ESG report #13: ESG-Blasen-Panik | Was ist das ISSB? | Grüne Mode
Wo ist der Haken? Geben Sie es zu, irgendwas ist da doch faul… Da müssen wir wohl einen Blick ins Kleingedruckte werfen.
Liebe Leserinnen und Leser,
wer im Vertrieb arbeitet, kennt solche Sätze. Manches Angebot erscheint Kundinnen einfach zu gut, um wahr zu sein. Ein Investment, das den Planeten grüner macht und dabei noch eine tolle Rendite abwirft? Da stimmt was nicht, flüstert der innere Kritiker. Zugegeben – die Greenwashing-Skandale der vergangenen Monate haben manche Skepsis zu Recht genährt. ESG-Anlagen nun aber gleich als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ zu bezeichnen, mögen die meisten, nunja, doch etwas weit aus dem Fenster gelehnt finden. Diese Umschreibung tauchte jetzt in der Kolumne eines Ökonomen auf capital.de auf. Wir haben uns seine Argumente angeschaut.
Außerdem in der heutigen Ausgabe: Frankfurt wird Hauptsitz des International Sustainability Standards Boards! Aber… was ist das eigentlich? Wir erklären. Zum Schluss geht es dann noch um die verschollenen Sneaker von Hip-Hopper Jan Delay und die Nachhaltigkeitsbemühungen der Modebranche. Dazu dürfen Sie sich heute übrigens besten Gewissens statt der Tasse Kaffee ein Kölsch gönnen und mit grünem Recycling-Konfetti werfen, schließlich ist der 11.11.!
Alaaf aus Köln
Ihre ESG-Redaktion
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ESG-Investments mit guter Rendite sind zu schön, um wahr zu sein
Wer von einem Thema keine Ahnung hat, lässt lieber die Finger davon. So sehen es auch viele Privatanleger. In einer aktuellen Umfrage der Investmentbank Natixis gaben 41 Prozent der weltweit Befragten zu, sie wüssten nicht ausreichend über das Thema ESG Bescheid. Diese Wissenslücke war für sie auch der Grund, das Thema bei ihren eigenen Investitionen auszuklammern. Gute Beratung würde hier also Abhilfe schaffen.
Informationen sind auch deshalb so gefragt, weil das Image nachhaltiger Anlageprodukte angekratzt ist. Whistleblower und Skandale haben Anlegerinnen aufgeschreckt. Und nun geistert immer häufiger das Wörtchen „Blase“ durch den Raum. Bislang bahnte sich die ESG-Skepsis aus der Finanzbranche entweder von Insidern wie Ex-Blackrock-ESG-Experte Tariq Fancy ihren Weg in die Medien oder sie fand eher hinter vorgehaltener Hand statt.
Drastische Worte wählte nun Ökonom Peter Seppelfricke, der an der Hochschule Osnabrück Finanzwirtschaft lehrt. In einer Kolumne auf capital.de mit dem Titel „Sind nachhaltige Anlagen finanzielle Massenvernichtungswaffen?“ äußerte er seine Bedenken zur grünen Welle. Sein Urteil: "Die massiven Zuflüsse von unkritischen Anlegern blasen die Kurse von ESG-Fonds gefährlich auf." Dass gute Taten auch gute Renditen bringen können, erscheint ihm wenig logisch.
Empirisch hätten sich nachhaltig anlegende Fonds in den letzten Jahren prächtig entwickelt. Neuere Forschungen würden jedoch zeigen, dass "die überlegene Performance von ESG-Fonds maßgeblich Flow-getrieben ist“, schreibt Seppelfricke. Damit meint er: Die hohen Mittelzuflüsse in ESG-Fonds führen zu einem sich selbst verstärkenden Nachfrageplus nach den in den Fonds enthaltenen Aktien. Die steigenden Kurse münden in dieser Argumentation geradewegs in ein Perpetuum Mobile – das allerdings in einem Crash enden könnte, schneller als es vielen Anlegern lieb sei. Executive Summary: Alles zu schön, um wahr zu sein.
Ökoworld-Fondsmanager Nedim Kaplan hält nicht viel von der These, arglose Anleger tappten nun massenweise in die ESG-Blasen-Falle. In seinen Augen geht es aber eher um die Strategie im Einzelnen als um das ESG-Etikett per se. Wir haben nachgefragt.
Nedim Kaplan, Senior Portfolio Manager bei Ökoworld

