ESG report #14: So geht Vertrieb nach Glasgow | Dürre | Glücksspiel
Liebe Leserinnen und Leser,
zugegeben, das ging noch schneller als erwartet: Kaum ist der internationale Weltrettungstross wieder aus Glasgow abgereist, mit einer weiteren hart verhandelten und weich formulierten Abschlusserklärung in Sachen Kohleausstieg (phase-down statt phase-out) im Gepäck, und doch ohne das angedachte Aus für Diesel und Benziner, da haben wir alle schon wieder in den Corona-Modus umgeschaltet.
Klimapakt, war da was?
Auf den zweiten Blick war vielleicht weniger als von manchen erhofft, aber doch mehr, als man erwarten durfte von dieser in Umweltfragen überaus uneinigen Weltgemeinschaft. Tatsächlich stehen nach Glasgow nämlich einige Veränderungen an, mit denen sich Investoren und Finanzvertriebe jetzt konkret befassen sollten. Denn sie werden das Geschäft verändern – weit vor der Zulassung des letzten Verbrenner-Autos. Die wichtigsten Neuerungen und Erkenntnisse rund um die COP26-Konferenz haben wir in dieser Ausgabe für Sie zusammengefasst.
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Nach der Klimakonferenz: Was jetzt für Investoren und Finanzvertriebe wichtig wird
Erkenntnis 1: Das Ende des Sprits ist endgültig besiegelt
Auch wenn sich die Bundesregierung, VW und BMW bis zuletzt nicht dazu durchringen konnten, einer Initiative zum Ende des Verbrenner-Motors bis spätestens 2040 beizutreten, steht doch fest, dass die Tage der Spritschleudern gezählt sind. Denn in Glasgow haben sich bereits 30 Staaten zum Ausstieg bekannt, darunter Großbritannien, Kanada, Indien, Mexiko, komplett Skandinavien, die Türkei, Polen und viele mehr. Auch Uber, Siemens und Ikea sind dabei, und selbst Kalifornien macht im Autoland USA schon mit. Druck kommt zudem auch vom Seiten der Investoren. Die Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ), ein neu geschaffenes Bündnis von 450 Banken und Versicherungen, Pensionsfonds, Börsen und Ratingagenturen, Indexanbietern und Wirtschaftsprüfern, will massiv Geld in grüne Projekte umschichten – von kaum vorstellbaren 130 Billionen US-Dollar Kapital ist hier die Rede.
Was dieses neue Bündnis vorhat, ist zwar noch ähnlich vage wie das UN-Abschlussdokument, aber kurz vor Schluss trat auch die US-Investmentbank JPMorgan Chase & Co. dem Netto-Null-Team bei. Und das ist ein echter Schlag für die Benzinlobby. Denn die größte US-Bank ist bislang auch der weltgrößte Finanzier der Ölindustrie, wie die US-Kampagne "Banking on Climate Chaos" vorrechnet: Nach deren Berichten hat die Bank in den vergangenen fünf Jahren 317 Milliarden US-Dollar in den fossilen Energiesektor gepumpt. Wenn damit nun Schluss sein sollte, geht der Autoindustrie schon sehr bald der Sprit das Geld aus, Tesla reibt sich schon die Hände. Und so manche Dax-Schwergewichte sollten bei ihrer Neuerfindung einen Zahn zulegen.
Erkenntnis 2: Der weltweite Zertifikatehandel kommt
Okay, die Finanzierung der Verbrennungsmotoren stottert. Was aber ist mit den Spritpreisen? Auch hier könnte Glasgow sich als Gamechanger erweisen. Denn die Staaten haben sich tatsächlich auf einen weltweiten CO2-Zertifikate-Handel geeinigt. Dieser Marktmechanismus versieht das klimaschädliche Gas aus der Kohle- und Öl-Verbrennung mit einem Handelspreis. Das Interesse von Unternehmen, durch den Kauf von Ausgleichszertifikaten ihre Emissionslast zu senken, steigt seit einiger Zeit stark an, was wiederum Projekte zur Regenation und CO2-Freien Energieerzeugung finanziert. Das neue Regime beseitigt nun bisherige Probleme mit Doppelanrechnungen und dürfte den CO2-Markt weiter beleben. Was das mit dem Spritpreis zu tun hat? Nun, der ist in Deutschland tatsächlich stark gestiegen, seit es diesen Handelsmechanismus bei uns gibt. Das ist der Deal: Die Inflation der Energiepreise schafft Lenkungswirkung in Richtung Klimaschutz. Neue Investitionschancen für Erneuerbare kommen dazu.
Erkenntnis 3: Der Kapitalmarkt gewinnt an Transparenz
Schon etablierter als die neue GFANZ ist das Vermögenverwalter-Bündnis Climate Action 100+, dem sich inzwischen 615 Investoren weltweit angeschlossen haben – ganz große Teil der Fondsindustrie sind mit dabei. Auch diese Gruppe hat sich am Rande des Glasgow-Gipfels getroffen und über ihre ganz eigenen Themen gesprochen. Es ging natürlich ums Greenwashing, oder vornehmer ausgedrückt, um fehlende Standards für die Bewertung von Unternehmen in Sachen Klimaschutz. Das will man nun ändern und eine klare Definitionen des Begriff "Netto-Null-Ziel" unter anderem für die Lebensmittel-, Stahl- und Energieindustrie erarbeiten. Die ebenfalls von Fondsgesellschaften gegründete Transition Pathway Initiative stellt zudem ab Januar kostenlos Klimadaten von über 10.000 Large Caps zur Verfügung, sowie von staatlichen und privaten Anleiheemittenten. Nachdem sich parallel dazu weltweit ein Trend zur verpflichtenden Berichterstattung über Klimarisiken durchsetzt, wird allmählich klar: Sünder fallen bald erst auf. Und dann bei Investoren in Ungnade.
Fazit:
Auch wenn Greta Thunberg den Gipfel für Blah Blah erklärte, steht fest: In und rund um Glasgow bekommt die Klimawende immer mehr Konturen – und die Bewegung zur Emissionsfreiheit nimmt Fahrt auf. Gut möglich, dass es nun in exponentieller Geschwindigkeit weitergeht, wir also gerade den Anfang eines echten Umschwungs erleben. Die Kapitalgeber, die sich zum Klimaschutz bekennen, sind jedenfalls namhaft und zahlreich. Gründe genug, jetzt auch als Privat-Investor einzusteigen, bevor der Vorsprung der Vorreiter wächst.

