ESG report #16: Notenbank gibt Green-Bond-Kriterien vor | Nachhaltigkeit als Systemreform
Liebe Leserinnen und Leser,
stellen Sie sich das mal vor: Die Notenbank agiert als eine Art Finanz-Influencer und zeigt, welche ESG-Unternehmensanleihen sie kauft – und die Anleger kaufen ihr nach. So ähnlich geschieht es künftig in Großbritannien: Die Bank of England will offenlegen, welche Green-Bonds sie kauft. Sollte die Europäische Zentralbank diesem Beispiel folgen? Wir haben nachgefragt – auch bei den Notenbankern selbst.
Außerdem widmen wir uns dem wenig optimistischen ESG-Ausblick des GreenBiz-Gründers Joel Makower für das Jahr 2022. Spoiler: Der private Sektor – also auch Sie und Ihre Kunden – geht als Hoffnungsträger aus der Sache hervor.
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Sollte die Europäische Zentralbank ESG-Standards vorgeben?
Mangelnde Regulierung hier, Greenwashing da: Im Dickicht des ESG-Dschungels finden sich Anlegerinnen kaum noch zurecht. In Großbritannien könnte sich das bald ändern – zumindest bei Green Bonds. Die Bank of England (BOE) will künftig ausschließlich Anleihen mit Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungszielen kaufen, die ihren Standards entsprechen. Gleichzeitig führen die Londoner Scorecards ein, die Anleihe-Emittenten nach ihrer Emissionsintensität einstufen.
Das Interessante für Investoren und Anlageberaterinnen: Die BOE gibt künftig nicht nur Kriterien für ESG-Anleihen vor. Sie macht auch die Liste der Emittenten öffentlich, von denen sie Bonds hält. „Wir hoffen, dass die Transparenz unseres Ansatzes andere Anleger dazu ermutigt und befähigt, Strategien zur Ökologisierung ihrer Portfolios weiterzuentwickeln“, kommentierte Gouverneur Andrew Bailey den Schritt.
Einige Marktbeobachterinnen und Marktbeobachter sind nun der Ansicht, dass die Europäische Zentralbank (EZB) dem Beispiel folgen und ebenfalls ESG-Standards einführen sollte. Wir haben bei zwei Vermögensverwaltern und der EZB selbst nachgehakt:

Tatjana Greil-Castro, Co-Leiterin Public Markets und Portfolio Managerin bei Muzinich & Co.

Unserer Ansicht nach wäre es der richtige Schritt, wenn die EZB dem Beispiel der Bank of England folgen würde. Viele Unternehmen und Staaten haben den Ernst erkannt und möchten sich nachhaltiger aufstellen, indem sie etwa Kohlenstoffneutralität anstreben. Solche Zielsetzungen gilt es zu unterstützen und hier steht auch der Finanzsektor in der Pflicht. Zudem könnte sich die EZB direkt mit Emittenten austauschen und gegenüber diesen darlegen, welche ESG-Anforderungen erfüllt und welche Daten hierzu bereitgestellt werden müssen, damit weiterhin Anleihen gekauft werden.
Ronald Van Steenweghen, verantwortlicher ESG-Anleihen-Portfoliomanager bei DPAM

