ESG report #15: Skeptiker geschickt überzeugen | Koalitionsvertrag | Sinus-Milieus

Kleines Quiz gefällig? Okay. Wo steht dieser Satz? "Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken sind Finanzrisiken." Sie brauchen einen Tipp? Gut, da steht auch dies : "Wir setzen uns für europäische Mindestanforderungen im Markt für ESG-Ratings und die verbindliche Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken in Kreditratings der großen Ratingagenturen ein."

Liebe Leserinnen und Leser,

Sie haben richtig geraten: Es handelt sich um den gestern vorgestellten Koalitionsvertrag der künftigen Regierung von SPD, Grünen und FDP. Die Ampelpartner machen sich also auf, die vielleicht größte Lücke beim Thema ESG zu schließen: Die Lücke zwischen oft allzu vollmundigen Versprechen und einem nachvollziehbaren und vergleichbaren Nachweis der echten Taten. So wird Transparenz in den kommenden Jahren Trumpf.

Ob das ESG-kritische Anleger irgendwann überzeugt? Wissen wir auch nicht. Denn eigentlich sind die meisten Argumente der Skeptiker grüner Anlagen schon längst widerlegt. Sie halten sich trotzdem hartnäckig. Dieses Phänomen kennen wir aus der aktuellen Impfdebatte. Wie man Gegner von Öko-Investments vielleicht doch noch von Finanzspritzen gegen die Klimakatastrophe überzeugt, darum geht es heute in unserem Schwerpunkt.

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Thema der Woche

So knacken Sie Kritiker

Wer in den vergangenen Wochen die Wertentwicklung der Big-Oil-Companies aus den USA verfolgt hat oder die der großen russischen Öl- und Gas-Konzerne, der reibt sich verwundert die Augen: Trotz massiver Desinvestments und all der Abgesänge auf dreckige Geschäfte ohne Zukunft weisen die Kurse nordwärts. Der Grund ist einfach: Die Rohstofflager im Westen sind leer, der Energiehunger im Osten ist groß und so flammen die Preise fossiler Brennstoffe auf.

Auch Anleger, die bei der Rally dabei waren, dürfen sich bestätigt fühlen: Mit angeblich gestriger Technologie lässt sich auch im Hier und Jetzt kräftig kassieren. Wind- und Sonnenenergie haben gegen Öl und Kohle keine Chance.

Echt jetzt? Stimmt es tatsächlich, dass Investoren, die auf ESG-Kriterien achten, Rendite verschenken? Die kurze Antwort lautet: Nein. Wir wissen aus vielen Studien der Vergangenheit, dass die Nachhaltigkeits-Orientierung von Unternehmen die Performance nicht beeinträchtigt. Eine der bekanntesten Analysen zu dem Thema stammt bereits aus dem Jahr 2015 und zeigte im Gegenteil sogar einen positiven Zusammenhang. Hohe ESG-Qualität zahlte sich also aus.

Nun waren die darauffolgenden Jahre nicht nur geprägt von einem steigenden Umweltbewusstsein bei Unternehmen und auch vielen institutionellen Investoren, sondern auch vom Ausnahmezustand der Pandemie. Und hierbei bewiesen ESG-Anlagen abermals Stärke: Aktien mit einem geringem ESG-Risiko schnitten zuletzt nämlich gerade in schwachen Märkten und der Krise besser ab als Umwelt- und Sozialsünder, zeigen beispielsweise Analysen der Ratingagentur Morningstar. Für die Zukunft prognostizieren Kapitalmarktforscher ohnehin jede Menge Vorteile für nachhaltige Investments. Die Morningstar-Analysten sehen hier auch einen kausalen Zusammenhang – für nachhaltige Aktien genauso wie für ESG-Anleihen:

Ein niedrigeres ESG-Risikorating führt zu günstigeren Kapitalkosten, niedrigeren Zinsen für Unternehmensanleihen und einem höheren Aktienkurs, weil das Ausfallrisiko sinkt.

Zurück zu den Skeptikern: Kann man sie mit Fakten überzeugen? Oder braucht es einen anderen Vertriebsansatz, um sie neugierig zu machen und für umweltfreundliche Anlageprodukte zu werben? Nun, vielleicht ist es hilfreicher, sich Menschen mit ESG-Desinteresse so ähnlich zu nähern wie den sogenannten Impfskeptikern. Die lassen sich schließlich auch nicht unbedingt durch die erdrückende Faktenlage von ihrer Meinung abbringen. Ein Teil bleibt unbeirrt und unbelehrbar.

Hier wiederum ist ein Griff in die argumentative Trickkiste gefragt. Unser Rat lautet daher: Versuchen Sie es mal mit Fluency. Nie gehört? Der Begriff geht auf Arbeiten der Schweizer Psychologen Rolf Reber und Norbert Schwarz zurück. die sich Ende der 1990er Jahre mit "Effects of Perceptual Fluency on Judgments of Truth" befasst haben, oder in Akademikerdeutsch mit dem Einfluss perzeptueller Flüssigkeit auf Wahrheitsurteile von Menschen. Was soll das nun bedeuten, und wie hilft es beim Kundentermin?