Deka legt klimafreundlichen Renten-ETF auf
Deka MSCI EUR Corporates Climate Change ESG UCITS ETF
· ISIN: DE000ETFL599
· WKN: ETFL59
· Referenzindex: MSCI EUR Corporates IG Climate Change ESG Select
· Replikationsmethode: physische Vollreplikation
· Ertragsverwendung: ausschüttend
· Laufende Kosten (p.a.): 0,19 Prozent
Das Wertpapierhaus Deka Investments hat einen börsengehandelten Indexfonds lanciert, der als weltweit erster ETF den klimafreundlichen Rentenindex von MSCI abbildet. Der Deka MSCI EUR Corporates Climate Change ESG UCITS ETF investiert in Unternehmensanleihen aus Europa. Aktuell hält der Fonds 120 in Euro denominierte Anleihen von 81 Emittenten mit Investment-Grade-Rating.
Was macht den Fonds zum ESG-Investment?
Der ETF setzt auf einen Nachhaltigkeitsfilter, kombiniert mit einer „systematischen Bewertung von Risiken und Chancen des Klimawandels“, teilte die Gesellschaft mit. Heißt: MSCI wendet ein Low-Carbon-Transition-Scoring (LCT-Scoring) auf Emittenten an. Das Modell identifiziert Aktien von Unternehmen, die mit Blick auf ihre CO2-Emissionen über ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell verfügen. Ins Depot schaffen es die Unternehmen mit den besten LCT-Scores innerhalb ihrer Branche.

