ESG report #1: Brauchen wir einen Klima-Realitätscheck für Investitionen?
Liebe Leserinnen und Leser,
wenn jemand „stets bemüht“ gewesen ist, ist das im Zeugnis ein ziemlicher Downer, denn mit Mühen allein ist noch nichts gewonnen. Das Pariser Klimaabkommen und die Staaten dahinter würden diese schlechte Beurteilung aktuell wohl auch bekommen. Denn der jüngst veröffentlichte Bericht des Weltklimarats zeigt, dass die Maßnahmen gegen die globale Erwärmung längst nicht ausreichen.
Diskutiert wird immer häufiger, welche Rolle Anlageprodukte spielen, wenn es ums Klima geht. Mancher fordert nun: Auch auf Portfolios sollte ein Etikett kleben, das ihre Auswirkungen auf das Klima in eine Grad-Celsius-Zahl übersetzt. Sinnvoll? Oder nur einmal mehr Augenwischerei? Wir haben uns für Sie in der Branche umgehört. Herzlich willkommen bei der ersten Ausgabe des ESG report!
Künftig wollen wir Sie hier jeden Donnerstag über Neuigkeiten rund um ESG-Themen (Environment, Social, Governance) informieren. Oder anders gesagt: über die Zukunft des Investierens. "Wir", das ist die ESG-Redaktion der Finanz- und Wirtschaftsredaktion wortwert. Wir freuen uns auf Ihr Feedback an redaktion@esg-report.de!
Viel Spaß bei der Lektüre wünscht
Ihre ESG-Redaktion

"Wir brauchen einen Klima-Realitätscheck für Investments."
Die vergangene Woche wartete für Anleger mit einem Realitätsschock der unsanften Art auf. Denn aus dem aktuellen Bericht des Weltklimarats geht hervor: Wird der eingeschlagene Kurs weiter verfolgt wie bisher, dann wird das nichts mit dem Erreichen hehrer Ziele. Die Finanzwelt kann und muss einen wichtigen Beitrag leisten, so viel ist klar. Den Impact einzelner Investments zu erkennen, ist für Anleger aber gar nicht so leicht.
Konkrete Klimakennzahlen klingen da verlockend. Ließen sich die Auswirkungen einer Kapitalanlage auf eine Grad-Celsius-Zahl herunterbrechen, dann wäre ein simpler Abgleich möglich: Geht das Portfolio konform mit den Klimazielen? Verschiedene Methoden und Metriken, die Portfolios auf der Grundlage der voraussichtlichen Emissionen ihrer Bestände bewerten, gibt es bereits. Diese blicken – auf wissenschaftlicher Basis – in die Zukunft, nach dem Prinzip: „Um wie viel Grad würde sich die Erde erhitzen, wenn das Unternehmen bis 2050/2100 so weitermacht wie bisher?“.
Die Axa SA gehört laut eines Bloomberg-Berichts (Lesetipp!) zu den eher raren Vermögensverwaltern, die solche Daten bereits preisgeben. Die Zahlen sind ernüchternd: Obwohl sie besser abschneidet als viele andere, impliziert auch ihr Portfolio – inklusive geplanter Emissionsreduktionen – noch einen Anstieg von knapp drei Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts. Das wäre deutlich zu viel. Dennoch leistet die Axa mit der Veröffentlichung einen wertvollen Beitrag. Denn so können sich Anleger ein realistischeres Bild der Lage machen, auf das sie ihre Entscheidungen fußen. Auf der anderen Seite steht allerdings Kritik an solchen Berechnungen: Es fehle an Standards und Zuverlässigkeit, heißt es aus der Branche.
Wir haben uns zu dem Thema umgehört. Sebastian Müller macht als Co-Gründer des Frankfurter Anbieters für Klima-Metriken und Software right. based on science den Aufschlag, Portfoliomanagerin Kristina Bambach wirft einen kritischen Blick auf unsere These der Woche.

Dr. Sebastian Müller, Co-Gründer right. based on science

Überall hört man „Klimaziel: Net Zero im Jahr 20XX!“ Aber der neue Bericht des Weltklimarats macht nochmal klar: Klimaneutralität ist höchstens Mittel zum Zweck. Das eigentliche Ziel ist die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5°C über vorindustriellem Niveau. Da ergibt es einfach Sinn, auch die Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten auf den Klimawandel in Grad Celsius zu erfassen und somit in direkten Bezug zu diesem Ziel zu setzen. Wir erleben dazu gerade einen Wettstreit der Ideen und das ist auch gut so! Denn Unternehmen und Finanzdienstleister brauchen eine Klima-Metrik, die vergleichbar und klar verständlich ist, aber eben auch wissenschaftlich fundiert und transparent – und zwar nicht nur für Equity Investments, sondern auch für weitere Assetklassen wie Immobilien und Staatsanleihen.
Dr. Kristina Bambach, Portfoliomanagerin Eyb & Wallwitz

