ESG report #12: UN-Klimakonferenz I CEOs auf Nachhaltigkeitskurs
Aktuell findet im schottischen Glasgow die 26. UN-Klimakonferenz statt. Rund 200 Parteien arbeiten daran, die anthropogene Erderwärmung deutlich unter zwei Grad gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen.
Liebe Leserinnen und Leser,
Greta Thunberg spottet über das "Blabla" in den Absichtserklärungen der COP26. Zu den Net-Zero-Plänen schreibt die Aktivistin auf Twitter, sie wolle auch bei Schimpfwörtern künftig die Netto-Null anstreben: "Für den Fall, dass ich etwas Unangemessenes sagen sollte, verpflichte ich mich, dies durch nette Worte zu kompensieren."
Damit es nicht nur bei netten Worten und grünen Worthülsen bleibt, braucht es konkrete Taten. Welche das sein müssten, das haben wir für Sie exklusiv bei einem Teilnehmer der COP26 nachgehakt.
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Im Gespräch mit...
Markus H.-P. Müller, Globaler Leiter Chief Investment Office Private Bank bei der Deutschen Bank
Herr Müller, Sie sind bei der COP26 live vor Ort. Wie ist die Stimmungslage unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern?
Leider startete der UN-Klimagipfel mit einem Dämpfer, da die großen Wirtschaftsmächte auf ihrem G20-Gipfel darum gerungen haben, ein signifikantes Signal für mehr Klimaschutz zu senden. Aus dem veröffentlichten Kommuniqué geht kein klares Zieldatum für den Ausstieg aus der Kohleverstromung und die Kohlendioxidneutralität hervor. Jedoch könnte der Klimagipfel auch positiv überraschen, so wie es einst beim Pariser-Abkommen der Fall war – aber das bleibt abzuwarten.
Welche Rolle spielt die Finanzindustrie im Kampf gegen den Klimawandel?
Die Finanzindustrie hat eine wichtige Aufgabe in der nachhaltigen Transformation. Wenn die EU bis 2050 klimaneutral sein soll, wird das Investitionen in Höhe von etwa 300 Milliarden Euro pro Jahr erfordern. Zwei Drittel davon werden aller Voraussicht nach von privaten Investoren kommen müssen.
Wie lassen sich Finanzströme besser mobilisieren?
Der Anteil an ESG-Investmentfonds liegt in Europa bei 1,7 Billionen US-Dollar. Die finanziellen Mittel sind also vorhanden. Neue Investitionsmöglichkeiten in ökologische Nachhaltigkeit werden nicht nur zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen, sondern auch einzelnen Anlegern und dem Finanzsystem insgesamt zugutekommen. Hier leistet die Finanzindustrie bereits heute einen erkennbaren Beitrag, indem sie der steigenden Nachfrage der Anleger nach mehr Nachhaltigkeit in ihrem Portfolio begegnet.
Wo muss die Branche noch besser werden?
Zukünftig wird die Finanzindustrie von strengen Grundsätzen der Nachhaltigkeit geleitet sein – sei es in Bezug auf Umwelt, Gesellschaft oder gute Unternehmensführung. Diese Faktoren werden mindestens genauso wichtig sein, wie die traditionellen finanziellen Ziele, die Jahrzehnte im Fokus standen. Allerdings orientiert sich der Handlungsspielraum der Finanzindustrie an den regulatorischen Vorgaben. Mit klareren Definitionen, globalen Standards von Nachhaltigkeit, verbesserten Messungen von nachhaltigen Finanzströmen und der Bewertung ihrer Wirkung können wirtschaftliche und politische Entscheidungen gelenkt werden.
Unser Fazit für Ihren Job:
Taten sprechen lauter als Worte. So gut wie jede ESG-Anlegerin hat mittlerweile von Greenwashing und nicht-einheitlichen Standards gehört oder gelesen. Sie als Vertriebler haben die Chance, sich durch eine umfassende Beratungsleistung in den Kundengesprächen zu profilieren und die Geldströme in die richtige Richtung zu manövrieren. Wer in nachhaltige Anlagen investiert, soll diese auch bekommen. Können Sie dafür sorgen, tun Sie was Gutes für die Biodiversität und nebenbei auch für Ihre Reputation.
Das sind Müllers Standpunkte, die er in Glasgow zur Diskussion stellt:
- Naturreichtum sichern: Der Rückgang der Artenvielfalt hat erhebliche negative Auswirkungen auf das BIP. Nach einer Schätzung des WWF könnte der Verlust der biologischen Vielfalt bis 2050 zu einem Verlust des globalen BIPs in Höhe von 129 Milliarden US-Dollar pro Jahr führen.
- Rahmenwerk für Naturkapital: Das BIP und andere volkswirtschaftliche Kennzahlen müssen um alternative Indikatoren ergänzt werden. Einer der wichtigsten Schritte wäre, den inneren Wert des Naturkapitals zu ermitteln. Diese Wertermittlung sollte auf einem Preismechanismus beruhen, um auch negative externe Effekte zu berücksichtigen, ohne den Verlust der biologischen Vielfalt auf Zahlen in einem Gewinn- und Verlustbuch zu reduzieren.
- "Net positive" statt "do no harm": In den aktuellen Diskussionen steht hauptsächlich die Frage im Raum, wie wir als Menschheit es schaffen, dass sich die negativen Auswirkungen menschlichen Handelns so wenig wie möglich auf die Umwelt auswirken. Das ist allerdings etwas kurzsichtig. Um die biologische Vielfalt zu schützen, dürfte künftig der Begriff "net positive" – mehr geben als nehmen – immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Was uns diese Woche noch auffiel

