ESG report #10: Bei ESG auch mal an das G denken | Macht der Influencer
Liebe Leserinnen und Leser,
welches Bild haben Sie als erstes vor Augen, wenn Sie an das Thema ESG denken? Die meisten stellen sich vermutlich den Kampf gegen plastikverschmutzte Strände vor, Solaranlagen oder Unternehmen mit Gendergleichberechtigung und diversen Teams – also ökologische und soziale Faktoren. In dem ESG-Trio ist die gute Unternehmensführung – also das „G“ – oft die vernachlässigte Stiefschwester.
Zu Unrecht, beklagen einige Expertinnen und Experten. So werden Unternehmen, die gegen Gesetze verstoßen und anerkannte Governance-Prinzipien vernachlässigen, häufiger von Investoren geshortet, fand Nachhaltigkeitsexperte Jan Rabe von Metzler Asset Management kürzlich heraus. Das Forum Nachhaltige Geldanlage (FNG) widmete der Rolle der Governance bei der Nachhaltigkeit von Geldanlagen gestern sogar einen ganzen Veranstaltungsvormittag.
Auch wir finden: Eine gute Geschäftspraxis verdient mehr Aufmerksamkeit. Für diese Ausgabe haben wir mit Unternehmensberaterin Martina Bahl darüber gesprochen, warum Governance die Voraussetzung für erfolgreiches Wirtschaften ist und wie Sie diese stärker in Ihre Beratung einbinden können. Außerdem schauen wir uns an, wie das Prinzenpaar Harry und Meghan gerade als Influencer ESG-Investments pusht.
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Im Gespräch mit...
Martina Bahl, Geschäftsführerin der Unternehmensberatung BahlConsult

Frau Bahl, Das „G“ in ESG steht für Governance, also gute Unternehmensführung. Wie sieht die denn konkret aus?
Über die Definition von Governance diskutiert die Finanzbranche seit ungefähr 30 Jahren. Die einen sehen den Auftrag als erfüllt an, wenn intern die Zuständigkeiten geklärt sind und wenn Kontrollmechanismen verhindern, dass Manager sich selbst bevorteilen oder gegen Eigentümer handeln. Weiter gefasst geht es bei Governance aber auch um die Unternehmenskultur, also etwa wie viel Mitspracherecht alle Stakeholder haben – vom Angestellten bis zum Lieferanten. Auch, ob das Unternehmen seinen Steuerverpflichtungen nachkommt, kann dazugehören.
Warum bekommt Governance bislang so wenig Aufmerksamkeit?
Diese vielen Auslegungsmöglichkeiten machen das Konzept schwer greifbar. Für Unternehmen ist es leichter zu vermarkten, wie viele Frauen sie eingestellt haben oder wie viele neue Solaranlagen sie gebaut haben. An ihrer Governance zu arbeiten ist für Konzerne zudem anstrengender als an anderen ESG-Aspekten, immerhin müssen sie da an die eigenen Strukturen ran.
Welche Rolle spielt gute Unternehmensführung für ESG-Investoren?
Ein Unternehmen, das auf Transparenz und langfristigen Visionen aufgebaut ist und das Prinzip „do no harm“ – also „schade niemandem“ in seiner Unternehmenskultur integriert hat, nimmt in der Regel auch soziale und ethische Aspekte ernster. Eine gute Governance zeigt deshalb das Wesen des Unternehmens.
Wenn Governance so schwer greifbar ist – wie können Berater dann „die Guten“ in Sachen Unternehmensführung ausfindig machen?
Vermittler müssen sich da schon sehr genau mit den Unternehmen beschäftigen. Zum Beispiel können sie darauf achten, wie transparent das Unternehmen mit Informationen umgeht, etwa mit Unternehmenszahlen. Und wie langfristig und visionär die Unternehmensstrategie ist.

Praxis-Tipp
Welche Unternehmen haben eine gute Governance? Das herauszufinden, bedarf einer detaillierten Analyse. Diese Checkliste hilft Ihnen dabei:
- Geht die Firma in ihren Zielen nur auf das nächste Halbjahr ein oder auch auf die kommenden zehn Jahre?
- Zahlt sie sämtliche Gewinne als Dividenden aus oder investiert sie auch in Forschung und Entwicklung?
- Auch Steueroptimierung ist ein interessanter Aspekt, nach dem ESG-orientierte Kunden ihre Anlageberater fragen könnten – hat das Unternehmen etwa seinen Sitz in Irland und Luxemburg und umgeht auf diese Weise Steuern?
- Nicht zuletzt spielt natürlich auch die Unternehmenskultur eine Rolle, gerade in Konfliktlösungsfragen.
- Gibt es einen Betriebsrat?
- Welche anderen Gremien gibt es?
- Wie geht das Unternehmen mit Skandalen um?
Solche Faktoren kann man Kunden näherbringen. Die bekommen dann ein gutes Gefühl dafür, ob sie sich mit dem Unternehmen identifizieren können oder nicht.