Anlegern die Klima-Auswirkung eines Portfolios in Grad Celsius anstelle eines abstrakten Scores aufzuzeigen, ist ein nachvollziehbarer Ansatz. Je nach Anbieter ist es möglich, auf Projekt, Unternehmens-, oder Portfolioebene eine Brücke zwischen Finanzmärkten und Klimawissenschaft zu schlagen, die, im Gegensatz zu vielen anderen Metriken, zukunftsgerichtet ist. Stark vereinfachte Modellannahmen, unzureichende Datengrundlagen, intransparente Modelle und somit heterogene Ergebnisse zeigen, dass wir mit dieser Methodik noch am Anfang stehen. Doch die Klima-Performance eines Unternehmens ist weitaus komplexer, als dass man sie durch eine einzige Zahl ausdrücken und somit als „Klima-Entscheidungskriterium“ für die Portfoliokonstruktion nutzen kann. Dennoch ist dieser Realitätscheck für Investitionen ein Schritt in die richtige Richtung, um Anleger weiter für ESG-Aspekte zu sensibilisieren.
Und was ist nun die Conclusio? Mit der These, dass wir einen Klima-Realitätscheck für Investitionen brauchen, werden die meisten d’accord gehen. Auch eine konkrete Grad-Zahl zu benennen ist durchaus wünschenswert.
Klar ist aber auch: Je weiter eine Prognose in die Zukunft reicht, auf desto wackligeren Füßen steht sie. „Selbst mit perfekten historischen Informationen und ausgereiften und transparenten Methoden bleibt die Bewertung potenzieller künftiger Ergebnisse ein unsicheres Unterfangen“, schreibt die Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TFCD) in ihrem aktuellen Report zum Thema. Und dann ist es wie mit der Note im Schulzeugnis: Eine Zahl brennt sich nun einmal ein – ob sie plausibel hergeleitet und gerechtfertigt ist, oder nicht.

UBS AM lanciert ETF auf kohlenstoffarme Indizes
UBS MSCI EMU ESG Universal Low Carbon Select UCITS ETF A (EUR)
- Unternehmen: UBS Fund Management (Luxembourg) S.A.
- Gattung: ETF
- ISIN: IE00BNC0M913 (Eurozone)
- Fondsvolumen: 4,993 Mio. Euro
- Nachbildung: physisch
- Ausschüttung: thesaurierend
- Laufende Kosten: 0,15 % p.a.
Was macht den Fonds zum ESG-Investment?
Der Vermögensverwalter UBS Asset Management hat eine Reihe neuer nachhaltiger Aktien-ETFs aufgelegt. Einer davon ist der UBS MSCI EMU ESG Universal Low Carbon Select UCITS ETF mit Schwerpunkt Eurozone. Der börsengehandelte Fonds basiert auf den neuen MSCI ESG Universal Low Carbon Select Index und hat eine Reihe an Ausschlusskriterien festgelegt. So investiert er nicht in Unternehmen, die zu den fünf Prozent mit dem größten globalen CO2-Ausstoß gehören. Auch Unternehmen aus der Förderung fossiler Brennstoffe sowie Hersteller von Tabak, Atomwaffen, zivilen Schusswaffen sowie Unternehmen im Zusammenhang mit thermischer Kohle kommen für den Fonds nicht infrage. Unternehmen mit der schlechtesten Ratingstufe CCC im MSCI ESG-Rating sind ebenfalls tabu.
Warum lohnt sich ein Blick?
Mit dem ETF ermöglicht UBS seinen Kunden und Kundinnen, Unternehmen mit hohem CO2-Ausstoß zu meiden – und das zu niedrigen Kosten von 0,15 Prozent pro Jahr. Auch eine breite Streuung ist gewährleistet. Der Pferdefuß an der Sache: Der Fonds schließt eben nur die oberen fünf Prozent der Unternehmen mit dem größten CO2-Ausstoß aus. Dem ein oder anderen klimabewussten Kunden dürfte das nicht genügen. Auch gibt es noch keinerlei Performancewerte zu dem Fonds. Ob die Strategie funktioniert, wird sich also noch zeigen müssen.

Eurizon ernennt neue ESG-Leiterin
Die Vermögensverwaltungsgesellschaft Eurizon hat mit Federica Calvetti ihren Head of ESG & Strategic Activism gefunden. Sie leitet künftig das Team, das sich speziell auf ESG-Investitionen im Aktien- und Anleihemarkt spezialisiert hat. Vor dem Wechsel hat Calvetti nahezu 17 Jahre lang in verschiedenen Positionen für die Deutsche Bank gearbeitet und dort ebenfalls ESG-Themen betreut.