"Es ist grundsätzlich schwierig, 'ESG-Fonds' unter einem Oberbegriff zusammenzufassen. Je nach Vermögensverwalter kommen hier sehr unterschiedliche Anlageuniversen und Portfolien zustande. Bezogen auf unsere Fonds halten wir aber nicht viel von der These. Wir verfolgen einen streng sozialen, ethischen und ökologischen Investmentansatz, darüber hinaus bildet das Stockpicking bzw. die Fundamentalanalyse von Einzeltiteln das Herzstück im Portfoliomanagement. Hierzu zählt neben einer gesunden Bilanz und einem erfahrenen Management auch, dass die aktuelle Bewertung des Unternehmens das künftige Ertragspotenzial in der Zukunft widerspiegelt. Unternehmen, die hierzu im Widerspruch stehen, werden links liegen gelassen. Gutes tun ist selbstverständlich nicht immer gleichzusetzen mit guter Rendite, wir sind keine Sozialromantiker des 19. Jahrhunderts. Beides miteinander zu verknüpfen ist gewiss nicht einfach. Aber mit einer entsprechenden Strategie kann man Klimaschutz, Ressourcenschonung und andere Investmentthemen mit einer satten Rendite in Einklang bringen."
Als Beleg führt Kaplan – natürlich – den hauseigenen Klimafonds ins Feld, der in den vergangenen fünf Jahren nach Kosten 175 Prozent Rendite erwirtschaften konnte. Kritiker mögen dennoch auf den Selbstverstärkungs-Effekt verweisen. Fakt ist aber auch: In einer selbstgebauten Falle landen wir definitiv, wenn sich die Klima-Teufelsspirale weiter fortsetzt. Statt also von ESG abzurücken, gilt es ESG ernst zu nehmen.

Das ISSB kommt nach Frankfurt. Aber was bedeutet das?
Frankfurt wird Hauptstadt des International Sustainability Standard Board (ISSB). Das gab die Organisation auf der Weltklimakonferenz in Glasgow bekannt. Die Ehre ist groß, denn auch andere wichtige Finanzplätze wie London, Kanada, Japan und Genf hatten sich für den Posten geworben. Doch warum ist das ein Grund zum Feiern? Und was macht das ISSB überhaupt?
Nun: Das ISSB wird zukünftig weltweite Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen setzen, genannt „Global Baseline“. Diese Standards sollen es Unternehmen ermöglichen, umfassende Nachhaltigkeitsinformationen für die globalen Finanzmärkte bereitzustellen. Das soll ein wichtiger Schritt zur Erreichung der Klimaziele sein und Ihnen sowie Anlegern vor allem dabei helfen, Risiken und Chancen in Bezug auf ESG bei ihrer Geldanlage besser einschätzen zu können.
Das Frankfurter Gremium soll zu Beginn aus 20 Mitarbeitern bestehen, zu einem späteren Zeitpunkt sollen es 80 werden. Die Organisation wurde von der Stiftung International Financial Reporting Standards Foundation (IFRS) mit Hauptsitz in London ins Leben gerufen. Für den Finanzplatz Frankfurt ist der Zuschlag in jedem Fall ein großer Gewinn, werden Politiker nicht müde zu betonen. Deutschland etabliert sich auf diese Weise international als führender Standort für nachhaltige Finanzierungen.