Nun: Kurz gesagt fanden die beiden Forscher heraus, dass Menschen Informationen besser verarbeiten können, je weniger Informationen sie aufnehmen müssen, je besser diese strukturiert sind und je deutlicher sie erscheinen. Das ist ganz wörtlich gemeint: Lassen sich Argumente besser lesen, weil sie in kontrastreicher Schrift daherkommen, dann nehmen Menschen sie leichter auf – und halten sie tatsächlich häufiger für wahr.

Es zählt also nicht die Güte oder Zahl der Argumente, um Skeptiker zu überzeugen – sondern einfache und plakativ verpackte Botschaften. Versuchen Sie das mal, tragen Sie statt all der guten Argumente für ESG bloß ein einziges vor, das aber ausgeschmückt mit einem griffigen Beispiel und in knalligen Farben. Besser einmal flüssig argumentiert als im Überfluss.

Das wäre doch auch mal ein Gedanke für neue Impfangebote.

Auf einen Blick

Was uns diese Woche noch auffiel

ESG-Test mit verblüffendem Ergebnis

ESG-Test mit verblüffendem Ergebnis

„Besonders nachhaltig am Begriff der Nachhaltigkeit ist bislang seine Unschärfe“, schreibt Bernhard Bomke von "Euro am Sonntag". Daher hat er eine Studie in Auftrag gegeben, die Anbieter von ESG-Fonds genauer unter die Lupe nimmt. Besonders interessant: Nicht nur schafft es die Hypovereinsbank im ESG-Ranking auf Platz eins unter den Geldinstituten und liegt damit vor klassischen Nachhaltigkeitsbanken. Auch die gescholtene DWS überrascht: Sie holt sich die Silbermedaille bei den Asset Managern.

AM kritisieren selektives ESG-Reporting

AM kritisieren selektives ESG-Reporting

Apropos Asset Manager: Zwei Drittel von ihnen bemängelt die ESG-Berichterstattung seitens der Unternehmen. Es sei zweifelhaft, ob Firmen tatsächlich relevante, zuverlässige oder gar vollständige Informationen liefern würden. Um überhaupt eine fundierte Investitionsentscheidung für Kunden treffen zu können, braucht es daher weltweit einheitliche Standards – so die Forderung.

ESG-Lab für Transparenz & zukunftsfähige Bewertungen

ESG-Lab für Transparenz & zukunftsfähige Bewertungen

An einer potenziellen Lösung des AM-Problems wird bereits fleißig in Skandinavien gearbeitet: Im neuen ESG-Lab von DNB Asset Management kooperieren Analysten mit Wissenschaftlerinnen, Think Tanks, Branchenexpertinnen und Investoren. Gemeinsam werkeln sie an einer umfassenden Datenbank, mithilfe derer Portfoliomanager die ESG-Eigenschaften von Unternehmen bestimmen können. Außerdem stellt das ESG-Lab Instrumente zur Verfügung, die ein aussagekräftigeres und transparenteres Reporting ermöglichen sollen, intern wie extern.

Ein letzter Schluck

Soziale Milieus berücksichtigen

Laut einer aktuellen Online-Umfrage von YouGov sehen bloß zehn Prozent der 18- bis 24-Jährigen in Deutschland Nachhaltigkeit als das wichtigste Entscheidungskriterium beim Investieren an. Bei den 44- bis 54-Jährigen sind es noch weniger: Gerade einmal fünf Prozent priorisieren Umweltschutz im Depot. Was in beiden Fällen äußerst mickrig erscheint, offenbart zugleich auch eine klare Diskrepanz zwischen Jung und Alt, die Sie als Berater kennen sollten. Denn die Jüngeren sind immerhin doppelt so oft für Nachhaltigkeitsthemen entflammbar.

So weit, so klar. Alter allein ist allerdings kein hinreichendes Kriterium für die Beurteilung einer Zielgruppe. Neben soziodemografischen Variablen spielen auch Einkommen, Bildung und Werte-Orientierung eine entscheidende Rolle für den individuellen Tatendrang; sei es beim Anlage- oder Impfverhalten.

Mithilfe der sogenannten Sinus-Milieus, also Gruppen von Gleichgesinnten, können Sie als Berater Ihre Kunden noch zielsicherer einschätzen. Das hilft im Beratungsgespräch. Denn mit Modellen zu sozialen Milieus im Werkzeugkasten lassen sich unterschiedlichste Anlagetypen entwerfen, auf die Sie fortan individuell eingehen können. Da finden sich schon mal risikoaffine Börsenneulinge unter 30, die so rein gar nichts von ESG halten und viel lieber in renditeträchtige Tech-Titel investieren, koste es die Umwelt, was es wolle. Oder die 50-jährige Kundin, die aufgrund von Bildung und Beruf an nachhaltigen Anlagen überraschend großes Interesse zeigt. Scheren Sie also nicht ganze Generationen über einen Kamm – damit entgehen lukrative Möglichkeiten.

Autoren dieser Ausgabe:

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Udo Trichtl + Olaf Wittrock

Wir sind Redakteure in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.

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