ESG report - #18: Vertrieb als Wissenstransfer | +Rendite, -Risiko | Ruhe bitte!
Liebe Leserinnen und Leser,
was ist eigentlich die Aufgabe eines guten Finanzberaters, der Anleger von ESG-Investments überzeugen will? Wenn man weiß, dass die meisten Kunden sich gegen Nachhaltigkeit entscheiden, weil ihnen schlicht das nötige Wissen fehlt, dann sollte klar sein: ESG-Finanzberatung funktioniert am besten, wenn Fakten auf den Tisch kommen. "Verstehen Sie sich als Wissensvermittler", rät die Kommunikationsexpertin Stefanie Henn, die wir dazu diese Woche befragt haben.
Unser Newsletter soll Sie daher nicht nur auf neue Ideen bringen, sondern auch Fakten vermitteln. Diesmal zum Beispiel über die Rendite- und Risikovorteile von Unternehmen, die sich an ESG-Kriterien halten. Nehmen Sie die Grafiken, die wir Ihnen dazu aufbereitet haben, doch einfach mal mit zum nächsten Termin. So positionieren Sie sich als Wissensvermittler.
Wir wünschen eine anregende Lektüre und viel Erfolg!
Ihre ESG-Redaktion
Wir freuen uns auf Ihr Feedback an redaktion@esg-report.de. Und: Wenn Ihnen unser Briefing gefällt, empfehlen Sie uns gern weiter!

Im Gespräch mit...
Stefanie Henn, Senior ESG Consultant bei der Agentur Edelman

Frau Henn, Sie verfügen über 20 Jahre Beratungspraxis und leiten das Sustainability Team von Edelman Smithfield. Was ist Ihre Mission?
In den letzten Jahren haben uns immer mehr Finanzunternehmen beauftragt, sie rund um das Thema Nachhaltigkeit zu beraten. Der stetig steigenden Nachfrage haben wir jetzt Rechnung getragen und intern unsere Kompetenzen in diesem Bereich im neugeschaffenen Sustainability & Real Assets Team gebündelt. Mit meinem Team entwickle ich maßgeschneiderte Nachhaltigkeitsstrategien und Kommunikationskonzepte für Kunden aus dem In- und Ausland.
Worauf achten Sie bei diesen Kommunikationskonzepten besonders?
Vertrauen ist für uns der Grundstein für eine erfolgreiche Kommunikation. Der beste Claim, die emotionalsten Botschaften, die spannendsten Narrative helfen nicht, wenn Unternehmen diese nicht auch tatsächlich leben und umsetzen. Der Vertrauensverlust, der beim Endkunden etwa durch Greenwashing entsteht, ist groß und nur schwer wieder wettzumachen.
Wie kann man einen solchen Vertrauensverlust vermeiden?
Wir haben eine Reihe von Grundsätzen für die Nachhaltigkeitskommunikation entwickelt, auf denen alle unsere Konzepte und Maßnahmen basieren. Dazu gehört unter anderem, dass alle Aussagen beispielsweise zur Umweltfreundlichkeit konkret, nachvollziehbar und nachprüfbar sind. Oder auch dass nur Errungenschaften oder Ziele kommuniziert werden, die auch wirklich bedeutsam sind und eine signifikante Verbesserung darstellen.
Welche ESG-Themen werden uns im neuen Jahr begleiten?
Ganz oben dürfte 2022 das Thema Regulatorik stehen. Bislang gleicht das Gebiet der Nachhaltigkeit einem beinahe undurchdringlichen Dschungel aus Methoden, Siegeln und Normen. Hier ist dringend Einheitlichkeit gefragt. Auch Net Zero wird eine zentrale Rolle spielen. Hier dürften wir viel spannende Ansätze sehen, wie Unternehmen ihre Geschäftsmodelle überdenken. In der Folge ist auch eine steigende Anzahl von Finanzprodukten zu erwarten, die sich auf Unternehmen mit Net-Zero-Zielen fokussieren. Als Wermutstropfen wird uns aber auch das Thema Greenwashing weiter begleiten. Die steigende Nachfrage nach „grünen“ Produkten dürfte noch viele Unternehmen in Versuchung führen, sich und ihre Produkte besser darzustellen, als sie es sind.
Das sind Henns drei wichtigsten Kommunikations-Tipps für den ESG-Vertrieb:
- Verstehen Sie sich als Wissensvermittler. Anleger entscheiden sich oft gegen ESG-Produkte, weil ihnen das nötige Wissen fehlt. Finanzmakler können im direkten Kontakt mit den Kundinnen besonders viel bewirken und je nach deren Vorwissen Nachhilfe in Sachen ESG geben: Warum ist Nachhaltigkeit wichtig? Wie wirkt sich ESG auf die Rendite aus? Eine solche Wissensvermittlung steigert die Beratungsqualität, schafft Vertrauen beim Kunden und stärkt so letztendlich die Kundenbindung.
- Vermeiden Sie Fachjargon. Im Bereich der Nachhaltigkeit wimmelt es von Abkürzungen und englischen Spezialbegriffen – EU SFDR, Impact Investments, Best in Class. Wer hier den Kunden mit einfachen Erläuterungen abholen und zu den Produkten vielleicht auch noch eine Geschichte erzählen kann, dürfte die Nase vorn haben.
- Bereiten Sie sich auf schwierige Fragen vor. Warum haben manche ESG Produkte auch Ölkonzerne im Portfolio? Gibt es ein Klumpenrisiko? Droht eine Blase? Wie falle ich nicht auf Greenwashing herein? Als Finanzmaklerin muss man auch diese Fragen kompetent beantworten können. Hier ist eine laufende inhaltliche Weiterbildung gefragt. Das macht sicher etwas Mühe, zahlt sich aber über zufriedene Kundinnen schlussendlich wieder aus.