Wir glauben, dass die EZB wahrscheinlich anderen Zentralbanken folgen und Klimakennzahlen in das Programm zum Ankauf von Unternehmensanleihen integrieren wird. Die Abkehr vom Grundsatz der Marktneutralität und die stärkere Ausrichtung auf die Markteffizienz im Einklang mit der Klimapolitik und den Klimazielen signalisiert die Bedeutung des Klimawandels im geldpolitischen Mix. Es wird für die EZB von entscheidender Bedeutung sein, Scorecards und Vorlagen zu entwickeln, die sowohl taxonomische Überlegungen als auch wissenschaftlich fundierte Netto-Null-Wirtschaftspfade integrieren, die den Übergang fördern und zu Maßnahmen führen, anstatt nur ein Ankreuzen von Kästchen vorzunehmen.
Die EZB selbst ist der Ansicht, dass ihre bisherigen Bemühungen genügen. Auf Anfrage von ESG report kündigte die Notenbank aber weitere Vorschriften für den Ankauf grüner Unternehmensanleihen an.
„Unser Klima-Aktionsplan aus dem Juli 2021 zeigt auf, wie wir – im Rahmen unseres Mandats – unseren Teil zum Kampf gegen den Klimawandels beitragen werden. So werden wir unter anderem auch die Regeln für Ankäufe von Unternehmensanleihen um Klimakriterien ergänzen. Zu diesen Kriterien gehört, dass Emittenten mit den Rechtsvorschriften der EU zur Umsetzung des Pariser Abkommens in Einklang stehen oder sich zu diesen Zielen bekennen.“
Fest steht: In diesem Jahr lag der ESG-Anteil im EZB-Unternehmensanleihe-Portfolio bei nur rund zehn Prozent. Diese Zahl beruht auf einer Auswertung der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Von einem hundertprozentigen Übergang auf Green-Bonds wie die englische Zentralbank ist die EZB somit noch weit entfernt. Die ESG-Quote nimmt allerdings immerhin bereits zu – auch das geht aus der Auswertung hervor.
Bis es von Seiten der EZB ein so klares Bekenntnis zu ESG-Bonds gibt wie von der Bank of England, könnte es noch eine Weile dauern. Doch die ersten Pläne stehen bereits. Womöglich könnte das Vorpreschen der Bank of England den Druck erhöhen – und die EZB nun einen Zahn zulegen.
Ihnen als Beraterinnen und Berater dürften verbindliche Kriterien und ein offengelegtes EZB-Anleiheportfolio sicherlich nicht schaden – bei dem einen oder anderen Greenwashing-Skeptiker unter den Kunden schafft die Auswahl aus oberster europäischer Finanz-Instanz sicherlich Vertrauen.

Schütz wechselt zu Golding Capital
Christian Schütz stößt als neuer Director ESG zu Golding Capital. Damit wollen die Münchener nach eigener Aussage den nächsten Schritt im Ausbau der ESG-Expertise gehen, nachdem bereits ein spezialisiertes Impact-Team gegründet worden ist. Schütz kommt von Pimco und war Mitglied der globalen Nachhaltigkeitsinitiative des Asset-Managers, hier hatte er eine Führungsrolle bei der Integration von ESG-Kriterien in den Kreditanalyseprozess inne.
Janus Henderson stockt ESG-Team auf
Gleich um sechs neue Mitarbeiter erweitert Janus Henderson Investors das ESG Investmentteam unter der Leitung von Paul LaCoursiere: ESG Research Lead in London ist Dan Raghoonundon, als Research-Analysten stoßen Charles Devereux und Olivia Jones dazu, Jesse Verheijen ist ESG-Datenanalyst, und Bhaskar Sastry ESG-Content-Manager. Das Team in Denver verstärkt Blake Bennett als Governance and Stewardship Analyst.
Neue Nachhaltigkeitschefin bei Ninety One
Nazmeera Moola wird beim anglo-südafrikanischen Vermögensverwalter Ninety One künftig für die Überwachung der unternehmensweiten Nachhaltigkeitsinitiativen verantwortlich sein. Ihre Position als Chief Sustainability Officer wurde neu geschaffen. Zu ihren künftigen Aufgaben gehören die Integration von Nachhaltigkeitskriterien bei Investments und der Übergang des Unternehmens hin zu Netto-Null-Emissionen.
Vontobel schickt Berater in die ESG-Lehre
Bis Ende Februar 2022 sollen rund 300 Vontobel-Kundenberater und Investment Consultants einen spezifischen ESG-Studiengang absolviert haben. Dafür ist der Schweizer Finanzdienstleister eine Kooperation mit dem Ausbildungszentrum für Finanzfachleute AZEK eingegangen. „Wir hoffen, dass unsere Berater Kunden auch in ESG-Fragen kompetent und nachhaltig beraten können“, sagt Director Wealth Management Daniela Diethelm. Auf das Prinzip Hoffnung allein scheinen sich die Schweizer, die gerne „Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit“ werden wollen, aber offensichtlich doch nicht verlassen zu wollen.