Was uns diese Woche noch auffiel

1.) Ex-Nachhaltigkeitschefin wirft DWS Greenwashing vor
Kritik an der Integration von ESG-Kriterien kommt beim DWS-Vorstand gar nicht gut an. Das jedenfalls behauptet die ehemalige Nachhaltigkeitschefin der Fondsgesellschaft, Desiree Fixler, die nach nur sechs Monaten im Amt jüngst ihren Posten räumen musste. Der Grund laut Fixler: Sie habe eine Präsentation über die Mängel in der ESG-Strategie des Vermögensverwalters gehalten, die dem Vorstand so gar nicht gefallen haben soll. Die DWS dementiert.

2.) BVI moniert Anti-Greenwashing-Entwurf der Bafin
Die Finanzaufsichtsbehörde Bafin hat einen Richtlinienentwurf vorgelegt, der Anleger künftig vor Greenwashing bei Finanzprodukten schützen soll. Eine der Vorgaben sieht eine nachhaltige Investitionsquote von 75 Prozent vor. Der deutsche Fondsverband BVI sieht das kritisch: Eine feste Quote könne dem Fondsstandort Deutschland schaden, vor allem mit Blick auf konkurrierende nachhaltige Fonds aus Luxemburg, befürchtet BVI-Hauptgeschäftsführer Richter.

3.) Irreführende Werbung: Verbraucherschutz mahnt Smartphonebank Tomorrow ab
Der Hamburger Finanzdienstleiter Tomorrow verspricht seinen Kunden ein Konto mit gutem Gewissen: Mit dem sogenannten Zero-Konto sollen Nutzer ihren CO2-Fußabdruck kompensieren können. Für diese Werbeaussage gab es nun Ärger mit der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Das Unternehmen könne den individuellen CO2-Abdruck ihrer Kunden gar nicht kennen, kritisierte Verbraucherschützer Niels Nauhauser.

4.) ESG könnte Hedgefonds zum Verhängnis werden
Hedgefonds rühmen sich nicht gerade mit Nachhaltigkeitsbemühungen, zeigt eine aktuelle Studie des Investmentberaters BFinance. Nur sieben Prozent der befragten Anlegerinnen und Anleger gaben an, dass ihre Hedgefonds-Manager eine hohe Integration von ESG-Grundsätzen in ihre Anlagestrategie bieten. Diese halten sich indes unter anderem zurück, weil sie ESG-Kriterien bei der kurzen Haltedauer für irrelevant halten, zeigt eine BNP-Paribas-Umfrage.

Junge investieren ins Klima, Ältere in Bildung
Deutschen Anlegerinnen und Anlegern ist Klimaschutz ein wichtiges Anliegen – das ist nicht neu. Aber wussten Sie, dass es dabei Unterschiede in verschiedenen Altersgruppen gibt? Das hat eine aktuelle Umfrage der Rabobank ergeben. Knapp jeder dritte Befragte (28,5 Prozent) möchte sein Geld in Maßnahmen für den Klimaschutz investieren. Besonders klimabewusst zeigten sich in der Umfrage die Jungen: 35,8 Prozent der 18- bis 29-Jährigen würde gerne mit ihrem Geld etwas zu Klimaschutzmaßnahmen beisteuern.
Die 65-Jährigen dagegen legen deutlich weniger Wert auf klimaschützende Maßnahmen. Ihnen ist mit 37 Prozent Zustimmung die Bildungsförderung von Kindern am wichtigsten. Zwischen Studierenden und Senioren ist der Unterschied am prägnantesten: In umweltschonende Maßnahmen wollen Erstere mit 55,7 Prozent doppelt so oft wie Rentner (25,9 Prozent) investieren.
Anders gesagt: Differenzieren Sie je nach Altersgruppe also ruhig auch mal zwischen dem E, dem S und dem G – wer sich nicht für erneuerbare Energien begeistern kann, ist für das Thema ESG nicht verloren, sondern investiert sein Geld womöglich einfach nur lieber in ein Unternehmen mit Bildungsprojekten in Entwicklungsländern.
Autorinnen dieser Ausgabe:

Anne Hünninghaus + Mariam Misakian
Wir sind Redakteurinnen in der Wirtschafts- und Finanzredaktion wortwert. Wenn Sie Hinweise haben, Kommentare loswerden wollen, oder besondere Wünsche an unser Team haben, schreiben Sie uns gern an redaktion@esg-report.de.