2,3 Billionen Dollar
Mit diesem zusätzlichen Finanzvolumen für die weltweite Bankenbranche bis zum Jahr 2050 rechnet das Analysehaus Autonomous mit Blick auf den Umbau in Richtung CO2-neutrale Wirtschaft, wie das "Handelsblatt" berichtet. Der Hintergrund: Unter anderem Bank-of-America-Präsident Bernie Mensah und Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing hatten zuletzt vermehrt über die Geschäftschancen des grünen Booms für die Bankenbranche spekuliert. Trotz aller Risiken (man denke nur an die Greenwashing-Skandale) erachten sie die Begleitung der grünen Transformationen ihrer Kunden als Möglichkeit, über Beratungsleistungen und Co. mehr Geld zu verdienen. Die von Autonomous in Aussicht gestellten 15 Prozent Plus in den kommenden knapp 30 Jahren werden sich laut den Analysten aber ungleichmäßig auf die globalen Banken verteilen. Vor allem Banken mit Geschäft in den Schwellenländern, wo der Beratungs- und Nachholbedarf groß ist, könnten gut abschneiden. Unter anderem auf der Liste der möglicherweise größten Profiteure: die Deutsche Bank.

Was uns diese Woche noch auffiel

1) Steht das "E" in ESG für Europa?
Laut einer Analyse des Beratungsunternehmens PwC könnte das ESG-Anlagevermögen in Europa bis zum Jahr 2025 auf 1,2 Billionen Euro steigen. Drei Viertel davon entfallen laut der Schätzung auf Fonds, die neu aufgelegt werden. Europa würde dann zwischen 31 und 35,9 Prozent des weltweiten ESG-Privatmarktvermögens bündeln – und damit als Region die globale ESG-Landschaft dominieren. Besonders große Steigerungen werden der Analyse zufolge ESG-Investments im Private-Equity-Bereich ausmachen. Aber auch im Immobiliensektor rechnet PwC damit, dass sich die ESG-Vermögenswerte in den nächsten Jahren mehr als verdoppeln.
2) ESG-Beratung ist kein Ethik-Seminar
Sie kennen es wahrscheinlich aus Ihrem eigenen Alltag: Zu ESG-Anlagen zu beraten ist ein Balanceakt. Wie erörtert man die Präferenzen der Kundschaft, ohne allzu wertend oder mahnend zu erscheinen? Der Londoner Berater Minesh Patel hat dazu eine klare Ansicht: Es geht seiner Ansicht nach nicht darum, eine ethische Debatte zu führen, sondern Klientinnen rational-pragmatisch zu zukunftsrelevanten Themen zu raten. ESG sei angesichts der Debattenlage eindeutig ein zentrales Element jeder Portfoliokonstruktion, so sein Urteil.

3) Mehr Daten-Strenge gefragt
Preisfrage: Was ist das größte Hindernis bei der ESG-Implementierung? Antwortmöglichkeiten: a) Ignoranz und Hang zur Sünde; b) Greenwashing-Müdigkeit; c) Mangel an verlässlichen Daten. Sie ahnen es vermutlich, es ist Antwort c. Das hat nun erneut eine Umfrage der Capital Group unter globalen institutionellen Anlegern ergeben. Etwa die Hälfte von ihnen gab an, dieses Defizit behindere die weitere ESG-Einführung. Insbesondere in Deutschland wünschen sich die professionellen Anleger mehr Strenge, wenn es um robuste Daten geht: Weltweit wünschen sich 49 Prozent der Anleger größere Transparenz und Konsistenz in der ESG-Berichterstattung der Fonds, hierzulande sind es sogar 64 Prozent.

Prominente Missionare
Das geblümte Sommerkleid, das Herzogin Meghan auf einem Familienporträt im Frühling trug, war nach Veröffentlichung des Fotos innerhalb weniger Stunden ausverkauft. Keine Sorge, liebe ESG-Interessierte, Sie sind hier nicht versehentlich in der "Gala"-Rubrik gelandet. Die Relevanz der Anekdote besteht darin, dass das royale – vom britischen Königshaus aber inzwischen etwas distanzierte – Paar Harry und Meghan durchaus einflussreich ist, wenn es um Kaufentscheidungen der breiten Masse geht. In Zukunft könnte das auch die Investmententscheidungen ihrer zahlreichen Fans und Follower betreffen.
Das inzwischen in den USA lebende Paar wirbt nämlich seit kurzem für ESG-Anlagen, insbesondere für die Mission des Fintech-Vermögensverwalters Ethic, der eine ESG-Ausrichtung verfolgt und seinen Schwerpunkt neben Ökothemen auch auf Antirassismus legt. Hier treten sie nun als Investoren und "Impact Partner" in Erscheinung, wie amerikanische Medien berichten. Prinz Harry soll sich bereits explizit an die jüngere Generation gewandt haben: Diese könne mit ihren Dollars und Pfund abstimmen, welche nachhaltigen und gesellschaftlichen Themen sich durchsetzen werden. Kritiker werfen den vermögenden Aristokraten Augenwischerei vor. Es sei angesichts mangelnder Standards eine kühne These, dass junge Menschen mit ihren schmalen Investitionen – ungeachtet der politischen Debatte – einen tatsächlichen Wandel bewirken könnten.
Dennoch: Solche Influencer als ESG-Aushängeschild zu gewinnen, ist ein Glücksfall für Ethic. In Deutschland ist der Glamour-Faktor im ESG-Investing noch überschaubar. Aber es dürfte eine Frage der Zeit sein, bis die Branche das Influencer-Marketing für sich entdeckt. Vielleicht lohnt sich für den Motivationsschub in den kommenden Monaten ja ein Blick auf die Zulaufzahlen von Ethic nach dem Promi-Booster...
Autorinnen dieser Ausgabe:

Anne Hünninghaus + Mariam Misakian
Wir sind Redakteurinnen in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.