Was uns diese Woche noch auffiel

Lebensmittelpreise steigen rasant
Die Welt steht vor einer neuen Ära stark steigender Lebensmittelpreise, die schon bald fast zwei Milliarden Menschen neu in den Hunger treiben könnte. Das schreibt der Branchendienst Bloomberg Green in einer äußerst lesenswerten Reportage. Darin beschreiben die Journalisten, wie Frost, Überschwemmungen und Dürre rund um den Globus Ernte vernichten – und mit welchen Strategien und Innovationen Landwirte gegensteuern.

ESG ist im Berater-Alltag angekommen
Nachhaltigkeit hat den Weg in die Beratung gefunden. Laut einer Umfrage der Fidelity-Fondsbank FFB unter 232 Finanzberatern weisen mittlerweile zwei Drittel der Befragten ihre Kunden im Gespräch aktiv auf das Thema hin. Bei rund 40 Prozent sind es dagegen die Kunden, die nach nachhaltigen Investments fragen. Drei Viertel davon legen besonderen Wert auf ökologische Aspekte, mehr als die Hälfte der Kunden interessiert sich vor allem für das „S“ in ESG.

Grüne Assekuranz
Das unabhängige Analysehaus Morgen & Morgen und Zielke Research Consult haben erstmals gemeinsam ein Nachhaltigkeitszertifikat für Versicherungsunternehmen vergeben. Dieses bewertet auf Basis des Corporate-Social-Responsibility-Reports, wie nachhaltig das jeweilige Unternehmen agiert. Insgesamt haben sich 14 Unternehmen für die höchste Auszeichnung, das Goldlabel, qualifiziert. Spitzenreiter wurde die Axa, gefolgt von Basler und der SV Sparkassenversicherung

Schreiben Sie das Zeugnis nicht zu früh!
Setzt ein ESG-Fonds auf Ausschlusskriterien – jede Wette, dass Glücksspiel auf seiner roten Liste steht. Auch Ihre Kunden dürften mit Verwunderung oder sogar Ärger reagieren, wenn Sie ihnen ein Wettbüro als ESG-Investment vorschlagen. Aber lassen Sie uns den Gedanken doch einmal zulassen. Nachhaltigkeit ist ein Megatrend, der vor keiner Branche Halt macht. Auch die Glücksspielindustrie hat der Zeitgeist mit voller Wucht erfasst. Das britische Unternehmen Entain hielt in der vergangenen Woche gar eine hauseigene ESG-Konferenz ab. Dort ging es um das Engagement in der Suchtprävention, um Spenden für Gemeinden und Sportvereine. Und um 100 Millionen Euro, die das Unternehmen in den nächsten Jahren in ESG-Initiativen investieren will.
Klingt schräg? Ist es auch. Aber Entain ist nicht das einzige Unternehmen aus sündiger Branche, das im Sinne von ESG-Kriterien zumindest versucht, besser zu sein als die Konkurrenz. Und das wirft eine Reihe von Fragen auf, die ESG-Investoren zumindest einmal durchdenken sollten. Etwa: Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Kann man durch viel E ein schwaches S kompensieren? Und was hat es für einen Effekt, wenn man Branchen von Anfang an suggeriert: Die Zeugnisse sind bereits geschrieben, ihr habt keine Chance, egal wie sehr ihr euch anstrengt?
Branchen wie Glücksspiel, Tabak oder Öl sind unzweifelhaft fragwürdig. Die ihnen angehörenden Unternehmen machen mit ihren Produkten süchtig, töten schleichend, verpesten die Umwelt. Zur Wahrheit gehört aber auch: Sie sind Teil unserer Welt und werden es auch für lange Zeit bleiben. Die Antwort auf die obigen Fragen bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Womöglich hat es aber noch fatalere Folgen, allein aus Prinzip an Denkmustern festzuhalten.
Diese Ausgabe geschrieben haben

Alexandra Jegers + Olaf Wittrock
Wir sind Redakteurin und Partner in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.