Was uns diese Woche noch auffiel

Axa IM: ACT-Kennzeichen für strengere ESG-Vorgaben
Der französische Vermögensverwalter Axa Investment Managers (Axa IM) ordnet 70 Prozent seiner Fondspalette ESG-Investments zu. Diejenigen Fonds, die dabei besonders strenge ESG-Richtlinien einhalten müssen, bekommen künftig eine neue Kennung. Die Vorgaben beziehen sich auf spezifische Nachhaltigkeitsziele zu Klimawandel und sozialer Ungleichheit. Sie tragen künftig das Label „ACT“ im Fondstitel. Das soll Beratern und Anlegern die Auswahl erleichtern.

130 Billionen US-Dollar fürs Klima
Die internationale Finanzwelt bekennt sich zu Nachhaltigkeit: Beim Klimagipfel in Glasgow haben sich 450 der größten Finanzinstitutionen der Welt dazu verpflichtet, ihre insgesamt 130 Billionen verwalteten US-Dollar (umgerechnet 112 Billionen Euro) zukünftig bevorzugt klimaneutral zu investieren. Der Wandel soll bis zum Jahr 2050 vollzogen sein – wie schnell die Banken innerhalb dieses Zeitraums jedoch tatsächlich aus Öl, Gas und Kohle aussteigen, bleibt weiterhin ihnen überlassen.

Anleger switchen auf ESG-ETFs
Die Zuflüsse in ESG-ETFs nehmen weiter Fahrt auf: Von 92 Milliarden Euro an neuen ETF-Geldanlagen in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres entfielen in Europa 44 Milliarden Euro – also nahezu die Hälfte – auf ESG-ETFs, zeigt eine Analyse des französischen Vermögensverwalters Amundi. Auch bei Anleihe-ETFs ist ESG beliebt: 46 Prozent der Zuflüsse flossen im selben Zeitraum in ESG-Anleiheindizes.

Nachhaltigkeit ist in Mode
Was haben die Turnschuhe von Sänger Jan Delay und Moderatorin Linda Zervakis mit ESG-Investments zu tun? Mehr als Sie auf den ersten Blick vermuten mögen. In einem Experiment untersuchen die Promis derzeit gemeinsam mit dem Rundfunksender NDR, der Tageszeitung "Die Zeit" sowie dem Recherche-Start-up Flip, was an den Nachhaltigkeits-Versprechen von Schuhherstellern dran ist.
Dafür haben sie GPS-Sender in ihren alten Sneakern versteckt und sie nun über verschiedene Entsorgungskanäle in die Welt geschickt – zum Beispiel über einen Altkleidercontainer des Roten Kreuzes oder in Boxen von Textilhersteller Zara und Sporthändler Nike. Letztere versprechen, man würde den Schuhen ein neues Leben schenken. Was bei dem Experiment herauskommt, erfahren Zuschauer dann in fünf Monaten.
Wie viel das mit ESG zu tun hat? Mehr denn je. Wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht, denken nämlich die Wenigsten an die Modebranche. Im Gegenteil: Die Konzerne landen immer wieder wegen menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, umweltschädlichen Chemikalien und einer ressourcenintensiven Produktion in den Medien. Mit Recyclingkampagnen versuchen sich viele dieser Firmen seit Jahren einen grünen Anstrich zu verpassen. Wo die alte Kleidung tatsächlich landet, ist dank komplizierter Lieferketten kaum nachvollziehbar.
Künftig könnte die Modebranche in der EU weniger leicht mit Greenwashing davonkommen. Nicht zwingend wegen des Turnschuhexperiments, sondern vor allem dank des EU-Aktionsplans für Kreislaufwirtschaft. Gerade ressourcenintensive Sektoren wie die Textilbranche werden stark davon betroffen sein – bis zum Jahr 2050 müssen sie ihre lineare Produktionsmaschinerie somit Schritt für Schritt umstellen. Konkrete Vorgaben bleiben noch abzuwarten. Aber bleiben wir optimistisch: Vielleicht kommt bald der Tag, an dem Sie Ihren Kunden Modekonzerne guten Gewissens als nachhaltige Geldanlagen präsentieren können.
Autorinnen dieser Ausgabe:

Anne Hünninghaus + Mariam Misakian
Wir sind Redakteurinnen in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.