Neue Daten: Mehr Rendite + weniger Risiko
Neue Daten von J.P. Morgan Asset Management zeigen, dass Unternehmen, die sich stark an ESG-Kriterien orientieren, signifikant besser durch die vergangenen Monate gekommen sind. Gemessen an den durchschnittlichen Eigenkapitalrenditen und den mittleren Marktschwankungen haben sie das schwächste Fünftel, also die ESG-Sünder-Aktien, deutlich hinter sich gelassen. Und zwar weltweit. Wenn das keine harten Vertriebsargumente sind:



Was uns diese Woche noch auffiel
Südpol: Gletscher vor Zusammenbruch?
US-amerikanische Wissenschaftler fürchten einen Kollaps des antarktischen Thwaites-Gletschers. Neue Luftaufnahmen zeigen bedrohliche Risse im Schelfeis vor dem Gletscher, das in drei bis fünf Jahren zerbrechen könnte. Dann würde der Gletscher viel mehr Eis ins Wasser leiten als jetzt. Ein kompletter Zusammenbruch des sogenannten Doomsday-Gletschers würde den Meeresspiegel um mehrere Meter erhöhen.

Tropische Wälder sind Lebenskünstler
Gute Nachrichten kommen aus der Wissenschaft in Bezug auf den Regenwald. Forscher der Universität Wageningen in den Niederlanden und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung fanden heraus, dass sich tropische Wälder in nur 20 Jahren zu rund 80 Prozent regenerieren können, wenn man sie in Ruhe lässt.

Norwegen bereinigt sein Portfolio
Der norwegische Staatsfonds ist mit 1,4 Billionen US-Dollar Kapital der größte seiner Art – und gilt seit langem als Vorreiter der ESG-Bewegung. Schließlich haben die Norweger sich schon früh dem Disvestment verschrieben, bestrafen also Klimasünder mit Kapitalentzug. Nun ist es mal wieder so weit: Neun Unternehmen werden aussortiert, weil sie ESG-Standards missachten, 65 weitere Unternehmen stehen auf der Watchlist.

Mach mal Pause ohne Umweltsiegel
Wir wissen auch nicht, wer diese "ESG Person" ist, die sich bei den hochgeschätzten Kollegen des britischen Fachdienstes Responsible Investor Luft gemacht hat. Aber gegen Ende dieses Jahres können wir den ESG Burnout gut nachvollziehen, den er dort beschreibt. Angesichts der Allgegenwart, mit der uns inzwischen selbst bei den nichtigsten Verrichtungen des Alltags das Thema Nachhaltigkeit verfolgt, tut es wirklich Not, mal zu Ruhe zu kommen. Wer will schon bei jedem Schluck Bier, einem Happen vom Sandwich und einer Tasse Tee immerzu bloß darüber nachdenken, ob auch alles mit rechten, sprich ESG-konformen Dingen zugeht? Stimmt schon: Es nervt, sich inzwischen selbst auf Müslipackungen und Toilettenpapier über die guten Taten des Herstellers informieren zu lassen, über Brunnen in Tansania und Hobbyräume für die Jugend in Marzahn.
Der Rant hat aber auch noch eine höchst professionelle Note. Der anonyme Autor ist genervt von der Geschwindigkeit, mit der die Industrie immer neue Kennzahlen und Standards definiert und exekutiert – und alle müssen mitmachen und schlau tun:
I think I need more data, but do I use GRI, CDP, CRREM and/or BREEAM, UNGC, GIIN, TPI, WBA or SASB? We require ambitious NDCs to lower GHGs, along with corporates committing to SBTs.
Das läuft was schief, und es ist dringend Zeit für Erholung, schreibt er, ohne Mails, ohne Umweltprobleme, einfach mal wieder mit Spaß ohne Reue.
Zum Glück ist ja bald Weihnachten. Bei der Gelegenheit: Ist Ihr Baum eigentlich zertifiziert...?

Udo Trichtl + Olaf Wittrock
Wir sind Redakteure in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.