden zu sein. Zum Jahresabschluss laden wir Sie nun zu einem kompakten Rückblick auf das ESG-Jahr ein. Und wir schauen nach vorn: Welche Termine sollten Sie sich für 2022 unbedingt im Kalender vormerken? Zum Ende des Newsletters geht es derweil um die Bemühungen eines Sektors, der in puncto ESG-Engagement bisher eher unverdächtig war: der Profifußball.

Wir verabschieden uns in die Weihnachtspause und sind ab dem 13. Januar wieder für Sie da.

Frohe Festtage und einen erfolgreichen Jahresauftakt für Sie!

Ihre ESG-Redaktion

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Im Fokus

Das ESG-Jahr 2021: Was war, was kommt?

Die Zeit der Jahresrückblicke ist gekommen und wir machen mit. Hier vier große Themen im ESG-Schnelldurchlauf.

1) Greenwashing und die Sache mit den Whistleblowern

„Kaufen Sie keine Nachhaltigkeitsfonds. ESG ist ein gefährliches Placebo.“ Dieses Zitat hat im Frühherbst für Aufruhr gesorgt. Schließlich stammt es von einem Branchen-Insider, dem Ex-Blackrock-Manager Tariq Fancy. Der Reputationsschaden im ESG-Business war zu diesem Zeitpunkt sowieso schon groß: Zuvor hatte Desiree Fixler, frühere DWS-Nachhaltigkeitschefin, bereits heftige Greenwashing-Vorwürfe gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber gerichtet.

Was kommt?

Die Konsequenz aus den Fällen ist zweischneidig. Dass das Bekanntwerden der Greenwashing-Fälle zur erhöhten Aufmerksamkeit führt, ist natürlich gut: So hat zum Beispiel die US-Börsenaufsicht SEC eine groß angelegte Initiative gestartet, um solche Fälle aufzuspüren. Auch hierzulande ist mit stärkeren Kontrollen zu rechnen. Die öffentlichen Äußerungen haben bei vielen Anlegern aber auch zu einer generellen Skepsis geführt. Wer glaubt, dass er ohnehin reingelegt wird, wird sich kaum vom Gegenteil überzeugen lassen.

Für Vermittler und Beraterinnen bedeutet das: Sie müssen strategisch und kommunikativ ein Schippchen drauflegen und die entsprechenden Fakten zu ihren Produkten ganz genau auf dem Schirm haben, um dem angeknacksten Vertrauen zu begegnen. Tipps dafür finden Sie in unserer Ausgabe #18, hier zum Nachlesen.


2) Beratung: Die Profis kommen

Bleiben wir beim Thema: guter Vertrieb. Fondshäuser und Versicherungen haben immer mehr nachhaltige Produkte auf den Markt gebracht. Zudem hat sich in den Häusern und Beratungen auch personell einiges getan. Nachhaltigkeitsprofis wurden angeworben, komplette ESG-Teams zusammengestellt. Um die Expertise in Sachen grüner Finanzen zu steigern, setzten viele Fondsanbieter auf Weiterbildung. So schickt Vontobel derzeit zum Beispiel 300 Kundenberater in die Nachhaltigkeitslehre. Auch neue Studiengänge wie „Insurance Management mit dem Schwerpunkt Vertrieb und Nachhaltigkeit“ gingen an den Start.

Was kommt?

Wir sehen: Das Angebot auf dem ESG-Bildungsmarkt wächst rasant. Und Berater mit explizitem ESG-Knowhow sind immer begehrter, das zeigt ein Blick in gängige Stellenbörsen. Ist ja auch einleuchtend: Je komplexer das Angebot, je höher die regulatorischen Anforderungen und je skeptischer die Kundschaft, desto mehr Fachkenntnis ist gefragt. Wer also im Finanz- und Versicherungsvertrieb tätig ist, ist gut beraten, sich auch im kommenden Jahr in puncto ESG fortzubilden.