Was uns diese Woche noch auffiel

Grüne Trophäen
Beim Scope Award 2022 hat das Fondsanalysehaus vergangene Woche in mehreren Kategorien Preise für die besten Häuser im Bereich Nachhaltigkeit verliehen. Wie im Vorjahr ist DPAM (Degroof Petercam Asset Management) erneut als erfolgreichster ESG-Asset Manager in Deutschland ausgezeichnet worden. Als ESG-Spezialanbieter schnitt Carmignac Gestion am besten ab, als bester Asset Manager ESG-Aktienfonds Metzler, und bei den ESG-Renten siegte Fidelity International.

Blick in die Kristallkugel
Dass das Thema ESG-Investing weiter wächst, ist keine gewagte Theorie. Aber worauf wird es 2022 besonders ankommen? Wer als Investor die Realwirtschaft noch stärker beeinflussen möchte, kommt laut Maximilian Horster in den kommenden Monaten um zwei Werkzeuge nicht herum: Engagement und Stimmrechtsausübung. Der ESG-Datenexperte geht davon aus, dass sich Investoren künftig mehr einmischen werden, zum Beispiel indem Aktionäre ihre Erwartungen an die Klimastrategie von Unternehmen formulieren.

Neue ESG-Datenbank
Der Fintech-Vermögensverwalter Arabesque bringt eine neue ESG-Datenbank auf den Markt. Dafür hat er eine Allianz globaler Finanzinstitutionen um sich geschart, darunter Deutsche Bank, HSBC und Swiss Re. Das „ESG Book“ will nach eigener Aussage Nachhaltigkeitsdaten „verfügbar und vergleichbarer“ machen. So möchte man die zehn Prinzipien des UN Global Compact unterstützen. „Unternehmen können über eine digitale Plattform eigene Daten in Echtzeit zur Verfügung stellen und so für Transparenz sorgen“, heißt es in der Ankündigung. Inwieweit das gelingen wird, muss sich zeigen.

Alles wird gut?
Der letzte Monat des Jahres ist angebrochen und damit auch die Saison des sich Sammelns und Bilanzierens. Ein Gedanke hat sich in diesem Jahr immer weiter durchgesetzt: Nachhaltigkeit ist keine schicke Produktkategorie, sondern eine längst überfällige Systemreform. Unsere Welt verändert sich und in Konsequenz brauchen wir neue Regeln. Erfreulicherweise tut sich Einiges. Die deutsche Ampel gibt sich in Nachhaltigkeitsfragen weltmännisch und konziliant. Die internationalen Banken steuern um, bald gibt es an der Wallstreet sogar eine Bank mit weiblicher Führungsriege, die für Diversität eintritt. Trotz aller Krisen ist das doch etwas, auf das wir voller Zuversicht den Glühweinbecher erheben dürfen… oder?
Nicht ganz. „Trotz des heilsamen Wandels, den sie in Finanzkreisen bewirken mag, bleibt die ESG-Landschaft tückisch und unversöhnlich“, schreibt Joel Makower, Gründer der GreenBiz Group in einem lesenswerten Blogbeitrag. Die Quintessenz seiner klugen Analyse: Die Politik ist zerstritten, die ESG-Daten der Unternehmen sind uneinheitlich und unvollständig, und es mangelt ihnen oft an Konsistenz. Die Aufsichtsbehörden verharren weltweit im Schneckentempo, und wie der neue Bericht der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) einmal mehr bestätigt, gibt es auch in puncto ESG-Metriken und Transparenz von Ratings gigantische Lücken.
Angesichts dieser Umstände bleibt Makower zufolge vor allem der private Sektor als Hoffnungsträger, das Ruder herumzureißen: Vermögenseigentümer und -verwalter, Unternehmen und Verbände müssten „aggressiv einschreiten“. Das klingt zwar weniger nach Weihnachtswunsch, sondern mehr nach beherzten Neujahrsvorsatz. Einen tröstlichen Gedanken hat die ganze Debatte aber: Wir sitzen nicht nur im selben Boot, sondern können auch als Anlegerinnen und Berater einen Beitrag leisten – zum Beispiel, indem wir verstehen, dass ESG mehr ist als nur eine Asset-Klasse von vielen.
Autorinnen dieser Ausgabe:

Anne Hünninghaus + Mariam Misakian
Wir sind Redakteurinnen in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.