1) Skeptisch: So blickt der M&A-Markt auf ESG
Die Fachzeitschrift Finance hat bei M&A-Profis nachgefragt, welche Rolle das Thema ESG in ihrem Metier spielt. Ergebnis: Man kommt nicht mehr ohne aus, etwa bei der Due Dilligence. Aber bei entscheidenden Themen wie der Preisbildung spielt Nachhaltigkeit noch keine sonderlich große Rolle.

2) Nachhaltige Betriebsrenten: Ein Super-Recruiting-Tipp
Forbes berichtet über ein "geheimes Recruiting-Tool" aus den USA, das auch bei uns in Mode kommen könnte: Nachhaltige Betriebsrenten, in Amerika als 401(k) Plans bekannt, könnten junge Angestellte von einem Arbeitgeber überzeugen. Kaum zu glauben: Bisher bieten offenbar nicht mal 3 Prozent der US-Pensionspläne eine solche Option. Dabei ist die Nachfrage gerade beim Nachwuchs immens. So wird ESG zum USP.

3) Frankfurt setzt nachhaltige Standards
Am Rand des Weltklimagipfels ergatterte Frankfurt die nächste Finanzinstitution. Das neue internationale Gremium zur Setzung von weltweiten Standards für nachhaltige Finanzberichterstattung (ISSB) zieht an den Main. Um die prestigeträchtige Institution, die weltweite Nachhaltigkeitsstandards setzen soll, hatten sich Städte aus aller Welt beworben.

Mehr Denken als Handeln
Gutes Timing: Pünktlich zur Klimakonferenz veröffentlicht die Unternehmensberatung Bain & Company mit „Von Haltung zu Handlung: Wie Deutschlands CEOs ihre Unternehmen auf Nachhaltigkeitskurs bringen“ eine neue Studie, für die 20 deutsche Top-Führungskräfte erklärt haben, wie sie ihr Unternehmen auf Nachhaltigkeitskurs bringen wollen. Klimaneutralität ist tatsächlich der neue "Leitstern", das überragende Ziel.
Im Durchschnitt schätzen die CEOs, dass sie noch 14 Jahre brauchen, um zumindest auf die berühmte Netto-Null bei CO2-Emissionen zu kommen. Bain hatte sich für die Studie mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgen-Forschung und dem uns bisher unbekannten Futurist-Institut für nachhaltige Transformation zusammengetan. Auch die weiteren Ergebnisse verdienen Aufmerksamkeit:
- Nachhaltigkeit wird in den kommenden fünf Jahren mindestens so wichtig wie Digitalisierung. Das sagen 18 der 20 Befragten. Die Hälfte hält das Thema sogar für bedeutender. Die Unternehmen haben eine neue Top-Transformationsaufgabe.
- Der Wille zum Umbau ist stärker ausgeprägt als die Taten. So geben sich die CEOs auf einer Zufriedenheitsskala von 1 bis 10 für ihre nachhaltige Haltung eine gute 7,1 – für entsprechende Handlungen dagegen nur eine mittelmäßige 5,6. Leidenschaft für das Thema ist geweckt. Jetzt braucht es Ziel und Plan.
- Der öffentliche Druck wächst. So berichten mehrere CEOs, dass erreichte Gewinnziele Aktionäre kaum noch begeistern können, sie für ESG-Themen aber Applaus ernten. Kurios ist daran nur: "Ambivalente Kunden" gelten als ein Haupthindernis beim Umbau auf eine nachhaltige Unternehmensführung. Die Investoren jubeln über Klimaschutz, die Käufer streiken bei steigenden Preisen.
Am Ende schreiben die Autoren, man müsse nun den Übergang schaffen vom Footprint (Emissionen senken) über den Handprint (positiv einwirken) zum Heartprint (mit einer neuen Erzählung berühren).
Vielleicht versuchen Sie es beim nächste Kundentermin auch mal mit einer herzlichen Einladung statt bloß mit einem Händedruck?
Autoren dieser Ausgabe:

Udo Trichtl + Olaf Wittrock
Wir sind Redakteure in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.