3) Was wir brauchen: Sortierte Daten

Damit Asset Manager und Vertrieblerinnen sicherstellen können, dass das, was sie anbieten, fundiert und glaubwürdig ist, müssen sie sich auf die gelieferten Daten verlassen können. Hieran krankt es bislang noch: Kennzahlen werden oft in ein falsches Verhältnis gesetzt und Daten ohne zweite Quelle übernommen. Eine staatlich organisierte Datenbank, die Abhilfe schafft? Gibt es bislang nicht. Stattdessen raufen sich nun Unternehmen zusammen und gründen private Plattformen, um Daten vergleichbar zu machen.

Was kommt?

Zum einen werden alternative Datenlieferanten als Schlüssel immer wichtiger. Der technologische Fortschritt macht es zwar einfacher, verlässliche Quellen zu bekommen – so lässt sich zum Beispiel via Satellitenbilder auswerten, ob Wald- oder Wasserflächen verkleinert wurden. Zum anderen könnte der Druck steigen, mit privat organisierten Datenbanken zu kooperieren. Ob staatlich etwas passieren wird, steht allerdings noch in den Sternen. (Ein ESG-Jahreshoroskop können wir Ihnen leider nicht anbieten…)


4) Politik und Regulierung: Grüner wird’s wohl

Nicht nur der Koalitionsvertrag zeigt: Die neue Ampel-Regierung hat das Thema ESG auf dem Radar und möchte die leidige Lücke, die bei Transparenz und Standards bislang klafft, schließen. In Sachen Regulatorik lief ja auch in diesem Jahr schon einiges. Seit März müssen Berater zum Beispiel erklären, anhand welcher Kriterien sie ein Produkt als nachhaltig verkaufen.

Was kommt?

Was genau die Koalitionäre vorhaben, wird sich wohl erst im kommenden Jahr offenbaren. Feststeht aber: Politik und Aufsicht ziehen die Daumenschrauben an. Denn durch Green Deal und Taxonomie wird sich regulatorisch schon in Kürze noch mehr ändern. Wir haben für Sie die wichtigsten Termine zum rot Anstreichen gesammelt:

To Do

Diese Termine sollten Sie sich im Kalender eintragen

  • 1. Januar: Mit der berühmt-berüchtigten Taxonomie tritt nun das EU-Regelwerk in Kraft, das definiert, ob Unternehmen ökologisch wirtschaften. Ab dem Neujahrstag gelten allerdings zunächst nur die Offenlegungspflichten für die ersten beiden von insgesamt sechs Umweltzielen: Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel. Die übrigen vier sind erst ein Jahr später gefragt.


  • 1. Juli 2022: Die Europäische Kommission legt einen Statusbericht über die Anwendung der Taxonomie-Verordnung vor. Anpassungen und Änderungen sind danach noch möglich (und wahrscheinlich).


  • Ebenfalls 1. Juli: Der Start der technischen Regulierungsstandards (RTS), welche die Vorgaben der EU-Offenlegungsverordnung präzisieren ist für diesen Termin geplant – könnte sich aber verschieben, wie die Kommission bereits andeutete.


  • 2. August: Die neuen Regeln für Nachhaltigkeit im Beratungsprozess treten in Kraft. Anlageberaterinnen und Vermögensverwalter müssen ihre Kundschaft zu ihren Nachhaltigkeitspräferenzen befragen (Umsetzung von Mifid II). Für Berater heißt das: Es gilt neue WpHG-Bögen für die Kundenabfrage zu entwerfen, Abläufe anzupassen sowie Berichte vorzubereiten, die den Kunden den Einfluss ihrer Nachhaltigkeitspräferenzen auf Produktempfehlungen erklären. Der Termin könnte sich allerdings ebenfalls verzögern. Sich frühzeitig vorzubereiten, lohnt sich aber so oder so.
Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

Bloomberg enthüllt Mängel bei ESG-Ratings

Bloomberg enthüllt Mängel bei ESG-Ratings

ESG-Ratings vertrauenswürdiger Ratingagenturen gelten oft als Fels in der Brandung. Allerdings dürfen Berater selbst großen Namen wie MSCI nicht blind vertrauen, zeigt eine Bloomberg-Analyse. Der meistgenutzte Datenanbieter der Welt ratet ein Unternehmen mit dem Label „A“, nicht etwa weil seine Produkte oder Dienstleistungen geringe Risiken für Umwelt und Mensch bergen, sondern absurderweise umgekehrt: Die Ratings messen das Risiko, dass die Welt für das Unternehmen und seine Bilanz darstellt. Mit ESG hat das also wenig zu tun. Fazit: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Auch bei großen Namen sollten Sie die verwendete Rating-Methode genau prüfen.

Studie zeigt, wie klimaschädlich Dax-Unternehmen sind

Studie zeigt, wie klimaschädlich Dax-Unternehmen sind

Der Dax ist dreckig. Zumindest, wenn es um die Frage nach dem CO2-Ausstoß geht. Eine Studie des Schweizer Vermögensverwalters Globalance Invest hat nämlich aufgedeckt, wie groß das Erderwärmungspotenzial der 40 Unternehmen im deutschen Leitindex ist. Das Ergebnis ist erschreckend, die meisten Unternehmen schneiden sehr schlecht ab. Das größte Klimaerwärmungspotenzial hat Industriegase-Hersteller Linde mit acht Grad – und das trotz seiner Wasserstoff-Sparte. Auch die Automobilkonzerne Volkswagen und Daimler stehen dank ihrer Verbrennungsmotoren mit jeweils zirka sieben Grad Erwärmungspotenzial an der Spitze der Umweltverpester im Dax.

Assekurata bietet neues Rating für Versicherer

Assekurata bietet neues Rating für Versicherer

Nachhaltigkeit ist den Kunden bei Versicherungen immer wichtiger, aber bislang gab es wenig Methoden, sie nach ESG-Standards zu prüfen. Ein neues Ratingverfahren der Agentur Assekurata macht nun den ersten Schritt. Das neue Nachhaltigkeitsrating bewertet Versicherungen anhand ihrer Nachhaltigkeitsberichte und internen Unterlagen. ESG-Maßstab sind regulatorische Vorgaben und nationale sowie internationale Standards. Die Gothaer hat sich dem Rating bereits unterworfen und kam mit der drittbesten Ratingstufe A+ gut aus der Sache wieder raus.

EIn letzter Schluck

Nachhaltiges Eigentor

Die Fußballbranche gilt in Sachen Nachhaltigkeit so ziemlich als der Antichrist. Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Steuerhinterziehung, Homophobie, Rassismus… selbst die Kunstrasen sollen umweltschädlich sein. Da mutet es fast zynisch an, dass sich nun auch der Fußball dem Mainstream beugen und auf den Nachhaltigkeitszug aufspringen will. Also zumindest der deutsche: Die Bundesliga verpflichtet sich in einer Satzung nun zu nachhaltigem Wirtschaften, sozialem Engagement und Umweltschutz. Damit wäre die Deutsche Fußball Liga (DFL) die erste nachhaltige Liga der Welt. Als Vorlage sollen die 17 Entwicklungsziele der Vereinten Nationen gelten.

Das Gute daran ist: Es gibt unfassbar viel Luft nach oben und die Vereine können im Kleinen anfangen. Die CO2-Emmissionen der Stadien mit Photovoltaikanlagen senken, nachhaltig produzierte Trikots und Fanartikel, besser bezahlte Nachwuchstrainer. Noch ein bisschen glaubwürdiger würden die Nachhaltigkeitsbekenntnisse daherkommen, wenn sich der DFB auch klarer gegen Menschenrechtsverletzungen positionieren würde, zum Beispiel bei der anstehenden Weltmeisterschaft in Katar. Stichwort: Social und Governance. Die WM dort stattfinden zu lassen und gleichzeitig von ESG sprechen: Da schlägt bei den meisten der Greenwashing-Radar aus.

Die DFB-Pläne sind ein Anfang, doch auf Worte müssen Taten folgen. Das gilt freilich nicht nur für die Fußballbranche, sondern für die gesamte Wirtschaft. Damit schauen wir trotz allem was geschieht hoffnungsvoll auf das Jahr 2022 – wir hoffen, Sie auch.

Autorinnen dieser Ausgabe:

Anne Hünninghaus + Mariam Misakian

Anne Hünninghaus + Mariam Misakian

Wir sind Redakteurinnen in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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